Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
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Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1491-1551)
Bucer, Martin (eigentlich Butzer; 1491-1551), * als Sohn eines Küblers und einer Hebamme in Schlettstadt im Elsaß, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Wohl weil sein Vater aus Straßburg stammte, zogen eine Eltern zehn Jahre später um besseren Verdienstes willen dorthin. Ihren Sohn ließen sie beim Großvater in Schlettstadt zurück. Dort besuchte er die Lateinschule und verschrieb sich frühzeitig dem humanistischen Ideal. Die Schlettstädter Dominikaner überredeten den 15jährigen, ihrem Orden beizutreten, um bei den Studien zu bleiben, »und ist an mir«, schreibt B., »das Sprichwort wahr geworden: die Verzweiflung macht einen Münch«.
Statt seiner Klassiker mußte er nun die Ordenstheologie studieren. Erst zehn Jahre später durfte er in den Heidelberger Konvent übersiedeln und die Universität besuchen. B. erwarb den Magistergrad und lernte bei Brenz das Griechische. Die Begegnung mit Luther bei der Heidelberger Disputation (April 1518) gewann ihn für die neue Theologie. Wie bisher auf Erasmus, so setzte er seine Hoffnung auf Luther. Als ihm humanistische Freunde dazu verhalfen, päpstlichen Dispens vom Ordensgelübde zu erhalten, wurde B. Weltpriester. Auf der Ebernburg fiel ihm der Auftrag zu, Luther Sickingens und des Kaiserlichen Beichtvaters Glapion Anerbieten zu überbringen, bei ihm statt in Worms zu verhandeln. Luther lehnte den Vorschlag ab. Ob B. in dieser Zeit mit dem »New Karsthans« und einem anderen Dialog publizistisch hervortrat, bleibt fraglich.
Der Kaplan, der am pfälzischen Hof und bei Sickingen gewesen war, wagte es 1522 als einer der ersten Priester, ehelich zu werden. B. heiratete Elisabeth Silbereisen, die 12 Jahre Nonne im Kloster Lobenfeld gewesen war. Nach Sickingens Niederlage verließ B. sein Amt in Landstuhl, um nach Wittenberg zu gehen. Zuvor wollte er seine Frau nach Straßburg bringen. In Weißenburg bat ihn der Stadtpfarrer, als Prediger zu bleiben. B. gewann zwar dort die Gemeinde, wurde aber durch den Bischof von Speyer gebannt. Heimlich mußte er die Stadt verlassen und kam nach Straßburg. In seiner »Verantwortung auf das Schreiben des Bischofs seiner Person halben« teilt er dem Rat mit, er sei in sein Vaterland gekommen, eine Zeitlang zu verweilen. Weiter sagt er: »Da ich etwas in Predigen und Lehren gelernt habe, das in göttlicher Schrift nicht ausgedruckt steht«, wollte er mit seinen Gaben der Stadt dienen.
In Zells Hause begann er die Schrift auszulegen, gewann die Zuneigung der Bürger und konnte bald auch im Münster predigen und seine ersten Schriften im Druck erscheinen lassen. Als B. 1524 zum Pfarrer von St. Aurelien von den Gärtnern vor der Stadt gewählt wurde, stand er im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit den Altgläubigen, als deren Sprecher der Franziskaner Th. Murner und der Augustiner K. Treger hervorgetreten waren. Ihr literarischer Kampf ist viel beachtet worden. Gleichzeitig legte B. den Grund für die Neugestaltung des Gottesdienstes. Immer stärker rückte er in den Vordergrund und wurde zum Sprecher der Straßburger Kirche. Im Abendmahlsstreit ( Abendmahl: II, 3a) und in der Auseinandersetzung mit den Schwärmern und Täufern steht B. in der ersten Reihe der oberdeutschen Theologen.
