''Zur persönlichen Erbauung in der Ära nach Guttenberg''

Von biblischen, kirchlichen und politischen ''Lichtgestalten''

Eine Predigt zu Mk 8, 31-38 von Achim Detmers

Gottesdienst in Neudietendorf im Rahmen des Kirchlichen Fernunterrichts (KFU) am Sonntag Estomihi 2011

Predigttext Mk 8, 31-38 (Übersetzung der »Zürcher Bibel«):
31 Und er begann sie zu lehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten und den Hohen Priestern und den Schriftgelehrten verworfen und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er sprach das ganz offen aus. Da nahm ihn Petrus beiseite und fing an, ihm Vorwürfe zu machen. 33 Er aber wandte sich um, blickte auf seine Jünger und fuhr Petrus an: Fort mit dir, Satan, hinter mich! Denn nicht Göttliches, sondern Menschliches hast du im Sinn.
34 Und er rief das Volk samt seinen Jüngern herbei und sagte zu ihnen: Wenn einer mir auf meinem Weg folgen will, verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich, und so folge er mir. 35 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, wird es retten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und dabei Schaden zu nehmen an seinem Leben? 37 Was hätte ein Mensch denn zu geben als Gegenwert für sein Leben? 38 Wer sich meiner und meiner Worte schämt in diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

PREDIGT
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

Liebe Gemeinde,
von ›Lichtgestalten‹ war jüngst viel zu lesen in den Zeitungen. Von Lichtgestalten, die eine Gesellschaft offenbar braucht als Identifikationsfiguren. Von Lichtgestalten, die bei Licht betrachtet doch nicht so licht sind. Und von Lichtgestalten, die selbst im Dunkeln noch weiterleuchten.
Einige Kommentatoren meinten, dass Lichtgestalten vor allem in Krisenzeiten herbeigesehnt werden. Sie würden mit ihrem Leuchten davon ablenken, dass an den Schaltstellen der Gesellschaft so viel Mittelmaß vorherrscht und keiner die rechten Lösungen weiß in Zeiten der Krise. Und je stärker solche Lichtgestalten in den Himmel geschrieben werden, um so schwieriger sei es für sie, die Erwartungen zu erfüllen. Ein Scheitern sei vielfach vorprogrammiert.

I.
In der heutigen Predigt möchte ich auf so eine Lichtgestalt eingehen, die heute vor genau 489 Jahren ein entscheidendes Auftreten hatte. In meinem Pfarrerkalender ist nämlich für den heutigen 6. März Folgendes notiert: »1522 Luthers Rückkehr nach Wittenberg«. Wir alle kennen dieses Datum und müssen nur kurz in unserer Erinnerung kramen, um uns die genauen Zusammenhänge der Rückkehr Luthers von der Wartburg nach Wittenberg vor Augen zu führen:
Luther war 1522 auf dem Höhepunkt seines öffentlichen Ansehens. Gewiss, er hatte viele und mächtige Gegner. Aber die humanistisch gebildete Elite feierte ihn als einen Erlöser. Endlich mal ein Geistlicher, der anders war als die anderen Kirchenvertreter, der unabhängig handelte, Klartext sprach und die längst überfälligen Reformen anpackte.
Luther war ein einfacher Mönch; bis zu den Ablassthesen kannte ihn kaum jemand in Deutschland. Sein Orden, der an der Universität Wittenberg großen Einfluss nahm, hatte ihn gedrängt, die Doktorpromotion zu machen, um den Ordensgeneral von Staupitz als Professor abzulösen. Damals konnte man noch ohne Doktorarbeit promovieren. Gleichwohl gab es bestimmte Regeln, an die sich Luther offenbar nicht gehalten hat. Die Erfurter Fakultät legte nämlich Protest ein gegen Luthers ungewöhnlich rasche Promotion in Wittenberg. Er habe einen Eid geschworen, seinen Doktorgrad in Erfurt zu erwerben. Doch in Erfurt wurden offenbar nur 50jährige zum theologischen Doktorat zugelassen. In Wittenberg dagegen konnte Luther schon mit 28 Jahren zum Doktor der Theologie promovieren. Luther musste sich später in einem Brief gegen den Vorwurf rechtfertigen, er habe sich auf diese Weise einen schnelleren Weg zum akademischen Grad erschlichen. Aber mithilfe seiner einflussreichen Ordensfreunde verlief der Erfurter Protest im Sande.

