Wir brauchen eine 'neue Reformation'

Zwingli-Predigt zu Ex 12


Mehr als nur Wurstessen zur Fastenzeit: Für Zwingli war mit der 'Re-formation' Rückbesinnung auf die Ursprünge angesagt © Pixabay

Von Dr. Achim Detmers

Lesung (2. Mose 12,1.3-4.6-8.11-14.21-22)

1 Der HERR redete mit Mose und Aaron im Lande Ägypten: (...) 3 Teilt der ganzen Gemeinde Israel Folgendes mit: ›Am zehnten Tag dieses Monats soll jede Familie sich ein Lamm aussuchen, Haushalt für Haushalt. 4 Wenn die Leute in einem Haus alleine kein ganzes Lamm essen können, dann sollen sie sich mit so vielen Nachbarinnen und Nachbarn zusammentun, bis sie in der Lage sind, ein ganzes Lamm zu verspeisen. (...)

6 Ihr haltet es gesondert bis zum 14. Tag des Monats. Dann schächtet ihr es, so weit die Gemeinde Israels reicht, und zwar in der Abenddämmerung. 7 Alle sollen sie dann etwas von dem Blut an die Türpfosten und den Querbalken der Häuser streichen, in denen sie das Mahl halten. 8 Sie müssen das Fleisch, am Feuer gebraten, in derselben Nacht essen. Mazzen und bittere Kräuter gehören dazu. (...) 11 Ihr selbst sollt beim Essen bereit zum Aufbruch sein: das Gewand mit dem Gürtel geschürzt, die Füße mit Sandalen geschützt, den Wanderstab in der Hand. Ihr esst wie auf der Flucht. Denn es ist das Pessach, d.h. das Vorbeigehen des HERRN.

12 Ich werde in jener Nacht durch Ägypten gehen und alles Erstgeborene im Lande töten, angefangen bei den Menschen, bis hin zu den Tieren. Gegen alle Gottheiten Ägyptens vollstrecke ich die Strafen, ich heiße Ich-bin-da. 13 Das Blut an euren Häusern soll für euch ein Schutzzeichen sein. Ich sehe, wo ihr wohnt, und gehe an euren Häusern vorbei; sie soll mein vernichtender Schlag nicht treffen, wenn ich tötend durch Ägypten gehe. 14 Dieser Tag wird euch zum Gedenktag, ihr sollt ihn künftig als Fest für den HERRN feiern. Das ist für immer eure Pflicht. (...)

21 Mose rief die Familienvorstände Israels zusammen und redete zu ihnen: »Nun geht, sucht euch für jeden Haushalt ein Lamm, schächtet es zum Pessachmahl. 22 Dann nehmt ihr ein Büschel Ysop, taucht es in die Schale mit dem Blut und bestreicht damit den Querbalken und die beiden Seitenpfosten der Tür. Ihr selbst dürft bis zum nächsten Morgen das Haus nicht verlassen.

 

Predigt

»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

I. Liebe Gemeinde,

durch die Konjunktur werden auch in diesem Jahr die Kirchensteuereinnahmen sprudeln. Das freut die Kirchenleitungen; es können Rücklagen für schlechtere Zeiten gebildet werden. Denn darin ist man einig: Wenn die Konjunktur ins Stocken gerät, dann werden die Kirchenaustritte voll zu Buche schlagen. Und da ist es vorrangig, jetzt schon etwas zurückzulegen und notwendige Strukturreformen einzuleiten.

Zugleich täuschen die vollen Kirchenkassen ein wenig darüber hinweg, dass wir als Kirchen gehörig in der Krise sind. Religion generell steht im Verdacht, schädlich zu sein. Der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen wird kritisiert. Das Modell des sonntäglichen Gottesdienstes erreicht viele Menschen nicht mehr. (Pause)

Wir Pastoren merken das; und wir stehen ordentlich unter Druck. Zum einen gilt es, die dauernden Strukturreformen umzusetzen, zum anderen uns gegen den Bedeutungsverlust zu stemmen. Und da tröstet es wenig, dass das auch anderen so geht: Lehrern, Polizistinnen, Ärzten, Politikerinnen, Gewerkschaftern, Journalistinnen usw. Alle spüren den Druck und vermissen die Anerkennung. Eine Änderung ist nicht in Sicht.

