Predigt zu 1. Könige 19 am Sonntag Okuli 2011

von Achim Detmers

Nach der Katastrophe in Japan: "Die Elemente der Natur sind nicht der Ort, wo Gott zu begreifen ist."

»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

I.

Liebe Gemeinde,

es gibt Situationen, in denen wünschen wir uns, weit weg zu sein. Situationen, in denen wir einfach nur weglaufen wollen, weil wir etwas nicht mehr ertragen können. Weil es keinen Ausweg gibt, weil wir Fehler gemacht haben, weil die Belastung zu groß geworden ist, weil da nichts mehr ist, was uns zurückhält. Weil nichts mehr so ist, wie es vorher einmal war.

Ich denke, wir alle kennen solche Situationen. Aber die wenigsten von uns – so vermute ich mal – haben dann die Kraft gehabt, tatsächlich wegzulaufen. Als Kind aus Enttäuschung mal wegzulaufen, das ist o.k., aber als Erwachsener schickt sich das nicht. Trotzdem gibt es auch für uns Erwachsene manchmal die Notwendigkeit, ernsthaft über eine Flucht nach vorn nachzudenken.

II.

Der Prophet Elija hat in seinem Leben zweimal diese Erfahrung gemacht – fliehen zu müssen. Beim ersten Mal hatte er sich mit König Ahab überworfen. Der hatte auf Betreiben seiner Frau Isebel zwei alten Göttern zu neuem Glanz verholfen: Dem Gott Baal hatte er Opfer dargebracht und sich vor ihm niedergeworfen. In Samaria ließ er einen großen Tempel für Baal bauen mit 400 Propheten. Die zweite Gottheit war die Fruchtbarkeitsgöttin Aschera; ihr zu Ehren wurde ein Kultpfahl errichtet, und 450 Kultbedienstete ließen sich vom Königshof aushalten (1. Kön 16,30-33; 18,19). Elija protestierte gegen diese ›Laufzeitverlängerung‹ der alten Götter mit der Prophezeiung, dass sich der erhoffte Segen dieser Götter in einen Fluch verkehren würde. Baal wurde nämlich als Wettergott verehrt, vor dessen Blitzen und Donnern die Menschen gehörigen Respekt hatten, von dem sie aber zugleich jede Menge fruchtbaren Regen erwarteten.

Elija prophezeit nun, dass die alten Götter zum Schaden für das Land werden. Regen und Tau würden ausbleiben, und die erbarmungslosen Strahlen der Sonne würden den Menschen zusetzen.

Jemand, der so etwas verkündet, muss auf zweierlei gefasst sein: Zum einen auf die Reaktion der Staatsmacht und zum anderen, dass die Prophezeiung wahr wird. Gott befiehlt Elija deswegen, ins Exil zu gehen. Dorthin, wo es noch sauberes Wasser gibt, wo Raben ihm Brot und Fleisch bringen müssen (1. Kön 17,1-7). Denn König Ahab lässt ihn überall suchen – sogar im Ausland (18,9-11).

III.

Aber Elija kehrt nach einiger Zeit zurück, um einen scheinbar grandiosen Trumpf zu feiern. Er kehrt zurück, um den Wahrheitsgrund seiner Prophezeiung unter Beweis zu stellen. Er fordert die Betreiber des Baalskultes zum Zweikampf heraus. Oder genauer gesagt: zum Kampf einer gegen 450. Oben auf dem Berg Kamel sollen beide Lager ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Zwei Altäre werden errichtet mit Holzscheiten und je einem Opfertier. Und nun kommt es zum Ernstfall, bei der beide Lager zeigen sollen, dass sie in der Lage sind, das Verfahren zu beherrschen. Ihr Gott soll den Opferaltar zum Brennen bringen.

Die Baalspropheten versagen jedoch kläglich. Sie tanzen um den Altar, hüpfen die Stufen hinauf, ritzen sich die Haut mit Messern ein. Aber alles bleibt still, niemand antwortet. Elija hingegen zeigt dem versammelten Volk, was es heißt, Gott in den Elementen der Natur zu beschwören. Er baut einen großen Altar aus Steinen und zieht darum einen riesigen Sicherheitsgraben. Dann übergießt er das Opfer und die Brennstäbe mit Unmengen von Wasser. Nicht um die brennenden Holzstäbe zu löschen, sondern damit sie gar nicht erst in Flammen aufgehen. Zur Demonstration beschwört Elija Gott, ihn als den wahren Diener auszuweisen. Dann fällt Feuer vom Himmel. Der Altar geht in Flammen auf. Das Feuer verzehrt nicht nur das Opfertier und die Holzscheite, sondern auch die Steine, die Erde ringsum und das Wasser im Graben. Und schon nach wenigen Stunden bringen Wolken vom Meer her den ersehnten Regen, der aber so heftig und schwarz ist, dass alle davor fliehen müssen.

IV.