Als Straßburg zur evangelischen Stadt wurde, mußte entschieden werden, in welchem Geiste die Neuordnung erfolgen sollte. Die Verbindung mit Basel und Zürich ließ eine gemeinsame Auffassung erstreben. B. ließ zwar Zwinglis Einfluß zu, gab aber seine eigene Auffassung nicht auf. Inzwischen hatte sich unter dem milden Regiment in Straßburg das Täufertum gesammelt und suchte sein Gemeindeideal zu verwirklichen. B. erkannte die Gefahr, die der Kirche von dieser Seite drohte. Auf sein unaufhörliches Drängen hin ist vom Rat eine Entscheidung herbeigeführt worden. Um den Gemeindeaufbau besser leiten zu können, wurde das Amt der Kirchspielpfleger eingeführt. Auf der Synode von 1533 wurden die 16 Artikel und »unser augsburgisches Bekenntnis«, d. h. die Confessio Tetrapolitana, als Lehrgrundlage festgelegt. Demselben Zweck dienten die Versuche zur Einführung der Konfirmation.
Die kirchlichen Kämpfe hatten B. zum Organisator des Kirchenwesens werden lassen. Gedanken, die er dem Rat hinsichtlich des Aufbaus der Kirche in zahlreichen Gutachten vorgetragen hatte, faßte er 1538 in seiner maßgebenden Schrift »Von der waren Seelsorge und vom rechten Hirtendienst« zusammen. Die innerkirchlichen Kämpfe hatten B. nicht nur die Kirchenverfassung straffer aufbauen, sondern auch seine theologischen Ansichten stärker ausprägen lassen. Im Gegensatz zum schwärmerischen Geistprinzip betonte er mit Nachdruck Amt, Wort und Sakrament. In seiner Abendmahlsauffassung berührte er sich mit dem jungen Luther. Wenn er unter dem Eindruck des Honiusbriefes eine Zeitlang eine andere Richtung einschlug, so sollte seine Theologie doch die Brücke zwischen Wittenberg und Oberdeutschland schlagen.
Seit der Speyerer Protestation stand B.s Aufgabe fest. Das Marburger Religionsgespräch hatte ihn enttäuscht und zugleich in seinem tiefsten Anliegen bestärkt. Seine unermüdliche Einigungsarbeit begann auf dem Reichstag von Augsburg 1530. Die von ihm und Capito dort in Eile entworfene Confessio Tetrapolitana ist dafür nicht eigentlich kennzeichnend; sie ist nur Ausdruck der Straßburger Haltung. Als B. im Einvernehmen mit den ev. Fürsten zu Luther auf die Coburg ritt, erfüllte sich seine Hoffnung, die im Abendmahlsstreit entzweiten Theologen wieder zusammenzubringen.
Die theologische und praktische Annäherung wurde ermöglicht. Jahre seines Lebens opferte B. dieser Aufgabe, seine oberdeutschen Freunde mit Luther zu vereinigen. Trotz Zwinglis Widerspruch blieb B. bei seinem Vorhaben. Schien nach Zwinglis Tode der Weg zur Einigung frei, so war doch für viele Schweizer der Standpunkt Zwinglis unaufgebbar. Immerhin hat B. weitgehende Verständigung erzielt und wachsenden Einfluß gewonnen. Magistrate oberdeutscher Reichsstädte wie Ulm, Memmingen und Augsburg ersuchten ihn, ihr Kirchenwesen zu ordnen.
Die Wirkung seiner Arbeit ist bei der Gewinnung Württembergs bemerkbar geworden. B.s Beziehungen zum Landgrafen Philipp von Hessen sind dadurch noch fester geworden. Auf dessen Veranlassung kamen B. und Melanchthon Weihnachten 1534 in Kassel zusammen, um über die Verständigungsmöglichkeiten weiter zu verhandeln. In seinen Formulierungen kam B. dem lutherischen Verständnis weit entgegen. Ein von B. entworfenes Bekenntnis rückte bald die Einigung in nahe Sicht. Im Mai 1536 wurde unter stattlicher Beteiligung oberdeutscher Theologen die Konkordie in Wittenberg vollzogen. Damit war B.s Aufgabe noch nicht beendet. In den folgenden Jahren bemühte er sich unaufhörlich um die Gewinnung der Schweizer. Schließlich scheiterten die Verhandlungen an Bullingers Widerstreben; so blieb der Konkordie der volle Erfolg versagt.
