Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist

Eine Predigt zu Micha 5,2-5 - Weihnachten 2014


Blick auf Betlehem bei Nacht - Josef Langl (1843-1920)

Von Paul Kluge, Pfr., Leer

Wir beginnen im Namen Gottes, des Allmächtigen. Unsere Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat, der Bund und Treue hält ewiglich und der nicht preisgibt das Werk seiner Hände. Amen.

Gesang: EG 41, 1 – 3;

Gebet: Guter Gott, du hast dich vom Anfang uns Menschen zugewandt. Das feiern wir heute, indem wir dich loben und dir danken. Lass unser Denken, Reden und Tun dir zu Ehren geschehen. Dafür hören wir auf dein Wort, dass es Licht sei auf unseren Wegen und Leuchte unseren Füßen. Amen

Lesung: Lk 2, 1 – 14

Gesang. EG 56, 1

Lesung: Lk 2, 15 – 20 und HK 31

Gesang: EG 56, 2 – 5

Liebe Geschwister,
einen Abschnitt aus dem Buch des Propheten Micha möchte ich heute bedenken. Ein Text, der vielen bekannt ist, und wenn sie ihn hören, denken sie gleich an Weihnachten. Der Text steht Kap 5, VV 2 – 5a: „Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und in der Macht des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit Herr werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.“

Micha, sein voller Name ist Michaja, „Wer ist wie Gott“, stammte aus dem Dorf Moreschet in der Provinz Gad. Er predigte zwischen 757 und 697 vor Christus. Über sein Leben wissen wir nichts, nur einige seiner Predigten sind überliefert. Zeitgleiche Kollegen Michas waren Jesaja, Amos und Hosea. Was sie verbindet, vermittelt uns einen Eindruck von jener Zeit. Es ist ihr Engagement für die Armen. Ihnen soll es besser gehen, und das soll rechtlich geregelt werden. Der Willkür von Wirtschaft und Verwaltung soll per Gesetz ein Riegel vorgeschoben werden, damit alle gut leben können.

In ihrer Argumentation berufen sie sich auf die heiligen Schriften, die Bücher Mose besonders. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert,“ erinnert Micha seine Hörerinnen und Hörer, nämlich „nichts als Recht üben und Güte lieben und demütig wandeln vor deinem Gott.“

Natürlich nimmt Micha auch zu politischen Entwicklungen Stellung, mischt sich ein, wo er es für geboten hält. Wie auch seine Kollegen sieht er sein Land durch die Bündnis und Verteidigungspolitik der Regierung in Gefahr. Micha und seinen Kollegen geht es darum, die Machtlosen vor den Machthabern zu schützen, es geht ihnen darum, die Kleinen groß zu machen und die Großen zu schrumpfen. Damit sie sich auf Augenhöhe begegnen können.

Da wir nichts über das Leben Michas wissen, darf ein bisschen Phantasie die Lücken etwas füllen. Und so denke ich mir, dass Micha eines Tages an einer Predigt arbeitet. Und dass er nun an einen Punkt gekommen ist, an dem es hakt, an dem er einfach nicht weiterkommt.

Als alles Trommeln auf der Tischplatte nichts hilft, steht er auf und geht in die Küche. Inspiziert die Kochstelle und nimmt sich etwas zu essen. „Kommst du nicht voran?“ fragt seine Frau; sie kennt das schon. „Erzähl mal“, fordert sie ihn auf und näht weiter an einem Hemdchen für ihr erwartetes Kind. Das erste wird es sein, und oft reden sie und Micha über seine Zukunft.

„Ein Bild von der Zukunft habe ich mit Worten gemalt“, beginnt Micha, „mit dem Berg Gottes als Zentrum der Welt. Alle Völker strömen dort hin, um Gottes Wege zu lernen. Schwerter sollen zu Pflugscharen und Spieße zu Rebmessern werden, ein Friedensreich soll entstehen. Du kennst den Text, ich habe ihn vor einiger Zeit zusammen mit Jesaja erarbeitet.“

Micha stopft sich ein paar Trauben in den Mund und fährt fort: „Für dieses Friedensreich ist zunächst ein großes Aufräumen und Saubermachen in Gottes Volk selber nötig. Das werden viele als Untergang erleben, als Ende alles dessen, was bisher galt. Denn sie verstehen Gottes Wege nicht, sehen sie nicht einmal. ‚Auf und drisch, Tochter Zion!‘ hab ich geschrieben.“ – „Um die Spreu vom Weizen zu trennen?“, fragt seine Frau dazwischen. „Ja“, bestätigt Micha, „und es gibt weit mehr Spreu als Weizen, auch bei uns.“ – „Leider“, bestätigt seine Frau, „und wie, denkst du, soll deine Predigt weitergehen?“

Micha überlegt laut, dass er Hoffnung wecken wolle, Mut machen, Zuversicht geben. Und dass er dafür ein Bild suche, das alle verstünden. Jedenfalls die meisten, schränkt er ein, denn gewiss gäbe es welche, die das nicht verstehen wollten. Solche nämlich, die die ungerechte Verteilung von Arm und Reich behalten möchten.