Kurzum: Finanziell läuft es in der Kirche derzeit gut, aber irgendetwas stimmt nicht im System. Im Blick auf die Reformationsfeierlichkeiten des letzten Jahres könnte man sagen: Wir brauchen eine ›neue Reformation‹. Wir brauchen eine Bewegung, die durch die Gemeinden geht und dort etwas erahnen lässt von dem unbekannten Neuen, das da schon und noch immer auf uns wartet.

II.

Jetzt werden Sie vielleicht denken: »Reformation – das gibt’s nur alle 1.500 Jahre. Und da muss eine Menge zusammenkommen.« Ja, das stimmt. Aber vielleicht ist es ja so, dass wir ›Reformation‹ viel zu groß denken: Luther gegen den Papst, die Kurfürsten gegen den Kaiser, die Bauern gegen ihre Herren, Klöster werden geschlossen, die Bibel wird neu übersetzt. Ja, das sind die fetten Schlagzeilen der Reformation, die vielfach mit Martin Luther (1483-1546), dem Mann für das Grobe, verbunden sind.

Daneben gibt es aber auch die anderen Nachrichten: öffentliche Diskussion im Rathaus über den Glauben, Fleischessen in der Fastenzeit, Entfernung von Bildern aus den Kirchen, Abschaffung des Bischofsamtes, Wiederentdeckung des Alten Testamentes. Diese Nachrichten stehen für den Zürcher Reformator, den Mann für das Feine, Huldrych Zwingli (1484-1531).

Zwingli las die bahnbrechenden Flugschriften aus dem fernen Wittenberg und das setzte bei ihm etwas in Bewegung: nämlich die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Kirche oder – mit einem Wort gesagt – ›Reformationsgeist‹. Er fragte: Was lehrt Jesus in der Bergpredigt? Was schreiben die Apostel? Welchen Auftrag hat die Gemeinde Gottes? Und was hat sich daran 1.500 Jahre später verändert? Für Zwingli war jetzt Rückbesinnung auf die Ursprünge angesagt – Re-formation eben. Aber wie macht man Reformation? (Pause)

III.

Zwingli hatte einige Jahre lang im Sinne der Reformation gepredigt und mit dem Wurstessen in der Fastenzeit ein erstes Signal gesetzt. Nicht die kirchliche Überlieferung, sondern das Wort Gottes sollte fortan für das Leben der Kirche maßgebend sein. (Pause)
Worte und Würste machen aber noch keine Reformation. Stattdessen wuchsen Gegner heran, die Zwingli mit Handgreiflichkeiten und Morddrohungen zusetzten. Der Zürcher Rat musste für die Sicherheit seines Predigers sorgen.

Zu den Worten und dem Wurstessen musste etwas anderes hinzukommen, etwas, das bei den Zürchern ›Klick‹ machte. Ein Erlebnis, das den Zürchern vor Augen führt, was Reformation für sie bedeutet. Dass die Reformation kein ›Pastorengezänk‹ ist, sondern die Gemeinde in ihrem Selbstverständnis trifft. Und das konnte Zwingli nur an einem zentralen Punkt zeigen.

Genau wie Luther kritisierte Zwingli die römische Messfeier: Dass am Altar erneut geopfert, Brot und Wein gewandelt und der Kelch nicht an die Gläubigen ausgeteilt wurde – dafür sahen beide keine Begründung in der Schrift. Doch Zwinglis Kritik ging weit darüber hinaus. Es reichte nicht, einzelne Elemente der Messfeier abzuschaffen. Für Zwingli ging es darum, das Abendmahl neu zu ergründen. Er verfasste eine entsprechende Schrift und versuchte, den Zürcher Rat zur Abschaffung der Messfeier zu bewegen. Zu Beginn der Karwoche 1525 beschloss dies der Stadtrat dann auch mit knapper Mehrheit.

