Was mich als Jugendliche davor bewahrte, vom Glauben abzufallen

Der ''Konfer'' ein Schock, ''Atheistsich an Gott glauben'' die Rettung. Mittwochs-Kolumne von Barbara Schenck

"Bei dir muss das als Jugendliche wohl anders gelaufen sein", meint eine Freundin, die ihren verlorenen Glauben gern zurück hätte. "Dir ist Gott nicht abhanden gekommen, sonst wärst du ja nicht Pastorin geworden." Mein jugendlicher Glaube, wie stand's um den? Da sind sie wieder die Achtziger.

Der Konfirmandenunterricht - ein Schock. Der Pastor wollte uns beibringen: Ein Jugendlicher, der bei einem waghalsigen Motorradwettrennen verunglücke, verstoße gegen das Verbot, du sollst nicht töten. Etwas Action in den Unterricht brachte ein Feuerchen, das ein Konfi auf dem Fußboden entfachte. Warum ich mich konfirmieren ließ? Meinen Eltern zuliebe und meiner schon vom Tod gezeichneten Oma, einer Pfarrwitwe. Danach geschah das Paradoxe. Oder wirkte der Heilige Geist? Der Glaube packte mich im "atheistisch an Gott glauben". Gott kann sich "zwischen Menschen ereignen", in jenem 'das habt ihr mir getan', so lernte ich es von Dorothee Sölle. Die Auferstehung Christi zu glauben, hieß jetzt aufzustehen gegen Atomwaffen, gegen Armut, gegen Atomkraft, hieß: nicht abzustumpfen beim Anblick all des Leids, nicht zu verzweifeln nach Auschwitz. Ostern erlebte ich im Bremer Ostermarsch.
Die Ernüchterung ließ im Theologiestudium nicht lange auf sich warten. Meine "Startheologin" war im Wissenschaftsbetrieb nicht gerade hoch angesehen. Einige ihrer Erkenntnisse kamen allzu plakativ daher: "Auf den Sturz der - zweideutigen - Götter folgt die Herrschaft des Moloch. Auf die Vermännlichung Gottes und die Verdrängung der weiblichen Seite Gottes folgt die Vergöttlichung des Mannes - in der Technokratie."

Zurück ins Jahr 2013. "Warum Deutschland neu träumen muss", beschreibt der Psychologe Stephan Grünewald in seinem Buch über die erschöpfte Gesellschaft. Seine Analyse: Im Streben nach dem Paradies auf Erden verwandeln wir unseren "Lebensalltag in eine Art Vorhölle" unter dem Diktat von Perfektionszwang und überhöhten Ansprüchen beim Trachten nach dem absoluten Glück. Grünewalds Plädoyer: Lasst die "Narrenfreiheit" des nächtlichen Traums in den Tag wirken, nehmt euch Zeit, die Gedanken beim Blick aus dem Fenster schweifen zu lassen, verdrängt die träumerischen "Querköpfe" nicht aus euren Betrieben. Zu träumen bewahrt nicht nur vor Burnout, es nützt auch der eigenen Kreativität. Das ist ein sympathischer Gedanke.
"Ein Volk ohne Vision geht zugrunde" (Sprüche 29,18), warnt Dorothee Sölle. Dieser Traum meint mehr als die "Dehnungsfuge" unverplanter Zeit für Eingebungen, die grad' so daherkommen. Den Traum vom Paradies auf Erden gilt es zu nähren im Tun des Guten.
Zugegeben, mein jugendlichen Elan im Kampf für irdene Utopien ist arg abgeflaut. Aber eins ist geblieben. Die Dankbarkeit für ein Motto "Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit" und Sätze wie diesen: "Ich denke, dass einer der atheistischsten Sätze der Gegenwart ist, wenn man sagt: 'Ich kann ja sowieso nichts daran machen.'"

Vor zehn Jahren, am 27. April 2003, starb Dorothee Sölle.

Sölle-Zitate aus:
Atheistisch an Gott glauben. Beiträge zur Theologie, München 1983 (1968), 75.
Es muss doch mehr als alles geben. Nachdenken über Gott, München 1995 (1992), 34.
Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit, Freiburg i.B. 2013 (1995), 42.49.

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Barbara Schenck, 24. April 2013