Reserve

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


Ersatzreifen und Benzinkanister: Politische Reserven gibt es in Deutschland genug - so viele, dass sie oft zigfach über das selbe debattieren © Pixabay

Warum die Memoiren des jungen Prinzen Harry den Titel „Reserve“ tragen, weiß ich nicht. Ich assoziiere mit dem Wort einen kleinen Hebel im Fußraum des alten VW-Käfers, der sich mit der Fußspitze betätigen ließ.

Wenn der Motor zu stottern begann, weil der Benzintank leer war, da öffnete sich die sogenannte „Reserve“, fünf Liter Treibstoff, mit denen man die nächste Tankstelle erreichen konnte. Verfügt nicht auch Deutschland über eine solche Reserve?

Als das Land verzweifelt nach einer neuen Besetzung an der Spitze des Verteidigungsministeriums suchte, schauten die Journalisten ganz verdutzt auf die Wahl, die der Bundeskanzler getroffen hatte: Kein Bundespolitiker, sondern Boris Pistorius, Minister eines Bundeslandes. Ihn hatten sie nicht auf dem Zettel. Überraschung!

Wo auf der Welt gibt es ein Land, das über eine solche Fülle erfahrener Minister und Staatssekretäre verfügt? Nicht nur Kultus- und Wissenschaftsminister, auch Innen-, Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Sozialminister und viele andere und davon gleich sechszehn, wenn man die Senatoren aus Berlin und den Hansestädten dazurechnet. Der deutsche Föderalismus mit seinen sechszehn teilsouveränen Staaten ist zunächst eine riesige Verschwendung. Es wird alles zigfach nebeneinanderher debattiert, zigfach dasselbe untersucht, geplant, erprobt und mit Abweichungen durchgeführt.

Unter der Ineffizienz dieses Systems leidet nicht nur das deutsche Bildungssystem. Auch in allen anderen Politikbereichen werden durch die Kleinstaaterei Ressourcen vergeudet. Wie günstig wäre es, in allen Bundesländern dieselben Lehrbücher, dieselben Polizeiuniformen, dieselben Bauvorschriften usw. zu haben? Genauso sieht es bei der evangelischen Kirche aus, die sich den Luxus von zwanzig Landeskirchenämtern leistet und über schwindende finanzielle Ressourcen klagt.

Am Ende des Tages könnte aber doch Segen darauf liegen, dass es in Deutschland alles in solcher Hülle und Fülle gibt. Wenn die Wirtschaft ins Stottern kommt und die Steuereinnahmen drastisch zurückgehen, wird man sich an den guten alten Reserve-Hebel erinnern. Langsam aber sicher wird die Bündelung der Ressourcen als Zukunftschance erkannt werden und sowohl den Staat als auch die Kirche vor dem Stillstand bewahren.


Paul Oppenheim