Doch die Argumente seiner Gegner setzen Zwingli schwer zu. Vor allem das Verständnis der Einsetzungsworte war umstritten »Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird«, heißt es zu Beginn des Abendmahls. Die Verfechter der römischen Messe sahen darin klar erwiesen, dass mit der geweihten Hostie der gewandelte Leib Christi selbst an die Gläubigen ausgeteilt würde. Für Zwingli aber saß der Auferstandene seit der Himmelfahrt zur Rechten Gottes und konnte somit seiner menschlichen Natur nach nicht im Brot sein.

Seiner göttlichen Natur nach schon, aber nicht seiner menschlichen Natur nach. »Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird. Das tut zu meinem Gedächtnis.« Zwingli verstand diese Worte anders – entgegen einer jahrhundertelangen Auslegungstradition. Seine Gegner brandmarkten ihn deshalb als gefährlichen Ketzer. Zwingli machte das sehr zu schaffen. Die Auseinandersetzungen verfolgten ihn bis in die Träume. Und genau da kommt ihm der entscheidende Impuls. Doch hören wir Zwingli selbst:

»Als aber der 13. Tag heranbrach (ich erzähle eine wahre, eine so sehr wahre Begebenheit, dass das Gewissen denjenigen, der es verschweigen will, zwingt, preiszugeben, was der Herr mitgeteilt hat. [Ich tue das] wohlwissend, welchen großen Beschimpfungen und welchem Gespött ich mich [damit] aussetze.)

Als [also], wie ich sagte, das Licht des 13. April anbrach, erschien mir zum großen Überdruss im Schlaf, dass ich erneut mit dem Gegner, dem Schreiber [am Grüt], stritt und derart betäubt war, dass ich nicht herausbringen konnte, was ich Wahres wusste, weil die Zunge ihren Dienst versagte. Die Angst schien mir heftig zuzusetzen, wie Träume in der Nacht manchmal ihr trügerisches Spiel treiben (...).

Alsdann erschien wie durch magische Kräfte ein Rechtsbeistand da zu sein (er mag schwarz gewesen sein oder weiß, ich erinnere mich nicht, denn ich erzähle einen Traum), der sagte: ›Du Mutloser, warum antwortest du ihm nicht, was in Ex. 12[,11] geschrieben steht: ›Denn es ist das Pessach‹, d. h. das Vorbeigehen des Herrn. Sobald mir diese Erscheinung geworden war, erwachte ich zugleich und springe aus dem Bett. Ich betrachte die Bibelstelle in der griechischen Übersetzung zuerst von allen Seiten her und rede dann über sie vor der ganzen Gemeinde nach Kräften. Diese Rede – hat allen Nebel zerstreut, sodass in jenen drei Tagen des Herrenmahles, des Rüsttages und der Auferstehung das Pessach Christi so sehr gefeiert worden ist, wie ich es selbst bisher nie gesehen habe, und die Zahl derer, welche nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurückschauten, über alle Erwartung klein war.«1

IV.

Liebe Gemeinde,
das sollten wir uns nun etwas genauer anschauen, was da Ostern 1525 in Zürich passiert ist, wie sich da unsere reformierte Reformation ereignet hat. Es ist da fast alles grundgelegt, was ›reformierte Kirche‹ noch heute ausmacht:

    • ein grundlegender Blick in die Bibel
    • ein veränderter Kirchenraum
    • ein neues Miteinander von Pfarrperson und Gemeinde.

Fangen wir bei den letzten beiden Punkten an, bevor wir dann zum Schluss auf die Einsetzungsworte des Abendmahls zu sprechen kommen.

