Aktuelles
Aus den Landeskirchen >>>
Aus den Gemeinden >>>
Aus dem Reformierten Bund >>>
Kolumne >>>
from... - die reformierte App
Newsletter
Wir auf Facebook
Wer Stimmung macht gegen Flüchtlinge verrät Christus
Eine Andacht von Sylvia Bukowski:
Einmal vorausgesetzt, man nähme sie und ihre Parolen ernst, dann dürfte man eigentlich die Geburt Christi, und damit das Fundament des „christlichen Abendlandes“ nicht mehr feiern. Denn Jesus war ein Flüchtlingskind. Bei Matthäus ist das ganz klar gesagt. Sie kennen alle die Geschichte, wie die heilige Familie fliehen muss vor der Gewalt des Herodes, der – wie viele Herrscher bis heute – bereit ist, über Leichen zu gehen, nur um an der Macht zu bleiben.
Bei Lukas ist der Flüchtlingsstatus von Jesus und seiner Familie etwas verborgener, nicht zuletzt, weil Lukas ein sehr staatstreuer Evangelist war. Am Anfang seiner Weihnachtsgeschichte heißt es:
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot des Kaisers Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlecht Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger.
Die Absicht hinter dieser verordneten Schätzung ist klar. Das römische Reich, bis heute Inbegriff von „Imperium“, möchte aus seinen Bürgern und Untertanen soviel wie möglich herausholen. Mit dem Geld will man die Armee finanzieren, den eigenen Machtbereich weiter ausdehnen und den Luxus der Regierungsmitglieder bezahlen. Das Übliche.
Jeder musste sich schätzen lassen: Was lässt sich herauspressen, zur Not auch mit Gewalt. Historische Berichte beschreiben, dass die römischen Behörden bei dieser Schätzung alles andere als zimperlich vorgingen, gleichgültig, was diese Maßnahmen für die Menschen bedeuteten.
Nun sage keiner, das wäre inzwischen alles vorbei! Das System des Taxierens, Klassifizierens und unter Drucksetzens ist auch heute verbreitet. Betriebe sollen effizienter werden, die Gewinnspanne gesteigert, die Leistung einzelner immer höher.
Jeder muss sich schätzen lassen.
Aber warum um alles sollte Josef dafür nach Bethlehem gehen müssen, noch dazu mit seiner schwangeren Verlobten, die als Frau sowieso nichts zählte! Was sollte Rom für ein Interesse daran gehabt haben, von allen Einwohnern Israels zu verlangen, dass jeder in die Stadt seiner Vorfahren geht. Das wäre doch vorprogrammiertes Chaos, schlimmer als unser weihnachtlicher Reiseverkehr! Und so ein Chaos wäre doch den radikalen Gruppen entgegengekommen, die gezielt Terroranschläge gegen die Steuerpolitik Roms verübten, weil die so viele Existenzen zerstörte und Familien in bitterste Armut trieb. Außerdem: War für Josef nicht Nazareth „seine“ Stadt?
Es spricht viel dafür, dass Josef mit Maria vor den zu erwartenden Schikanen flieht, nach Bethlehem, wo seine Vorfahren herkamen, wo er sich auskannte, wo vielleicht auch noch Verwandte wohnten. Allerdings nahm ihn dort keiner auf, vielleicht aus Angst vor den Behörden. Deshalb sucht er für sich und Maria in einer der zahlreichen Höhlen um Bethlehem herum Schutz, die damals als Stall dienten und die man heute dort noch sehen kann.
Dort kommt Jesus zur Welt, geboren als Kind von Wirtschafts-, besser gesagt: von Armutsflüchtlingen, wie sie den Leuten von PEGIDA ein Dorn im Auge sind.
Bis hierhin spiegelt die Weihnachtsgeschichte nur eine bittere Realität, wie wir sie auch aus vielen Medienberichten kennen – gerade, wenn sie sich auf die Gegend beziehen, in der Quirinius damals Statthalter war: auf Syrien und den ganzen mittleren Osten.
Aber nun ist die Weihnachtsgeschichte ja mehr als nur ein Spiegel unserer Realität. Sie öffnet sie für Gottes Realität und bietet damit tragfähigen Grund, uns trotz allem zu freuen und Weihnachten fröhlich zu feiern.
Denn in dem Kind in der Krippe begegnet uns Gott. Aus seinen Augen schaut er uns an. Und wie jedes Menschenkind, taxiert er uns nicht, fragt er nicht, ob wir es wert sind, geliebt zu werden. Alle, die zu ihm kommen, sieht er vorbehaltlos mit Augen der Liebe an. Und während unsere Kinder diesen vorbehaltlosen Blick auf andere mit der Zeit verlieren, behält ihn Jesus sein Leben lang. Nicht einmal von seinen Gegnern wendet er ihn ab und noch am Kreuz bittet er für die, die ihn hassen.
So erweist er sich als Heiland der Welt; als der, der alle Zerrissenheit heilt.
Wer Weihnachten feiert, kommt an diesem Flüchtlingskind nicht vorbei. Der kann dessen vorbehaltlosen Blick auf andere nicht ignorieren. Wer Stimmung macht gegen die, die wie dieses Kind fliehen mussten und bei uns Schutz und ein besseres Leben suchen, verrät den Christus, auf den sich das „christliche Abendland“ beruft.
Sylvia Bukowski, 17. Dezember 2014