„Ich würde“, meint seine Frau, „das Bild vom Friedensreich wieder aufnehmen. Dass es wie ein Senfkorn wächst und sich ausbreitet z. B. Dass es gerade die anzieht, nein, hochzieht, die unten sind.“

„Oder die ins Licht holt, die im Dunkel sitzen“, ergänzt Micha. – „Das ist schön“, bestätigt seine Frau. – „Ja, schön, aber mehr auch nicht“, reagiert Micha etwas bitter, „das Bild ist mir zu wenig konkret. Ich will lieber etwas mit Menschen, weißt du, Menschen, mit denen man sich identifizieren kann. Am besten mit vielen Menschen, damit es nicht nach einem besonderen Glücksfall aussieht. Verstehst du?“

Ein wütender Blick trifft Micha. Am liebsten würde er sein „Verstehst du?“ ausradieren, wenn das denn möglich wäre. Doch ein gesagtes Wort lässt sich nicht ungesagt machen. Das hat Micha schon oft bedauert, nicht nur seiner Frau gegenüber.

„Entschuldige“, sagt er, „ich weiß ja, dass du mich verstehst. Oft sogar besser als ich selber. Eigentlich wollte ich fragen, ob ich mich einigermaßen klar ausgedrückt habe.“ – „Hast du“, beruhigt sie ihn und fährt fort: „du möchtest also zeigen, wie eine große Gruppe von Menschen, die das Schicksal der Dunkelheit teilen, den Weg ins Licht finden. Richtig?“

„Genau das“, sagt Micha, „und ich möchte zeigen, dass das wirklich so werden kann, möchte den Menschen ein Ziel vor Augen malen, auf das sie warten können. Das…“

Ein leiser Schrei seiner Frau unterbricht Micha; sie hat eine Hand auf ihren Bauch gelegt, mit der anderen legt sie seine Hand daneben. „Spürst du das? Es strampelt“, freut sie sich, und Micha freut sich mit. „Das hat richtig weh getan“, sagt seine Frau mit strahlendem Lächeln. Das kann Micha nun nicht so ganz verstehen. Doch er versteht, dass seine Frau ihm ein treffendes Bild geschenkt hat: Mit dem Friedensreich schwanger gehen und auf die Stunde seiner Geburt warten.

Er setzt sich zu seiner Frau, legt den freien Arm um ihre Schulter und drückt sie an sich. Gemeinsam warten sie auf weiteres Strampeln, doch das Kind rührt sich nicht. „So sind die Kinder“, flachst Micha, „tun einfach nicht, was die Eltern erwarten.“ – „Die sind auch nicht besser, als wir waren“, erinnert ihn seine Frau.

„Da hast du allerdings recht“, stimmt Micha ihr lachend zu, „und das gilt auch für viele, die sich Kinder Gottes nennen. Auch sie brauchen einen Vater, der sie mit Strenge und Liebe leitet. Der gerecht ist und gnädig. Lange Leine, aber Leine. Sonst verwildern sie. Und was dabei herauskommt, sehen wir in Assur und anderen Ländern.“ – „Und bei denen, die bei uns den Ton angeben“, ergänzt seine Frau, „die sind doch auch geradezu verwildert und entfesselt in ihrer Gier nach Macht und Geld. Kann man die überhaupt noch zur Vernunft bringen? Oder halten die es für unvernünftig, von ihrem Überfluss denen abzugeben, die zu wenig haben? Das wäre doch der beste Schutz für ihren Wohlstand!“ – „Und bestimmt billiger als alle Sicherheitsvorkehrungen“, fügt Micha noch hinzu, bevor er in ein längeres Schweigen fällt. Seine Frau näht an dem Kinderhemdchen weiter.

Nach einiger Zeit steht Micha wieder auf und nimmt sich noch ein paar Trauben. „Hast du eine Idee?“, fragt seine Frau. „Vielleicht“, antwortet Micha und schweigt. „Nun sag schon“, drängt seine Frau und mit „Ähm, ja, also“, setzt Micha an. „Also“, macht Micha weiter, „ich denke an eine Gegend oder Stadt, die verarmt ist, heruntergekommen, verlassen auch, wenigstens teilweise. Wo nur noch Menschen leben, die zu schwach oder zu arm sind, den Ort zu verlassen.“