Elija hatte dem König gezeigt, wie dilettantisch seine allzu selbstsicheren Propheten an der einfachen Aufgabe scheiterten, eine kontrollierte Altarbefeuerung durchzuführen. Ganze Hundertschaften von dessen Propheten waren daran gescheitert, diese einfache Technik zu beherrschen. Zugleich hatte Elija dem König verdeutlicht, was es wirklich bedeutet, Gott in den Elementen der Natur zu beschwören. Welche Risiken diese Form der Religion mit sich brachte und dass er zwar den gewünschten Regen heraufbeschwören konnte, aber die gefährliche Kettenreaktion hatte selbst er nicht vollends im Griff. Vielmehr waren es sein Hochmut und sein Geltungsbedürfnis, das seinen Sieg in eine Niederlage verwandelte und ihn zum zweiten Mal ins Exil trieb. Denn in seinem Wahn, die Elemente zu beherrschen und zum wahren Diener Gottes aufgestiegen zu sein, hatte er eine Kettenreaktion ausgelöst, die sich nicht mehr beherrschen ließ. Zwischen dem Feuer und dem Unwetter hatte Elija nämlich die konkurrierenden 450 Baals­propheten hinrichten lassen. Doch damit war er zu weit gegangen.

Hören wir dazu den ersten Teil des Predigttextes aus dem 1. Buch der Könige, Kapitel 19:

1 König Ahab berichtete seiner Frau Isebel alles, was Elija getan und dass er alle Propheten Baals umgebracht hatte. 2 Da schickte Isebel einen Boten zu Elija und ließ ihm sagen: »Die Götter sollen mich strafen, wenn ich dich morgen um diese Zeit nicht ebenso umbringen werde, wie du meine Propheten umgebracht hast!«

3 Da packte Elija die Angst und er floh, um sein Leben zu retten. In Beerscheba an der Südgrenze von Juda ließ er seinen Diener zurück 4 und wanderte allein weiter, einen Tag lang nach Süden in die Steppe hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte den Tod herbei. »HERR, ich kann nicht mehr«, sagte er. »Lass mich sterben! Ich bin nicht besser als meine Vorfahren.« 5 Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.

V.

Liebe Gemeinde,

Elija war zu weit gegangen, als er alle Baalspropheten hinrichten ließ. Wie soll ein Gemeinwesen weiterleben nach so einem Gemetzel? Wie kann eine Religion glaubhaft sein bei den Menschen, wenn sie bereit ist, über Leichen zu gehen? Königin Isebel hatte zwar einen Fehler gemacht, als sie die Vertreter der Naturgottheiten an ihrem Hof groß werden ließ, aber sie konnte nicht einfach zusehen, wie ihr nach den Ereignissen auf dem Karmel die Fälle davonschwammen. Eine Stilllegung auch des Aschera-Kultes kam für sie nicht infrage. Aber sie brauchte Zeit, bis die unmittelbaren Eindrücke von den Ereignissen auf dem Karmel aus den Köpfen ihrer Untertanen verschwunden waren. Sie entschied sich, den Propheten, der die Elemente auf so entlarvende Weise beschworen hatte, in die Wüste zu schicken.

VI.

Über die Todesdrohung der Königin erschrocken und wohl auch über sich selbst, tritt Elija die Flucht an. Er flieht in Richtung Süden, weit weg von dem Ort der Katastrohe auf dem Berg Kamel. Er lässt sogar seinen Diener zurück und zieht allein in die Wüste. Ein Gins-terstrauch wird zu dem Ort, wo ihn die Kräfte verlassen und er sich nur noch den Tod herbeiwünscht. Welche Hoffnungen hatte er doch auf den Zweikampf am Karmelberg gesetzt. Endlich wollte er zeigen, dass seine Religion überlegen sei. Dass er Regen machen könne, so oft und so viel er wolle. Und dass alle einsehen müssten, dass seiner Religion die Zukunft gehöre. Doch statt in den fruchtbaren Tälern des Karmel die Früchte seiner Bemühungen zu ernten, war er jetzt auf der Flucht in der Wüste den erbarmungslosen Strahlen der Sonne ausgesetzt. War jetzt alles zu Ende? Würde er nie wieder in seine Heimat zurückkehren können? Bestand keine Hoffnung mehr für einen Neuanfang?

Hören wir weiter auf den Fortgang im Predigttext:

Aber ein Engel kam, weckte Elija und sagte: »Steh auf und iss!«

6 Als Elija sich umschaute, entdeckte er hinter seinem Kopf ein geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder schlafen.7 Aber der Engel des HERRN weckte ihn noch einmal und sagte: »Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!« 8 Elija stand auf, aß und trank und machte sich auf den Weg. Er war so gestärkt, dass er vierzig Tage und Nächte ununterbrochen wanderte, bis er zum Berg Gottes, dem Horeb, kam. 9 Dort ging er in die Höhle hinein und wollte sich darin schlafen legen.