Als B. 1538 vom Landgrafen nach Hessen berufen wurde, sollte er nicht nur Kirchenordnungen aufstellen und durch Einführung des Ältestenamtes und der Konfirmation Einfluß auf das kirchliche Leben nehmen, sondern darüber hinaus an den großen kirchenpolitischen Aufgaben beteiligt werden. Beim Religionsgespräch in Leipzig und erst recht bei den bedeutsamen, von der kaiserlichen Politik bestimmten Verhandlungen in Worms und Regensburg 1541 steht B. im Mittelpunkt theologischer Bemühungen um Verständigung und kirchliche Einheit.
In Worms zur Abfassung einer neuen Einigungsschrift herangezogen, die unter dem Namen des »Regensburger Buches« bekannt werden sollte, hat B. die von Gropper entworfene Schrift gebilligt und meinte, eine Übereinstimmung in der Rechtfertigungslehre gefunden zu haben. In zahlreichen Berichten und Schriften hat er sich aus Überzeugung für den Vergleich eingesetzt. Es konnte nicht ausbleiben, daß er darüber in den eigenen Reihen viele Gegner bekam. Aber er hatte auch Freunde gewonnen. Als Erzbischof Hermann von Wied auf Grund des Regensburger Abschieds die Reformation im Erzstift Köln durchführen wollte, berief er B. im Dez. 1542 nach Bonn. Die von B. verfaßte »Kölner Reformation«, an der auch Melanchthon einige Abschnitte geschrieben hat, sollte als Grundlage der Neuordnung dienen. Die politische Lage ließ es aber zu keinem Erfolg mehr kommen.
Von Geldern aus schlug Karl V. zu und machte die Reformation des Erzstiftes zunichte. Äußerlich hielt B. an der Vergleichspolitik fest. In Regensburg 1546 mußte er noch mit spanischen Theologen verhandeln. B.s Name war inzwischen auch jenseits der Reichsgrenzen bekannt geworden. Staatsmänner und Vertreter der Kirchen wandten sich an ihn um Rat. Seine Korrespondenz sowie Gutachten und Traktate nahmen einen großen Umfang an. Einige seiner Schriften wurden ins Englische, andere ins Tschechische übersetzt. Als der Ausgang des Schmalkaldischen Krieges eine neue Lage geschaffen hatte, mußte auch Straßburg sich dem Kaiser unterwerfen.
B. wurde nach Augsburg entsandt, lehnte aber das »Interim« entschieden ab. Heimlich verließ er den Reichstag und schrieb in Straßburg den »Summarischen Vergriff der christlichen Religion, die man zu Straßburg in die 28 jar gelert«. Karl V. war entrüstet und verlangte seine Entfernung. Unter diesem Druck faßte der Rat den Beschluß, B. »abzufertigen«. Obwohl er Rufe nach Wittenberg, Kopenhagen und Genf hatte, zog B. um der größeren Wirkungsmöglichkeit England vor, wo ihn Erzbischof Cranmer mit hohen Ehren aufnahm.
Als kgl. Lektor der Hl. Schrift erhielt B. in Cambridge eine einflußreiche Stellung. Durch seine Gutachten zum Common Prayer Book und durch sein Eduard VI. gewidmetes Werk »De regno Christi« leistete er der englischen Kirche wertvolle Dienste ( Anglikanische Kirche: I, 1). Es fehlte aber auch hier nicht an Widerspruch und an theologischen Kämpfen. Durch ungewohnte Lebensverhältnisse und durch Krankheit wurde B. in seiner Arbeit behindert. Trotz aller Fürsorge von Angehörigen und Freunden ist er am 28.2.1551 in Cambridge gestorben und wurde dort mit großen Ehren beigesetzt. Die Gegenreformation sah freilich in ihm noch im Tode ihren Gegner. Unter der blutigen Maria wurde ihm der Ketzerprozeß gemacht. Seine Gebeine und Schriften wurden 1556 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Erst im Zeitalter Elisabeths ist sein Ansehen wieder hergestellt worden.