Reformation braucht nicht nur Worte, sondern auch diese eine Erfahrung, die ›Klick‹ macht in unseren Köpfen: »So ist das also gedacht. Ja, dafür lohnt sich der Streit.« Die Zürcher, die in der Karwoche in das Großmünster kamen, machten genau diese Erfahrung: Klick. Sie kannten den Messgottesdienst und staunten, welche Veränderungen Zwingli und sein Team daran vorgenommen hatten:

Der Pfarrer trat bei der Einsetzung des Abendmahls nicht mehr vor den erhöhten Choraltar und kehrte der Gemeinde auch nicht mehr den Rücken zu. Stattdessen stand er auf der Ebene der Gemeinde, wandte sich ihr zu und redete – statt in lateinischer – in verständlicher deutscher Sprache. Im vorderen Kirchenschiff, Zwingli nennt es »Gefletz«, war ein Tisch aufgestellt, und darauf befanden sich für alle sichtbar Brot und Wein. Die Abendmahlsgeräte waren aus schlichtem Holz, um den Eindruck von äußerer Prachtentfaltung zu vermeiden.

Beim Abendmahlsempfang blieb die Gemeinde in den Bänken sitzen, wohin ›verordnete Diener‹ Brot und Wein brachten. Vom Brot wurde ein Bissen abgebrochen und dann weitergereicht, ebenso der Kelch mit dem Wein. Auf diese Weise wurde das Abendmahl, das die mittelalterliche Kirche durch den Priester an die einzelnen Gläubigen austeilte, zu einem Mahl, das die Gemeinde auf einer Ebene miteinander teilte. Denn – so die Überzeugung Zwinglis – durch die Taufe und den Glauben war die Gemeinde bereits in den Leib Christi eingefügt und wurde durch die Teilnahme am Abendmahl dieser Einheit mit Christus versichert.

Die Gemeinde, die bisher Zuschauerin eines ihr unverständlichen gottesdienstlichen Aktes war, wurde nun zur Mitakteurin der Abendmahlsfeier. Ihr wurde der Leib Christi nicht mehr von oben herab gereicht, sondern sie bildete zusammen mit dem Pfarrer die Gemeinschaft des Leibes Christi. Keine Hierarchie mehr zwischen Pfarrer und Gemeinde. Beide sind auf einer Ebene, sind ›unter dem Wort Gottes versammelte Gemeinde‹. Jeder, der in Zürich an diesem Gottesdienst teilnahm, spürte, dass hier etwas Wegweisendes geschehen war.

V.

Doch Zwingli legte noch eins drauf. Durch sein umfassendes Bibelverständnis kam er zu einer neuen Auslegung der Einsetzungsworte. Zwingli entdeckt, dass Jesus mit seinen Jüngern und Jüngerinnen am Gründonnerstag in Jerusalem das jüdische Pessach gefeiert hat. Und dann – so Zwingli – liegt es nahe, das Abendmahl vom Pessachmahl her zu verstehen. Das Neue Testament vom Alten Testament her auszulegen. Für Martin Luther ein völlig undenkbares Vorgehen. Doch für Zwingli ein Weg, wo sich ein bis dahin verschlossenes Tor auftut.

Im Traum sagt eine Gestalt zu ihm: »Du Mutloser, warum antwortest Du Deinem Gegner nicht, was in Ex. 12[,11] geschrieben steht: ›Denn es ist das Pessach‹, d. h. das Vorbeigehen des Herrn.« Zwingli springt sofort aus dem Bett und liest die Bibelstelle nach. Dort steht, wie Gott den Pharao mit zehn Plagen drängt, die Israeliten aus Ägypten ziehen zu lassen. Um sich vor der letzten Plage zu schützen, sollten die Israeliten ein Lamm schlachten und dessen Blut an ihre Türpfosten streichen; der Todesengel würde dann an ihrem Haus vorbeigehen. Von daher bekam das Fest seinen Namen: Pessach – was so viel bedeutet wie »überspringen, vorbeigehen, verschonen«. Jedes Jahr, wenn Juden und Jüdinnen das Pessachlamm essen mit ungesäuertem Brot, Wein und Bitterkräutern, dann vergegenwärtigen sie, wie Gott ihre Vorfahren verschont und dann aus der Gefangenschaft herausgeführt hat.

