Predigt zu dem ''Herausgerufenen'' Micha ben Jimla (1.Könige 22,1-28)

von Hans Theodor Goebel

Predigt über 1 Könige 22, 1-28 im Predigtgottesdienst nach Reformierter Ordnung
am 10. April 2011 in der Antoniterkirche Köln
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„Herausgerufene“ – haben wir die Männer und Frauen aus der Bibel genannt, an die wir in unsrer diesjährigen Predigtreihe erinnern wollen. Menschen, die aus ihrem gewöhnlichen Alltag herausgerufen wurden und einen Auftrag bekamen, der nicht nur tief in ihr Leben einschnitt, sondern auch fremd und befremdlich war.

Abraham – an den das Wort ergeht: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen werde. Und in dir werden gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“

Mose – der aus dem brennenden Dornbusch in der Steppe angeredet wird: „ Geh hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk aus Ägypten führst.“

David – der als Hirtenjunge von den Schafen geholt und zum König über Israel gesalbt wird.

Wer hat diese – und weitere – gerufen und berufen? Die Bibel lässt daran keine Zweifel: Der Gott Israels, der wahre Gott.

Jedoch – der Streit um den wahren Gott lässt sich nicht aufhalten.

Etwa 150 Jahre nach David sehen wir den Propheten Elia mit schier übermenschlicher Kraft und Unerbittlichkeit für den alten Gott Israels eifern. Davids Reich ist geteilt in die Königtümer Juda und Israel. In Israels Hauptstadt Samaria steht ein Baalstempel. Der hier regierende König Achab hat eine tyrische Prinzessin geheiratet. Mit ihr ist der Kult der fremden Götter aufgeblüht. Schon hat er sich schleichend vermischt mit der Verehrung des Gottes Israels. Bis dessen Anhänger in den Untergrund gedrängt werden.

Wo Erfolg und Fruchtbarkeit hoch im Kurs stehen und das Denken beherrschen, sind die Kulte der Götter attraktiv, die eben das verheißen und garantieren.

Da steht Elia auf und stellt sein Volk vor ein Entweder - Oder: Ihr könnt nicht auf beiden Seiten hinken. Und Elia weiß doch und muss bis zur Erschöpfung seines Lebenswillens erfahren: Die Entscheidung, wer der wahre Gott ist und wer ihm dient – die liegt allein bei dem wahren Gott selbst.

Ein Zeitgenosse nun von dem Propheten Elia und dem König Achab ist Michajehu ben Jimla, Micha der Sohn des Jimla.

Wie von Elia sind uns auch von ihm keine Schriften überliefert, in denen seine Worte und Reden gesammelt wären. Die Bibel erzählt uns auch nicht viele Geschichten von ihm. Nur eine. Und die will ich nacherzählen. Aus dem 1. Buch der Könige im 22. Kapitel.

Es herrscht Frieden zwischen Israel und Aram, seinem Nachbarn Aram im NO mit der Hauptstadt Damaskus. Schon drei Jahre lang.

Da bekommt Israels König Achab in Samaria Besuch von Jehoschafat aus Jerusalem, dem König von Israels Brudervolk Juda. Achab hat seine Großen versammelt und nutzt die Gelegenheit des Staatsbesuchs für eine machtpolitische Initiative, die er klug in eine Frage kleidet.

„Wisst ihr nicht“, so fragt er, „dass Ramot-Gilead, die Stadt auf der Grenze zu Aram, unser ist -  und wir sitzen hier still herum, statt sie uns von den Aramäern zu nehmen?“. So fragend appelliert er an nationale Interessen.

Und wirbt direkt um Unterstützung bei seinem Besuch aus Jerusalem. „Jehoschafat, ziehst du mit mir in die Schlacht um Ramot-Gilead?“

Der Jerusalemer sieht sich genötigt, sofort ein Solidaritätsbekenntnis zum Brudervolk und seinem König abzugeben:

„Ich bin wie du, mein Volk wie dein Volk, meine Rosse wie deine Rosse.“

Dann aber bringt er einen Einwand vor: „Frage doch zuerst nach einem Wort des Herrn, unsres gemeinsamen Gottes!“

Der König Achab geht sofort darauf ein und ruft Propheten zusammen. Etwa 400 an der Zahl.

Was sind das für Propheten? Solche des Gottes Israels oder Baalspropheten? Darüber wird nichts gesagt. Vielleicht kann man das auch gar nicht genau sagen. Weil das zu Zeiten der „Religionsmischung“ bei einem Propheten nicht so leicht auszumachen ist.