B. hat einen eigenen Typus der reformatorischen Theologie ausgeprägt. Mit Recht hat O. Ritschl von ihm geurteilt: »An theologischer Originalität war er Calvin überlegen, Melanchthon und Zwingli vielleicht ebenbürtig« (III, 125). Wenn seine Theologie sich nicht so ausgewirkt hat, wie sie es wohl verdient hätte, so lag es teils an ihm selbst, teils an der für ihn ungünstigen Lage. Der Theologe B. ist unter Luthers Einfluß gewachsen. Luthers Geist ist aus seiner Theologie nicht fortzudenken. Auf der anderen Seite ist er trotz der äußeren Trennung auch mit Erasmus fest verbunden. Gerade in seiner Schriftauslegung, die einen großen und bedeutsamen Teil seines Werkes darstellt, zeigt sich B. von Erasmus abhängig. In der Betonung des Gesetzes, der Verbindung von Glauben und Werken und ihrer Einwirkung auf seine Rechtfertigungslehre zeigt sich sein erasmisches Erbe.
Aufs Ganze gesehen prägt sich aber in seinen Kommentaren der reformatorische Zug deutlich aus. Durch sie hat B. in starkem Maße gewirkt und fruchtbare Anregungen vermittelt. Mit dem Vernehmen des Wortes beginnt für B. das Wirken des Hl. Geistes am Menschen, das zur Rechtfertigung vor Gott führt. Auf das Wirken des Hl. Geistes legt B. besonderen Nachdruck. Das war auch Luther in Wittenberg aufgefallen. Seine Ausdrucksweise erinnert bisweilen an die der Täufer. Der Geist erleuchtet die Menschen, die das Wort hören, und führt sie zueinander. Der Geist weckt in ihnen die Überzeugung und vermittelt ihnen die Gewißheit.
In Luthers Sinn betont B. die Heiligung als Ausdruck der Dankbarkeit gegen Gott. Neben Wort und Sakrament ist der Geist konstitutiv für die Kirche. Da B. Gesetz und Evangelium nicht im Gegensatz sieht, macht er für den Kirchenbegriff den at. Bundesgedanken geltend. Er kann daher als Vertreter der Föderaltheologie bezeichnet werden. Nach seiner Deutung finden sich in der Kirche die Erwählten zusammen, um das Reich Gottes zu verwirklichen. Zu den notae ecclesiae rechnet B. daher neben Wort und Sakrament auch die Kirchenzucht. In der Sakramentslehre hat er bei einem gewissen Spiritualismus doch immer an der Realpräsenz festgehalten.
Quelle:
Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Bd. 1, S. 1454ff.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlicht.
Nicht mit dem Strom geschwommen: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung
Der Triumph Jesu Christi und der Tanzlehrer Heiliger Geist
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Alle Dogmatik ist für Karl Barth Christologie, so auch die Versöhnungslehre, das sei vorweg gesagt. Das solus Christus durchzog das dritte internationale Barth Symposion in Emden, auch dort, wo das im Folgenden nicht gesagt ist. „Es gibt gottlose Menschen, aber: Es gibt keine Menschenlosigkeit Gottes“, erinnerte Matthias Zeindler, Professor in Bern, an ein Diktum Barths und sein konsequentes Verständnis des solus Christus.
Barth glaubte nicht an die „Allversöhnung“, wie es bei einem Theologen, der sich für „die souveräne Dominanz der göttlichen Gnade“ aussprach, vermutet werden könnte, sondern an den „Allversöhner“.
Den von Barth einst im Römerbrief selbst genannten „Triumph der Gnade“ deutete er später als „Triumph Jesu Christi“. Der Triumph eines Prinzips – und sei es der der sola gratia – galt es zu vermeiden.
22 Vorträge und zwei Podien von Theologie-Lehrenden aus der Schweiz, den Niederlanden, den USA und Deutschland widmeten sich einem Teil der Kirchlichen Dogmatik (IV), der gegenüber der kirchlichen Tradition keinen Stein auf dem anderen lässt und voller theologischer Entdeckungen steckt. Dies jedoch hat die Rezeptionsgeschichte bis heute kaum wahrgenommen. Das wurde gleich zur Eröffnung der Tagung festgehalten, als der Systematikprofessor Christian Link, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Karl Barth-Gesellschaft e.V., und Marius Lange van Ravenswaay, Direktor der Johannes a Lasco Bibliothek, das Symposion eröffneten.
