Aktuelles
Aus den Landeskirchen >>>
Aus den Gemeinden >>>
Aus dem Reformierten Bund >>>
Kolumne >>>
from... - die reformierte App
Newsletter
Wir auf Facebook
Wann wird Israelkritik antisemitisch?
Von Tobias Kriener
Die mir gestellte Frage: Wann wird Israelkritik antisemitisch? halte ich für nicht sehr geglückt. Denn sie läuft darauf hinaus, eindeutige Kriterien zu benennen, die kritische Bemerkungen zur israelischen Politik gegenüber dem Verwurf des Antisemitismus immunisieren. Das ist aber nicht möglich. Z.B. betrachten Mitglieder der derzeitigen Regierung Israels jede politische Entscheidung der EU, die der derzeitigen israelischen Regierung nicht genehm ist, als Ausfluß des "europäischen Antisemitismus", während fundamentalistische Kreise in den USA, obwohl sie eine manifest antijüdische Theologie vertreten, von dieser Regierung als "Freunde Israels" geschätzt werden, weil sie die derzeitige Politik Israels enthusiastisch unterstützen. Man wird also damit leben müssen, vom Bannstrahl des Antisemitismusvorwurfs getroffen werden zu können, wenn man sich kritisch mit der israelischen Politik beschäftigt.
1. Vergleiche zwischen aktueller israelischer Politik und der Politik des Nationalsozialismus sind in jedem Falle abwegig, weil sie zur Analyse israelischen Politik nichts beitragen. Wenn sie gebraucht werden, schüren sie Emotionen. Deshalb meine ich: Wer solche Vergleiche verwendet, der will Emotionen schüren - und damit der sachlichen Debatte ausweichen.
2. Einer der zentralen Topoi des politischen Antisemitismus ist der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung - "klassisch" gefasst in den "Protokollen der Weisen von Zion", einer Schmähschrift der zaristischen Geheimpolizei. Dieser Mythos spukt auch in viel subtilerer Form in den Köpfen herum, z.B. in der Form des angeblich dominierenden Einflusses der "jüdischen Lobby" auf die US-Politik. Wenn in Debatten über die Hintergründe der amerikanischen Politik, des 9.11.2001 oder anderer Vorgänge mit angeblichem "jüdischen Einfluß" argumentiert wird, ist jedenfalls der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass die Leute, die so argumentieren, dem Mythos von einer "jüdischen Verschwörung" aufsitzen. Auch hier gilt: Zum Verständnis komplexer Vorgänge tragen solche pauschalen Verdächtigungen nichts bei, sondern lenken nur von der genauen Analyse ab.
3. Die vielgerühmte "europäische Kultur" ist historisch tief geprägt vom christlichen Judenhass. Dieser hat seine Spuren im Alltagsdenken -und reden so tief eingegraben, dass sie vielfach nur in detektivischer Kleinarbeit aufzuspüren sind. So kommt es, dass "in aller Unschuld" antijüdische Stereotype verwendet werden. Bekanntestes Beispiel: Die Rede vom Judentum als einer Gesetzes- und Vergeltungsreligion, häufig auf die Formel "Auge um Auge, Zahn um Zahn" gebracht, wenn von israelischen Militäraktionen die Rede ist. Hier hilft nur eins: Die Beschäftigung mit der europäischen Tradition des religiösen Judenhasses. Diese Aufgabe kann auch denen nicht erspart werden, die selber keinerlei innere Verbindung zum Christentum mehr haben. Die Verdrängung der problematischen Tradition hilft nicht, denn das Verdrängte kommt an unvermuteter Stelle wieder zum Vorschein. Nur das mühselige Durcharbeiten der Tradition eröffnet die Möglichkeit, sie auch zu überwinden.
4. Eins muss glasklar sein: Das Existenzrecht Israels kann nicht zu Debatte stehen. Wenn Argumentationen auf eine Infragestellung dieses Existenzrechts hinauslaufen, ist die Grenze überschritten. Auch hier ist auf subtile Formen zu achten: Wenn beispielsweise jemand behauptet, der Staat Israel sei - weil er "wesensmäßig" "klonialistisch" oder "faschistisch" oder "rassistisch" sei - zu einer friedlichen Koexistenz mit seinen Nachbarn nicht in der Lage, dann läuft das auf eine Delegitimierung Israels hinaus, der wir zu widerstehen haben.
Mit einem Wort: Es gibt kein "Patentrezept", sondern notwendig ist die unablässige sorgfältige Selbstprüfung. Kein einfacher Weg! Aber leichter können wir es uns nicht machen.
Quelle: zeichen. Zeitschrift der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., Heft Nr. 4, 2004, S. 10.
Dr. Tobias Kriener