Liebe Gemeinde,

so ausweglos die Situation für Elija auch scheint, es ist Gott, der die Voraussetzung für den Neuanfang schafft. In der sonnenverstrahlten, lebensfeindlichen Wüste stellt er Brot und unbelastetes Wasser bereit. Durch seinen Engel lässt er den entscheidenden Satz sagen: »Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!« Elija braucht lange, um diesen Satz zu verstehen: »Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!« Zuerst realisiert er nur, dass es selbst in der Wüste Nahrung gibt. Aber Brot und Wasser allein kann einem nicht die Kraft geben, einen Neuanfang zu wagen. Entscheidend ist vielmehr der zweite Satz: »Du hast einen weiten Weg vor dir!«. Es gibt also einen Weg, und Gott täuscht nicht darüber hinweg, dass dieser Weg ein langer Weg sein wird. Erst diese realistische Lageeinschätzung bringt Elija wieder auf die Beine. Sie gibt ihm Kraft, an den Ort zurückzukehren, wo einst die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel begann.

Am Gottesberg Horeb findet Elija eine Höhle, die ihn vor den umbarmherzigen Strahlen der Sonnen schützt. Hier will sich Elija erst einmal ausruhen. Aber wenn er glaubt, jetzt auf dem richtigen Weg zu sein, dann täuscht er sich. Jetzt erfolgt nämlich die entscheidende Belehrung durch Gott.

Hören wir auf den Fortgang im Predigttext:

Da hörte Elija plötzlich die Stimme des HERRN: »Elija, was willst du hier?«

10 Elija antwortete: »HERR, ich habe mich leidenschaftlich für dich, den Gott Israels und der ganzen Welt, eingesetzt; denn die Leute von Israel haben den Bund gebrochen, den du mit ihnen geschlossen hast; sie haben deine Altäre niedergerissen und deine Propheten umgebracht. Ich allein bin übrig geblieben und nun wollen sie auch mich noch töten.«
11 Der HERR sagte: »Komm aus der Höhle und tritt auf den Berg vor mich hin! Ich werde an dir vorübergehen!«
Da kam ein Sturm, der an der Bergwand rüttelte, dass die Felsbrocken flogen. Aber der HERR war nicht im Sturm.
Als der Sturm vorüber war, kam ein starkes Erdbeben. Aber der HERR war nicht im Erdbeben.

12 Als das Beben vorüber war, kam ein loderndes Feuer. Aber der HERR war nicht im Feuer.
Als das Feuer vorüber war, kam ein ganz leiser Hauch. 13 Da verhüllte Elija sein Gesicht mit dem Mantel, trat vor und stellte sich in den Eingang der Höhle.

Eine Stimme fragte ihn: »Elija, was willst du hier?«

Liebe Gemeinde,

Elija hatte geglaubt, Gott in den Elementen der Natur zu finden. Mit einem Kunststück hatte er die Baalspropheten bloßgestellt und gleich zu spüren bekommen, dass irgendetwas gründlich schief gelaufen war. Ein unvorhergesehener Störfall hatte seinen Siegeszug jäh in eine Niederlage verwandelt. Wo aber lag der Fehler? Er hatte doch seine Überlegenheit unter Beweis gestellt. Ihm war es doch gelungen, die Elemente zu beschwören und Regen zu machen.

Gott gibt Elija – wie zuvor schon Mose (Ex 33) – die Gelegenheit, Gottes Wesen etwas besser zu verstehen. Elija hatte vorher zwar gegen die Baalspropheten gewettert, aber er hatte letztlich denselben Fehler gemacht wie sie. Er hatte geglaubt, Gott in den Elementen der Natur beschwören zu können. Um endgültig Mut zu schöpfen für einen Neuanfang, musste Elija deshalb diese Lektion über sich ergehen lassen. Gott erweist ihm die Gnade, an ihm vorüberzuziehen. So wie Mose kann er Gott selbst nicht schauen, weil er sonst sterben müsste (Ex 33,20). Elia ist also ganz auf seine übrigen Sinneseindrücke angewiesen. Und so sitzt er in seiner Höhle und wartet.

Zuerst kommt ein heftiger Sturm, der sogar Felsbrocken ins Wanken bringt. Elija ist versucht, darin Gott zu sehen. Aber so heißt es: »Der HERR war nicht in dem Sturm.« Es folgt ein starkes Erdbeben. Aber auch hier heißt es: »Der HERR war nicht in dem Erdbeben.« Nach dem Beben kommt ein loderndes Feuer. Aber der HERR ist auch nicht in diesem Feuer. Die Elemente der Natur sind nicht der Ort, wo Gott zu begreifen ist.

Als Gott an Elija vorüberzieht, ist es nur ein ganz leiser Hauch, an dem Gott sich zu erkennen gibt. Verbunden mit der Frage, ob Elija diese Lektion verstanden hat: »Elija, was willst du hier?«

»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.«  (Phil 4,7) Amen.


Pfr. Dr. Achim Detmers, Kirchlicher Fernunterricht (KFU)