Die Versöhnungslehre in KD IV schrieb Barth in den Jahren 1951-1968, während – anscheinend wenig versöhnlich – Ost und West sich gegenüberstanden im Kalten Krieg, der, so der Historiker George Harinck, besser Kalter Friede zu nennen sei.
Freiheit des Evangeliums und Engagement für diese Welt
Mit einer steilen These begann die Auseinandersetzung um Barths Stellungnahme zwischen den Fronten Ost und West nach dem Krieg. George Harinck, Professor in Amsterdam, urteilte: Barths Haltung im Kalten Krieg, zwischen den Fronten von West und Ost einen dritten Weg zu suchen, dem die Freiheit des Evangeliums vorangestellt sei, ohne zum Widerstand gegen die real existierenden kommunistischen Regime aufzurufen, verkenne, dass diese Theologie der Freiheit eine Frucht westlicher Kultur sei. Nicht Barths Haltung im Kalten Krieg bedürfe jedoch einer Erklärung, sondern sein Aufruf zum Widerstand gegen das NS-Regime. Diese sei nicht seiner Theologie, sondern den persönlichen Umständen zu verdanken, konstatierte der Historiker.
Barth habe die Freiheit der Theologie verteidigt für eine Kirche, die durch Totalitarismus bedrängt werde, aber auch für eine, die Existentialismus bedränge. Sein Ausgangspunkt sei nicht der Staat gewesen, sondern die Kirche, betonte Harinck. Der Kirche hinter dem „Eisernen Vorhang“ riet er zur Geduld. Öffentlich habe Barth nicht gegen kommunistische Diktaturen Stellung bezogen, sich in privaten Briefen aber sehr wohl kritisch geäußert. Außerdem setzte er sich für die Befreiung inhaftierter Pfarrer in der DDR ein - im Sinne seiner Überzeugung, die Kirche bekämpfe keine Systeme, sondern spreche in einer konkreten Situation, wo „Not am Mann“ sei. Befragt, warum er nicht zum Widerstand gegen Unrechtsregime im Osten aufriefe, war eine Antwort Barths, anders als zur Zeit des Nationalsozialismus habe er nicht vor dem Kommunismus zu warnen, da dieser im Westen schon allgemein abgelehnt werde.
Widerspruch und Widerstand
Harincks Ausführungen und seine These blieben nicht unwidersprochen.
Ihm persönlich habe Barth den Widerstand gelehrt, sagte Michael Beintker, der 1965 in Jena Abitur machte und seine Laufbahn noch vor der „Wende“ als Wissenschaftler in Halle begann.
Rinse Reeling Brouwer, Professor in Groningen und Amsterdam, rief in Erinnerung, Barth habe die Identifikation von Adenauers Politik - samt Wiederaufrüstung! - mit dem Christentum kritisiert und sei deshalb im Westen problematisch geworden. Barths eigene Haltung im Kalten Krieg erklärte Reeling Brouwer damit, wie Barth selbst beschrieb, „was unter dem dem Christen zum Tragen gegebenen Kreuz konkret zu verstehen“ sei:
„Sie werden den Einen als allzu asketisch erscheinen und den Anderen als allzu unbesorgte Lebensbejaher – hier als Individualisten und dort als Kollektivisten, hier als Autoritätsgläubige und dort als Freigeister, hier als Optimisten und dort als Pessimisten, hier als Bourgeois und dort als Anarchisten. Sie werden selten bei der in ihrer Umgebung herrschenden Mehrheit zu finden sein. Sie werden jedenfalls nicht mit dem Strom schwimmen.“ (KD IV/2,689f.)
In der Polemik gegen Barths vermeintliche Sympathie mit dem Kommunismus wurde ihm vorgeworfen, er habe die Untaten im Osten verschwiegen. Dies war jedoch nicht so, nur wurde die Kritik Barths nicht mitzitiert, so Peter Zocher, Leiter des Karl Barth-Archivs in Basel, über die heftigen Angriffe gegen Barths Äußerungen in der Schweiz referierte.