Das ist gemeint, wenn es heißt »Das ist das Pessach«. Und wenn es heißt »Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird«, dann vergegenwärtigen Christen und Christinnen, dass Jesu Blut am Kreuz vergossen wurde, Gott ihn aber von den Toten auferweckt hat. Das Abendmahl ist also ein Zeichen für die Auferstehung des Gekreuzigten. »Das tut zu meinem Gedächtnis« lautet die Aufforderung, wie beim Pessachmahl regelmäßig an diese Nacht zu erinnern. Die Nacht in Ägypten und die Nacht in Jerusalem, denen ein Auszug und eine Auferstehung folgten.

Das von Jesus und seinen Jüngern gefeierte Pessachmahl war wie damals in Ägypten ein Mahl in großer äußerer Bedrängnis. Und zugleich war es ein Hoffnungsmahl für die Bewahrung in dieser Not und für die Befreiung daraus: So wie die Israeliten ihre Türpfosten zum Schutz vor dem Verderben mit Blut bestrichen hatten, so reicht Jesus jedem seiner Jünger den Becher. Und, nachdem alle getrunken haben, sagt er »Das ist mein Blut (…), das für viele vergossen wird.« (Mk 14,24). Im Kontext des Pessachmahls konnten die Jünger das verstehen als ein Schutzzeichen für die bevorstehenden Bedrängnisse. Als ein Hoffnungszeichen dafür, dass die Gefahr vorübergehen wird. Dass der bedrohlichen Nacht ein Morgen folgen wird auf dem Weg ins Gelobte Land. Und Jesus macht deutlich, wo dieses Gelobte Land liegt: in Galiläa, wohin er seinen Jüngern nach der Auferweckung vorauseilen wird.

VI.

Liebe Gemeinde,
ich hatte zu Beginn von der Notwendigkeit einer ›neuen Reformation‹ gesprochen. Ein gewagtes Wort. Wir haben gesehen, wie Zwingli seine Reformation in Zürich klug entfaltet hat: mit der Abschaffung von Hierarchien im Gottesdienst, mit dem Blick auf den Gemeinschaftsaspekt, mit erfrischender und verstörender Auslegung bekannter Bibeltexte. Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, dann versichern wir uns damit gegenseitig, dass wir zusammengehören und gemeinsam auf dem Weg sind.

Und zugleich wissen wir, dass wir bedroht sind von den Stürmen um uns herum, der Verfolgung durch Arbeitsverdichtung und Strukturreformen, durch neue Technologien und Bedeutungsverlust. Den Israeliten in Ägypten wurde aufgetragen, sich zum Aufbruch bereit zu halten: »das Gewand mit dem Gürtel geschürzt, die Füße mit Sandalen geschützt, den Wanderstab in der Hand.« (V. 11) Das in den israelitischen Familien und Nachbarschaften gefeierte Pessachmahl war überlebenswichtig, um den langen Marsch ins Gelobte Land zu überstehen. Das Abendmahl war für die Jünger und Jüngerinnen Jesu wichtig, nach der Kreuzigung Jesu weiterzumachen – bis er wiederkommt.

Liebe Gemeinde,
Zwingli hatte im Kirchraum einen Ort ausgemacht, der ungenutzt war, das ›Gefletz‹, wie Zwingli es in seiner Sprache nannte. Dieser Raum zwischen dem Hochaltar und der stehenden und sitzenden Gemeinde diente dem Abstand von Gemeinde und Altarbereich. Der Zwischenraum sicherte die Hierarchie, die heilige Rangordnung, die den Priester am Altar heraushebt.