„Denkst du an Bethlehem?“, fragt seine Frau dazwischen, und Micha starrt sie an: „Das ist es! Hatte ich nicht dran gedacht, aber das ist es. Als Geburtsstadt Davids einst eine Touristenattraktion. Heute strömt alles nach Jerusalem mit seinen Palästen und dem Tempel, und Bethlehem verkommt. Und was wünschen sich viele Leute heute? Einen Regenten wie David, der Vorbild ist …“

„Nicht nur!“ wirft seine Frau ein; Micha nickt. „Aber ein Regent, der die Menschen, der das Volk eint und nicht spaltet, der sich um Gerechtigkeit und Rechtssicherheit kümmert und dessen Ziel es ist, dass alle in Frieden und Freiheit leben.“

Michas Frau sieht ihn fragend an, und er schränkt ein: „Jedenfalls wird David heute so dargestellt und gesehen. Etwas überhöht, das gebe ich zu. Aber ein Ideal ist immer schöner als seine Wirklichkeit. Man kann sich ihm nur nähern, es ist ein Ansporn. Weißt du was? Ich werde mit Worten ein neues Bethlehem malen als einen Ort nicht nur mit blühenden Landschaften, sondern mit aufblühenden Menschen; als einen Ort, der seine alte Bedeutung wiederfindet und neue Bedeutung bekommt; als einen Ort, in dem die alte Tradition zu neuem Leben erwacht. Ein geistiges und geistliches Zentrum für alle.“

Micha räuspert sich und trinkt einen Schluck Wasser, während seine Frau anmerkt: „Und Bethlehem steht dann für unser Land, für unser Volk. Du meinst, deine Hörer können das übertragen?“ – „Das will ich hoffen. Und vor meinem inneren Auge sehe ich in dem neuen Bethlehem einen Mann, der dies alles mit Liebe umsetzt; der ein wirkliches Vorbild ist, ein guter Hirte. Dem es um alle Menschen geht, um Heilung und Heil unserer ganzen Welt.“

Micha nimmt noch einen Schluck Wasser, seine Frau schürt das Feuer. Als sie sich wieder erhebt, ist Micha verschwunden, und sie setzt ihre Näharbeit fort.

Nach gar nicht langer Zeit kommt Micha wieder in die Küche und liest: „Du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und in der Macht des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit Herr werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.“

„Sehr gut“, lobt seine Frau, und Micha freut sich. Dass Jahrhunderte später seine Worte auf Jesus von Nazareth, den Christus, bezogen werden, ahnt er nicht. Amen

Reimpsalm 47, 1 – 3

Gebet: Guter Gott, Weihachten erinnert uns daran, dass uns gesagt ist, was gut ist: Recht zu üben, Güte zu lieben und demütig vor dir zu wandeln. Damit können wir im Frieden leben, im Frieden mit dir, mit unseren Mitmenschen und auch mit uns selbst. Dafür sagen wir dir unseren Dank.

Guter Gott, oft wird der Friede gestört: innerer Friede, wenn wir innerlich zerrissen sind; äußerer Friede, wenn böse Worte oder schlimmes Handeln uns von anderen Menschen trennen; wenn Arme immer ärmer werden, weil Reiche immer reicher werden; wenn Kriege und Gewalt unsägliches Leid bringen. Friede mir dir leidet, wo dein Recht missachtet, wo Gier an die Stelle von Güte tritt, wo menschlicher Hochmut sich über dich erhebt. Wir bitten dich um Kraft, Störungen des Friedens entgegenzutreten.

Guter Gott, Weihnachten erinnert uns daran, dass deine Liebe allen Menschen gilt. Lass deine Liebe in uns wirken, dass sie zur Grundlage unseres Handelns wird. Mach uns zu Werkzeugen deines Friedens, dass wir Liebe üben, wo man sich hasst, dass wir verzeihen, wo man sich beleidigt, dass wir verbinden, wo Streit ist, dass wir die Wahrheit sagen, wo Irrtum herrscht, dass wir Glauben bringen, wo Zweifel drückt, dass wir Hoffnung wecken, wo Verzweiflung quält, dass wir ein Licht anzünden, wo Finsternis regiert, dass wir Freude machen, wo Kummer wohnt.

Herr, lass uns trachten: nicht, dass wir getröstet werden, sondern dass wir trösten; nicht, dass wir verstanden werde, sondern dass wir verstehen;

nicht, dass geliebt werden, sondern dass wir lieben. Denn wer hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet; wer verzeiht, dem wird verziehen.

Guter Gott, was uns noch auf dem Herzen liegt, was uns erleichtert und was uns bedrückt, bringen wir vor dich und beten gemeinsam:

Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Herr, wir bitten: Komm und segne uns und behüte uns. Lass leuchten dein Angesicht über uns und sei uns gnädig. Erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns Frieden. Amen

Gesang: EG 44, 1 – 3


Paul Kluge, Leer