Das einzige, was man Barth in der damaligen Situation im Nachhinein vorhalten könne, sei, dass er nicht gesehen habe, wie erfolgreich das „Demokratieimplementieren“ im Westen Deutschlands dann doch gewesen sei.
Umkehr-Ökumene
Von den zahlreichen Themen, u.a. Predigt, Sakramentsverständnis (dazu später mehr auf reformiert-info), Mission und Sünde, war der Ökumene mit einem Podiumsgespräch ein besonderer Raum gewidmet.
Die Kirchenhistorikerin Andrea Strübind, Professorin in Oldenburg und selbst Baptistin, zeigte sich überrascht, keine nennenswerte Rezeption von Barths Tauflehre mit ihrer Kritik an der Kindertaufe und ihrem Verständnis der Wassertaufe als menschliche Antwort im Glauben auf Gottes Gnadengabe unter den weltweiten Baptisten gefunden zu haben, lediglich eine indirekte im US-Baptismus, in Deutschland gar keine. Letzteres führte sie zurück auf das „Unverhältnis“ zwischen Freikirchen und Landeskirchen und die Desolidarisierung der baptistischen Kirche mit der Bekennenden Kirche 1937. Außerdem gäbe es auch kein einheitliches Taufverständnis unter den Baptisten. Die einen sähen Taufe als Gehorsamsschritt, die anderen betonten das Handeln Gottes in der Taufe als Heilszuspruch.
Nach der zweiten ökumenischen Vollversammlung in Evanston 1954, wo Barth erfolglos versucht hatte, den ÖRK von der Relevanz Israels als ökumenische Frage zu überzeugen, wie Michael Weinrich, selbst Ökumene-Fachmann in Bochum, ausführte, habe er sich entschieden, seine Kraft in die Fortführung der KD zu stecken anstatt in ökumenische Verlautbarungen.
Das solus Christus als soteriologisches Leitkriterium
Als bleibender Impuls blieb Barths Ansatz, die Konzentration ökumenischer Gespräche auf die Ekklesiologie zu verschieben auf die Gemeinsamkeit des Gottesbekenntnisses sowie seine Bestimmung der Ökumene als eine Umkehrbewegung, als eigene Umkehr, wohlgemerkt. Dazu gehöre für sie aber auch die Traditionskritik, ergänzte Johanna Rahner, Dogmatik-Professorin an der katholischen-theologischen Fakultät in Tübingen.
Einen Beitrag zur konfessionellen Ökumene bot in diesem Sinne auch Michael Beintker in seinem Vortrag über Rechtfertigung – Heiligung – Berufung. Nicht mit der Rechtfertigung allein stehe und falle der Glaube. Das solus Christus sei Barth „soteriologisches Leitkriterium“. Der Glaube könne nicht um seiner selbst willen wichtig sein, das sei die Pointe bei Barth gewesen. Das Christusbekenntnis habe er in einer „Fixierung auf narzisstische Frömmigkeit“ bedroht gesehen.
Was heißt Rechtfertigung? In Abgrenzung zu Luthers Ausgangsfrage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“, habe Barth gefragt: „Wie kommt Gott zu seinem Recht?“ Und: „Wie kommt der Mensch als Täter des Unrechts zu seinem Recht?“ Es handle sich also um das Problem Gottes mit dem Menschen.
Gottesfrage und Eschatologie
Wie es sich für eine Theologie geziemt, die beim Gott-Nach-Denken anfängt, entzündete sich eine erregte und aufregende Debatte an der Frage nach Gottes Unveränderlichkeit. Barth schrieb, so führte Bruce McCormack, Professor in Princeton, aus: „that a God who would remain unaffected in His being as God by the incarnation is a God who is ‚dead of sheer majesty‘.“ (KD IV/2,93).