Wir in den evangelischen Kirchengemeinden haben auch so ein ›Gefletz‹, einen Ort, der ungenutzt ist, den niemand betreten mag.
Ich meine die Familien, die wir als Kirchengemeinden zunehmend verlieren. Die Sonntag für Sonntag froh sind, einmal spät aufzustehen, weil sie in einer Gesellschaft leben, die ihren Rhythmus verloren hat, die vor Arbeitsverdichtung kaum noch atmen lässt. Die Familien, Freunde und Verwandten, die spätestens Montag wieder ausziehen in die manchmal erbarmungslose Arbeitswelt. Die wissen, dass da draußen ein Todesengel umhergeht, besonders für die Schwächeren unter uns.

Warum nehmen wir als Kirchenräte und Pastoren nicht unseren Wanderstab in die Hand und gehen zu diesen Familien, feiern mit ihnen und ihren Nachbarn Abendmahl in den Häusern? Notfalls mit Holztellern und Stuhl an Stuhl in den kleinen Wohnstuben. In Ägypten waren es die jüdischen Familien und ihre Nachbarn, die abends zusammenkamen und auf diese Weise ihr Haus mit einem Schutzzeichen versahen. In Jerusalem waren es die kleinen Gemeinden, die sich sonntags in den Häusern versammelten. In Zürich waren es die ›verordneten Diener‹, die in die Bankreihen kamen, das Hoffnungsmahl auszuteilen.

Und wir? Wäre es nicht an der Zeit, unsere Kirchenräume wenigstens hin und wieder zu verlassen, in mehreren Privathäusern sonntagabends Abendmahl zu feiern? Zu sehen, was diese Menschen fürchten und erwarten. Ihnen das Zeichen von Gemeinschaft und Hoffnung zu bringen. Einer müsste sich dran setzen, den Ablauf einer solchen Feier vorher aufzuschreiben. Im Kirchenrat müsste das durchgesprochen werden. Es bräuchte ›verordnete Diener‹, die die Feier vor Ort leiten. Nicht mehr allein den Pastor, der das darf. Und wie ich unsere evangelische Kirche kenne, wird es dazu Proteste geben: »Private Abendmahlsfeiern, das geht ja gar nicht. Was sollen unsere ökumenischen Geschwister denken, die nach 500 Jahren immer noch große Probleme mit unserem Amts- und Abendmahlsverständnis haben?«

Aber vielleicht erscheint uns dann ja im Traum ein ›Rechtsbeistand‹, der sagt: »Du Mutloser, warum antwortest du ihnen nicht, was in Apg. 2[,42-47] geschrieben steht:

»42 Sie aber hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und am Gebet. 43 Und Furcht erfasste alle: Viele Zeichen und Wunder geschahen durch die Apostel. 44 Alle Glaubenden aber hielten zusammen und hatten alles gemeinsam; 45 Güter und Besitz verkauften sie und gaben von dem Erlös jedem so viel, wie er nötig hatte. 46 Einträchtig hielten sie sich Tag für Tag im Tempel auf und brachen das Brot in ihren Häusern; sie aßen und tranken in ungetrübter Freude und mit lauterem Herzen, 47 priesen Gott und standen in der Gunst des ganzen Volkes. Der Herr aber führte ihrem Kreis Tag für Tag neue zu, die gerettet werden sollten.«

»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.« (Phil 4,7)

Amen. 

Liedauswahl:

Ps 8,1-4 »Herr unser Gott, Deine Name sei gepriesen«
EG 502,1-2.4 »Nun preiset alle«
EG 662,1.4-6 »Wie groß ist des Allmächtigen Güte«
Lied EG 133, 1+8-10 »Zieh ein zu deinen Toren«


Dr. Achim Detmers