Jedenfalls fragt der König Achab die Propheten: „Soll ich gegen Ramot-Gilead in den Kampf ziehen oder soll ich’s sein lassen?“

Sie antworten: „Zieh in den Krieg. Der Herr wird die Feinde in die Hand des Königs geben.“

Ob dieser Herr der Gott Israels ist, sagen sie vorerst nicht. Sie nennen seinen Namen nicht. Aber sie geben eine prophetische Auskunft, die der König gerne hört. Er will ja den Krieg.

Die Vertreter der Religion funktionieren, wie der Machthaber es wünscht.

Aber Jehoschafat, der Nachfahre auf Davids Thron, verzögert weiter die Kriegsentscheidung. Ihm ist bei der prophetischen Heilsansage nicht wohl. Er scheint ihr nicht zu trauen. Er scheint diesem ganzen Prophetenvolk nicht zu trauen.

„Ist hier kein Prophet des Herrn, des Gottes Israels mehr, dass wir durch ihn den Herrn, den Gott Israels befragen?“

Als seien die versammelten 400 Propheten allesamt nicht Propheten des wahren Gottes.

„Doch noch einer ist da“ – antwortet Achab: Michajehu ben Jimla. Durch ihn kann man den Herrn, den Gott Israels befragen. Aber ich hasse ihn. Denn er prophezeit mir nicht Gutes, nur Böses.“

„Rede nicht so“ – entgegnet Jehoschafat. Als habe er, der Nachfahre Davids, noch eine gewisse Scheu: Wenn nun Michas Wort das Wort des lebendigen Gottes wäre!

Achab gibt Befehl, Micha unverzüglich herbeizuholen.

In der Wartezeit sozusagen schildert der biblische Erzähler eine kleine Szene. Sie spielt auf dem Dreschplatz am Tor vor den beiden Königen, die da in vollem Ornat jeder auf seinem Thron sitzen.

Da tritt inmitten der versammelten Propheten Zidkija der Sohn des Kenaana mit eisernen Hörnern auf, die er sich gemacht hat, und sagt zum König Achab: „So hat der Herr, der Gott Israels gesprochen: Mit diesen Hörnern wirst du die Aramäer niederstoßen, bis du sie vernichtet hast.“

Diese Inszenierung ist eine sogenannte Zeichenhandlung. Sie soll die Kriegsprophetie unterstreichen, ja vielleicht selbst schon das Kriegsgeschehen siegreich in Gang setzen.

Alle Propheten stimmen Zidkija zu. Sie behaupten im Namen des Gottes Israel zu sprechen, und haben doch viel eher verinnerlicht, was der Machthaber auf dem Thron hören will.

Unterdessen ist der Königsbote bei Micha ben Jimla angelangt und sagt zu ihm:

„Siehe, die Worte der Propheten verkünden einstimmig Gutes für den König. So lass nun auch dein Wort wie ihres sein und rede Gutes.“

Wie antwortet der Prophet auf diese Zumutung?

„Und es sprach Michajehu: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, ich will sagen, was der Herr, der Gott Israels, mir sagen wird.“

Diese Antwort stellt das ganze Verhältnis von Prophet und königlichem Machthaber in ein klares Licht. Die Frage für einen Propheten ist nicht, ob er Gutes oder Schlechtes für den König verkündet. Die Frage ist nicht, ob er Heilsprophet oder Unheilsprophet ist. Die Frage ist ganz allein, ob er sagt, was der Herr, der Gott Israels, sagen wird. Es gefalle den Machthabern oder es gefalle ihnen nicht.

Aber was für eine Last wird damit - „so wahr Gott lebt“ - dem Propheten aufgelegt!

Micha geht mit dem Boten zum König, der ihn gerufen hat und hört sich dessen Frage an. – Und sagt, was der König hören will: „Ja, zieh nach Ramot, es wird dir gelingen. Der Herr, der Gott Israels wird‘s in deine Hand geben.“

Was tut Micha da?

Hat er jetzt nicht verraten, was er gerade noch beim Leben Gottes beschworen hatte? Hat er sich jetzt nicht gebückt vor der Macht des Königs? Hat er nicht kapituliert vor der Kriegspolitik und erklärt, sie sei nach Gottes Willen und werde gelingen?

Das ist – so scheint es – ja noch viel schlimmer als das, was die Propheten vor ihm taten. Denn Micha wusste:  Es kommt darauf an, zu sagen, was Gott ihm sagt, nichts anderes.