Doch was heißt das für die Theologie heute? Die immanente Trinität von der Christologie her zu entfalten, sagt McCormack, der dafür plädiert, die Verbindung von der Unveränderlichkeit Gottes und der Unfähigkeit zu leiden innerhalb reformatorischer Theologie zu trennen: „severing the connection between immutability and impassibility might well be the most important contribution one could make to restoring theological health and vitality to the churches of the Reformation.“
Das Fragen ging weiter: Ist nicht auch das Gericht Gottes, ein Gericht, das Gott durchführt und eins, in dem er selbst vor Gericht steht und in Fragen der Theodizee zur Verantwortung gezogen wird? Wird der Gott, der sich in seinem vollendeten Reich dem Menschen zuwendet, anders sein, als der/die sich in Jesus Christus den Menschen zugewandt hat? Besteht Gottes Unveränderlichkeit in seiner Leidensfähigkeit? Oder kennzeichnen ihn/sie immerwährend gleich Liebe und Gnade? Hat sich Gott nicht längst als die sich Verändernde offenbart, in seiner Reue, in Jesus Christus, als Gott in Beziehung zum Menschen?
Kunst und Glaube: die Kathedrale Feinigers
Die Kunst sei ein Thema der Eschatologie bei Barth, sagte Michael Trowitzsch in einem Nebensatz, während ein paar Meter weiter die Emder Kunsthalle Holzschnitte Lyonel Feinigers zeigte. Im Mittelpunkt dieser Bilder steht eine Kathedrale als „sinnbildliche Darstellung“ des „Baus der Zukunft“, den das Bauhaus in Weimar erschaffen wollte. Sein Gründer, Walter Gropius, schrieb 1919: Architektur, Plastik und Malerei „aus Millionen Händen der Handwerker“ werde einst gen Himmel steigen „als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“.
Es gebe „mehr säkulare Soteriologie, als wir denken“, sagte Beintker zum Abschluss der Tagung und erinnerte aufmunternd an den Anfang von Barths Versöhnungslehre: das Immanuel. „Gott-mit-uns“, dieser Zuspruch sei auf den Koppelschlössern der in den Krieg ziehenden Soldaten pervers missbraucht worden, aber durch Jesus Christus werde er zu einem Wort, das wir gebrauchen können.
Kampf und Tanz
Karl Barth weiterzudenken und einen Weg „in zukünftige Theologie“ zu gehen, forderte nicht nur Michael Trowitzsch, Professor in Jena, mit einem Vortrag zur Eschatologie der Versöhnungslehre.
Doch dies ist ein steiniger Weg in die Fremde:
a) Auf ihm lauert die Sünde der Trägheit. Auch das TheologInnen-Ich ist ihr nicht gefeit, wenn es zu sich spricht:
„Gott, das hyperaktive Aktionsbündel, lass‘ ich einfach laufen.“ (Frei nach Stephan Schaede, Akademiedirektor in Loccum)
b) Und es gibt die Anfechtung. Auch dort, wo Theologie „als quicklebendiges, der bewegenden Beweglichkeit ihres Gegenstandes entsprechendes Ereignis“ geschieht, wie Magdalene L. Frettlöh, Professorin in Bern, sie sich wünscht, sei ihr gerade in der Anfechtung mit Barths geradezu kämpferisch hart formulierten Appell des Aushaltens und Ertragen allein nicht geholfen. Frettlöh vermisst in Barths „Einführung in die Evangelische Theologie“ das Kyrie eleison, das „an Gott gerichtete Fragen, Klagen und Anklagen“.
Selbst begeistert von Barths „Einführung“, die sie lese „als eine pneumatologisch fokussierte und doxologisch perspektivierte Rechenschaft einer als Weisheitslehre konzipierten durchgängig dialektischen Theologie“, stellte Frettlöh den Aufbau des kleinen Buches mit seiner dreifach viergliedrigen Struktur dar als Tanz der Quadrille, dem Kontratanz mit vier Personen, in dem sich der Geist „als der Tanzlehrer“ erweise.
Im Blick auf den Entwurf einer eigenen Theologie, benannte Frettlöh, was bei ihrem „Lehrer“ Karl Barth fehlt: Mit der Vermittlung theologischer Erkenntnis nach außen lasse Barth uns allein.
Stellvertretend für alle anwesenden Theologie Lernende und Lehrenden fragte sich Cornelis van der Kooi, Professor in Amsterdam:
Ist nun eine Einladung zum Kampf oder zum Tanz gesprochen?