II.
Mit dem Doktortitel im Rücken und mit Unterstützung seines Ordens wurde Luther schnell zum Shootingstar an der Wittenberger theologischen Fakultät. Er kritisierte Kardinal Albrecht von Brandenburg für seine massive Unterstützung des Ablasswesens. Er weigerte sich, dem Druck des Papstes nachzugeben, und verbrannte öffentlichkeitswirksam die Bannandrohungsbulle. Seine Reformschriften wurden durch Gutenbergs Erfindung des Buchdruckes schnell verbreitet und waren in aller Munde. Und selbst die Reichsacht des Kaisers konnte ihm nichts anhaben, weil mächtige Fürsten ihm auf der Wartburg Unter-schlupf gewährten.
Innerhalb weniger Jahre war der unbekannte Augustinermönch zur Lichtgestalt der deutschen Reformation geworden; selbst im übrigen Europa war man auf den Wittenberger Doktor der Theologie aufmerksam geworden. Doch Luther saß auf der Wartburg fest, wo er in ›mühevoller Kleinarbeit‹ das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Gerne hätte er weiter ins Geschehen eingegriffen, aber es war der politische Wille seines Landesvaters, dass er sich vorerst aus der Öffentlichkeit zurückziehe, um die Angriffe der Gegner ins Leere laufen zu lassen und zu einem späteren Zeitpunkt umso gestärkter wieder aufzutreten.

III.
Doch als Lichtgestalten verehrte Personen handeln vielfach nach ihren eigenen Gesetzen. Und nur ungern wechseln sie das mediale Licht der Öffentlichkeit gegen ein winterkaltes Exil hinter Burgmauern. Arg-wöhnisch beobachtete Luther, wie die Reformation in Wittenberg vorangetrieben wurde. Sein ›Doktorvater‹ Andreas Karlstadt und der junge Griechisch-Professor Philipp Melanchthon waren nun die führenden Köpfe in Wittenberg. Sie setzten auf eine zügige Reform des Gottesdienstes und entfernten anstößige Bilder aus den Kirchen. Dies geschah mit einem Tempo, dem Luther, der das alles nur aus der Entfernung mitbekam, nur begrenzt folgen konnte. Gegen den Rat des Kurfürsten kehrte Luther vorzeitig nach Wittenberg zurück und machte in seinen berühmten Invokavitpredigten etliche Reformen rückgängig.
Mit seinem einstigen ›Doktorvater‹ Karlstadt kam es zum Bruch. Luther erwirkte für Karlstadt ein Kanzelverbot sowie eine Zensur seiner Schriften und sorgte später dafür, dass Karlstadt aus Sachsen vertrieben wurde. Und auch während der Bauernunruhen ließ sich Luther dazu hinreißen, einseitig und überzogen Stellung zu beziehen. Und nicht nur Philipp Melanchthon beklagte, dass Luther im Streit mit Erasmus über den ›freien Willen‹ das rechte Maß verloren hatte.

IV.
Der luth. Professor für Kirchengeschichte, Volker Leppin, schreibt in seiner neuen Biografie des Reformators, dass Luther nach seiner Rückkehr von der Wartburg seine innerreformatorischen Konkurrenten ausschalten konnte und zur unumstößlichen Autorität in Sachsen geworden war. Aber – so Leppin – im Volk war Luthers Stern nun im Sinken begriffen. Ihr Freiheitsheld hatte sich im Bauernkrieg auf die Seite der alten Autoritäten geschlagen. Gegen den Papst hatte er gefochten, die Weiterungen, die für viele damit verbunden waren, wollte er nicht mitmachen. Als ›kleines Mönchlein‹ hatte er dem Kaiser trotzig gegenübergestanden. Aber jetzt war aus der einstigen Lichtgestalt ein Machtmensch geworden, der die internen Gegner besiegt hatte und geradezu hochmütig von allen Gehorsam verlangte – so Volker Leppin. Für die evangelischen Fürsten im Reich wurde Luther zunehmend zum Problem, weil er bei der anstehenden Umsetzung der Reformation keine kirchenpolitischen Rücksichten nehmen wollte. Stattdessen rückten Melanchthon und Martin Bucer in den Vordergrund, weil sie mit ihrem diplomatischen Geschick versuchten, die auseinandertrei-benden Kräfte der Reformation zusammenzuhalten.

V.
Lichtgestalten, liebe Gemeinde, beherrschen in unserer Zeit die Schlagzeilen. Ihre Bilder und die Meldungen in den Nachrichten sind das, was die Zeiten überdauert. Doch daneben geht vielfach verloren, dass auch andere sinnvolle Dienste verrichten – zum Teil unter Einsatz ihres Lebens. Die vielen fleißigen Arbeiter und Arbeiterinnen im Weinberg des Herrn sind jedoch weit weniger ›schlagzeilentauglich‹. Und auch in der Kirchengeschichte ist die Versuchung groß, die Leistung weniger historischer Personen legendenhaft zu verklären und die vielen anderen an den Rand zu drängen. Dies gilt vor allem für Frauengestalten in der Kirchengeschichte und für sogenannte Abweichler. Dabei könnte uns der Blick ins Evangelium eines besseren belehren.