Nur – was will Gott denn? Ist das schon raus? Will Gott nicht vielleicht diesen Krieg und Micha ist sein Prophet?

Dem König Achab schwant: Hier stimmt was nicht. Micha hat ihm doch immer Unheil angesagt – und jetzt? „Wie oft soll ich dich noch beschwören, mir im Namen des Gottes Israels nichts als die Wahrheit zu sagen!“ Der König will die Wahrheit - und will sie nicht. _________________________________________
O R G E L M U S I K

Der Prophet Micha hebt neu an zu reden „Ich sah ganz Israel zerstreut auf den Bergen wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und der Herr, der Gott Israels sprach: Es kehre jeder in Frieden zurück in sein Haus“.

Achab merkt sofort: Das geht gegen ihn.

„Hab ich dir nicht gesagt – so wendet er sich an Jehoschafat - er weissagt mir nicht Gutes, nur Böses?

„Höre das Wort des Herrn, des Gottes Israels“ - fährt Micha fort und er schildert eine Vision:

„Ich sah den Herrn, den Gott Israels, auf seinem Thron sitzen. Um ihn herum der ganze Hofstaat des Himmels. Und der Herr, der Gott Israels, sprach: „Wer will Achab betören, dass er hinauf ziehe nach Ramot-Gilead und da falle?“

Das ist Gottes Wille. Achab soll in der Tat in diesen Krieg ziehen. Soweit ist der Spruch aller Propheten wahr. Aber nicht, um zu gewinnen, soll Achab in diesen Krieg ziehen, sondern um zu verlieren und darin umzukommen .

„Wer will den Achab betören, in diesen Krieg zu ziehen?“ – fragt Gott in Michas Vision. Die himmlischen Geister erwägen dies und das. Bis einer von ihnen anbietet: „Ich will ausgehen und will ein Lügengeist sein im Mund aller seiner Propheten.“

Da antwortet der Herr, der Gott Israels: „Betöre Achab, du kannst es. Geh und mach es so!“

„Sieh, sagt Micha zu dem König, der Herr, der Gott Israels hat einen Lügengeist in den Mund all deiner Propheten gegeben. Er hat Böses angesagt über dich.“

Das heißt doch: Im Auftrag Gottes verkünden die Propheten dem König Heil, damit er willig in sein Unheil zieht.

Was für eine ungeheuerliche Behauptung hat da Micha ausgesprochen. Der wahre Gott bedient sich der Lüge, um den König in sein Unheil rennen zu lassen.

Und die anderen Propheten?  - Alle besessen von dem Geist der Lüge.

Wie können sie sich so eine Schmähung von Micha bieten lassen?

Zidkija, der mit den eisernen Hörnern, tritt wieder als Wortführer hervor, schlägt Micha ins Gesicht und ruft:

„Wie? – soll der Geist des Herrn, des Gottes Israels, von mir auf dich übergegangen sein?“

Das ist nun genau die Frage. Wer hat den Geist des wahren Gottes? Micha oder Zidkija? Beide nehmen ihn in Anspruch und verkünden Gegensätzliches?

Und der König ist ihr Adressat. Nach Zidkija der Adressat der göttlichen Heilszusage. Nach Micha der Adressat der göttlichen Unheilsansage.

Nach Micha redet Gott aber durch beide Propheten, zum König - durch die Wahrheit des einen und durch die Lüge des anderen.

Was ist nun der Wille Gottes? Dass der König in diesen Krieg zieht und darin umkommt? Es scheint so nach dem, was Micha aus seiner Vision berichtet. Gott hat befohlen, den König zu täuschen. Und wo Gott selbst so gegen ihn agiert, hat Achab keine Chance.

Hier steht nicht der wahre Gott gegen die falschen Götter wie bei Elia. Hier ist der wahre Gott selbst der Verführer zum Unheil geworden. Und hat dazu das Böse in seinen Dienst genommen.

Das ist eine unheimliche Aussage über Gott.

Erkennen wir in ihr den Gott Israels und Vater Jesu Christi wieder?

Wenn das nun auch für uns, für die christliche Kirche akut werden könnte, für uns, die wir Gottes Wort verkündigen sollen. Können wir ausschließen, dass wir selbst wie die falschen Propheten reden im Interesse der Mächtigen? Das liegt nicht so fern, wenn wir an Kriegspredigten und Waffensegnungen auch in der neueren Kirchengeschichte denken. Und was sollen wir sagen, wenn nach Gottes Willen bei Kriegseinsätzen in Irak, Afghanistan und Libyen gefragt wird?