Ende mit Zukunft
Am Ende der akademischen Vorträge, deren Pointen zu verstehen gute Vorkenntnisse in Dogmengeschichte voraussetzte, konnte ein renommierter Barth-Forscher wie Bruce McCormack seine eigene Arbeit an der Versöhnungslehre in die Frage fassen:
Wie kann ich Versöhnung leben mit einer Person, die sie nicht mit mir leben will?
Unter den golden schimmernden Kronleuchtern der Johannes a Lasco Bibliothek fanden die Herausforderungen, wie John G. Flett, Assistent in Wuppertal/Bethel, sie aus eigener Erfahrung erzählte, kaum Widerhall: Wenn er beim Besuch einer theologischen Fakultät feststellen müsse, ihre Bibliothek lasse sich auf einem Sechstel der Regalbretter seiner privaten Sammlung an Fachliteratur unterbringen; wenn Theologen an einem gemütlichen Ort in einem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land ihr Bier tränken, während wenige Meter entfernt ein Unglück geschähe und sie wüssten: Es wird noch nicht einmal ausreichend ärztliche Versorgung für die Verletzten geben.
Die Vorträge des vom Seminar für Reformierte Theologie der westfälischen Wilhelms-Universität Münster, dem Seminar für evangelische Theologie der Universität Siegen, der Karl Barth-Gesellschaft e.V. und der Johannes-a-Lasco Bibliothek in Emden veranstalteten Symposions werden als Sammelband beim Theologischen Verlag Zürich (TVZ) erscheinen.
Die Bände „Emden I“ (2005): Karl Barth in Deutschland (1921-1935) und „Emden II“ (2010): Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935-1950) liegen bereits vor. Emden III wird folgen und die Hoffnung sagt: auch Emden IV.
Nachtrag:
Zu viel Verehrung des Kirchenvaters des 20. Jahrhundert? Die heutigen BarthianerInnen wissen, um die Anekdote, die Georg Plasger, Professor in Siegen, in einer Pause beim Tee erzählte:
Barth gab einem Theologen den Rat:
„Wenn Sie einen Barthianer treffen, sagen Sie ihm: Ich bin keiner!“
Barbara Schenck, 5. Mai 2014
Nicht der Rechtfertigungsartikel, sondern das solus christus, die Christologie sei der Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt, davon war Karl Barth überzeugt. Allein diese Erkenntnis wäre es wert, aktuell im evangelisch-katholischen Gespräch zu leuchten, aber die Barthsche Rechtfertigungslehre biete noch mehr „Türen für weitergehende Einsichten“, so Professor Michael Beintker auf dem Barth-Symposion Anfang Mai in Emden.
„Jesus Christus ist das eine Sakrament“. So versteht Karl Barth das Sakrament in der Kirchlichen Dogmatik (KD). Wie kommt Barth zu diesem Verständnis? Was sagt es über menschliche Freiheit und Gottes souveränes Gott-Sein? Seine Antworten und Thesen hat Michael Weinrich, Professor für Ökumenik und Systematik, auf dem Barth Symposion Anfang Mai vorgetragen. Ein Bericht aus Emden.
Emden. Kirchenpräsident Martin Heimbucher hat am Donnerstag, 1. Mai 2014, beim dritten Emder Karl-Barth-Symposium an die direkten Verbindungen Karl Barths nach Emden erinnert.
Zum Internationalen Symposion Karl Barth als Lehrer der Versöhnung: Vertiefung - Öffnung - Hoffnung laden ein: das Seminar für Reformierte Theologie der westfälischen Wilhelms-Universität Münster, das Seminar für evangelische Theologie der Universität Siegen, die Karl Barth-Gesellschaft e.V. und die Johannes-a-Lasco Bibliothek in Emden.
Zur Eröffnung des Symposions „Karl Barth als Lehrer der Versöhnung“, sprach Prof. Dr. Georg Plasger in der Johannes a Lasco Bibliothek.
Die Versöhnungslehre Karl Barths ist Thema eines internationalen Symposions Anfang Mai in Emden.