VI.
Liebe Gemeinde,
auch Jesus wurde in seiner Zeit als eine Lichtgestalt verehrt. Er war erfrischend anders als die althergebrachten Autoritäten. Er kümmerte sich um die Armen, sprach Klartext und verstand es, die im Judentum entwickelten neuen Ansätze in der Theologie zu bündeln und neu zu focussieren. Deshalb sah man in ihm einen Erlöser, mit dem das messianische Zeitalter nun endlich anbrechen würde. Noch war Jesus ein einfacher, begabter Wanderprediger, aber nach seinem Einzug in Jerusalem erwartete man Großes von ihm. Jünger und Jüngerinnen hatten sich um ihn geschart; sie wollten von dem Aufstieg ihres Helden profitieren. Zwei Jünger, die Zebedäussöhne Jakobus und Johannes, machten sich bereits Gedanken, welche Posten ihnen denn zustünden, wenn Jesus seine ganze Herrlichkeit entfaltet hätte (Mk 10,35ff).
Doch Jesus verweigert sich dieser Erwartungshaltung. Zur wahren Lichtgestalt würde man nicht durch einen zielgerichteten Lebenslauf, durch eine zweijährige Wirksamkeit in der Provinz mit einem anschließenden kometenhaften Aufstieg in der Hauptstadt. Nicht dass Jesus daran nicht interessiert gewesen wäre, was die Leute über ihn denken. Einmal fragt er seine Jünger sogar direkt. Die Antworten sind unterschiedlich. Einige halten ihn für Johannes den Täufer, andere für den wiedergekehrten Elia oder sehen in ihm schlicht einen Propheten. Petrus aber spricht es aus, dass nicht wenige in ihm den ›Christus‹ sehen, den lang erwarteten Messias Israels, der das Volk befreien würde von der Herrschaft der Römer.
Jesus aber unterbindet solches Gerede (Mk 8,27ff). Er nimmt keinen dieser Namen und Titel für sich in Anspruch. Er geht der Versuchung aus dem Weg, Titel zu führen, die ihm nicht zustehen. Der Titel, den er für sich selbst wählt, ist bescheiden und rätselhaft zugleich: Menschensohn. Und Jerusalem ist für ihn nicht der Ort der Entscheidung in dem Sinne, wie es viele seine Anhänger erwarten. Stattdessen sagt er:
»Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten und den Hohen Priestern und den Schriftgelehrten verworfen und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.« (V.31).
Also kein Aufstand gegen die Römer, kein Messias im Tempel, son-dern ein einsamer Tod – draußen vor den Stadttoren, verworfen von den führenden Köpfen am Tempel, ausgeliefert an die Römer, preisgegeben und hingerichtet wie ein Verbrecher.
Die Reaktion der Jünger erfolgt prompt. Petrus, der wie kein anderer die Erwartungen an Jesus formuliert hatte, nimmt ihn zur Seite und macht ihm Vorwürfe. Doch Jesus lässt sich nicht beirren.
»Fort mit dir, Satan, hinter mich! Denn nicht Göttliches, sondern Menschliches hast du im Sinn.«
Jesus weiß um seinen Auftrag und, dass er scheitern würde, wenn er den ungeduldigen Erwartungen seiner Anhänger nachgibt.
»Denn was hilft es dem Menschen«, sagt Jesus, »die ganze Welt zu gewinnen und dabei Schaden zu nehmen an seinem Leben?« (V.36)
Jesus weiß, dass Gott ihn einen anderen Weg führen wird. Nicht den Weg einer vermeintlichen Lichtgestalt, sondern den Weg des Scheiterns, der ihn erst nach dem Dunklen leuchten lässt. Erst durch sein Scheitern würde er von Gott ins rechte Licht gesetzt. »Nach drei Tagen auferstehen« sagt Jesus, doch dieser Halbsatz war bei den Jüngern nach der Ankündigung seines Leidens und seines Todes untergegangen. Deshalb konnten sie erst im Nachhinein verstehen, welchen Weg Jesus gegangen war.

VII.
Liebe KFU-Gemeinde,
Jesus ist der Menschensohn, aber nicht eine von Menschen herbeigesehnte Lichtgestalt, die alles menschliche Mittelmaß beendet und in Zeiten der Krise politische Lösungen bereithält. Jesus ist kein Held, sondern eher ein Antiheld, der in seinem vermeintlichen Scheitern die Welt überwindet und sogar den Tod. Oder wie es Paulus sagt:

»Das Törichte dieser Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen. Und das Schwache dieser Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen. Und das Geringe dieser Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um zunichte zu machen, was etwas gilt, damit kein Mensch sich rühme vor Gott.« (1. Kor 1,27-29). Amen.

»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.« (Phil 4,7)


Pfr. Dr. Achim Detmers, Kirchlicher Fernunterricht (KFU)