Und bei dem allen die unheimliche Frage: Kann es sein, dass – durch welche Geister auch immer - Gott selbst uns betört und täuscht?

Ich kehre noch einmal zurück zu Michas Geschichte. Da ist noch etwas, das nachdenklich macht.

Warum eigentlich hat Micha vor dem König aufgedeckt, was er im Himmel gesehen und gehört hat? Warum hat er vor ihm enthüllt, dass Gott mit ihm ein Doppelspiel gespielt hat und dass die Botschaft der Heilspropheten zwar in Gottes Dienst ergangen ist, aber in Wahrheit Lüge war?

Damit hat Micha doch dem König die Tür geöffnet, die Botschaft der Kriegspropheten als falsch zu durchschauen. Und Gottes Spiel zu durchschauen.

Müssen wir nicht annehmen: Gott selber wollte es so. Er selber war es, der den Propheten aus dem Himmel hat erzählen lassen. Warum? Damit Achab erkenne: Hinter dem Verführer zum Krieg als der mir Gott jetzt gegenübertritt, verbirgt sich der wahre Gott. Und der will diesen Krieg nicht.

Der will nicht, dass ich ihm als Verführer auf den Leim gehe. Der will mich vor dem Verführergott und vor mir selbst und meiner Machtgier bewahren, damit ich nicht in mein Unheil renne. Ich soll umkehren.

Darum hat Gott die Verborgenheit seines wahren Willens unter der Lüge der Heilspropheten -  aufgedeckt.

Es zieht sich als Gottes Geheimnis durch die Geschichte, dass er sein Handeln und damit sich selbst verbirgt unter dem Gegenteil. Hier kommt er dem Achab als Verführer, da tritt er Menschen als ihr Feind entgegen. Wie können  wir ihm da glauben?

Unser Glaube bleibt darauf angewiesen, dass er selbst uns seine Verborgenheit aufdeckt.

Es spannt sich ein großer Bogen von der Geschichte des Propheten Micha und des Königs Achab zur Geschichte von Golgatha.

Da verlässt Gott den, der an ihm festhielt und nach ihm schrie, lässt ihn töten und sterben. Wo ist da Gott? Warum verbirgt er sich unter der Ungerechtigkeit?

Und es ist doch Gott selbst, der diese Verborgenheit aufgedeckt hat, als er den Deckel vom Grab hob und sich zu dem bekannte, der gottverlassen starb. Und hat den Gekreuzigten auferweckt von den Toten, damit er lebe und wir mit ihm leben sollen.

Das ist Gottes Geheimnis im Geheimnis seiner Verborgenheit: Er deckt sie auf, damit wir hören und glauben und erkennen und umkehren und leben. Einen Vernunftbeweis gibt es dafür nicht.

Der König Achab hört nicht und erkennt nicht. Obwohl er doch gespürt hat, dass Micha die Wahrheit sagt. Er hat die Wahrheit ja auch von Micha eingefordert. Nur will er die Wahrheit nicht wahr haben. Der König steht sich selbst im Weg.

Der Prophet aber steht mit leeren Händen da. Er kann nicht beweisen, dass Gott durch ihn zum König geredet hat.

Achab gibt Befehl, den Propheten bei wenig Wasser und Brot gefangen zu halten – „bis ich in Frieden aus dem Krieg zurückkomme“. Dann wird sich zeigen, wer Recht hatte.

Micha antwortet dem König: „Wenn du wirklich zurückkehrst in Frieden, hat der Herr, der Gott Israels, nicht durch mich geredet. Und er sprach: Hört, alle Völker!“

Der Prophet ruft das Forum der Völkerwelt auf. Sie soll den Wahrheitsbeweis vernehmen, den Israels Gott selbst durch die Ereignisse führen wird. Was eine offene Frage ist, ist auch wie eine Verheißung für die Völkerwelt.

Bis Gott selbst den Wahrheitserweis führt! So lange macht er es auch uns nicht leicht. Verbaut uns mitunter selbst den Weg, seine Wahrheit zu erkennen und das, was uns zum Heil ist.

Lassen wir uns von dem Propheten Micha vor das Geheimnis im Geheimnis führen: Dass Gott unserer Erkenntnis da die Tür öffnet, wo er sich und seinen guten Willen unter dem Gegenteil verborgen hat. Amen.


Prof. Dr. Hans Theodor Goebel