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brit mila, der Bund der Beschneidung, Bundeszeichen nicht nur Israels, sondern aller abrahamitischen Völker mit Gott
Predigt zu 1. Mose 17, 1-4.23-27, 3. Mose 12,1-3 und 1.Kor 7, 17-23. Von Steffen Tuschling, Bergkirche Osnabrück
- "Ja, es gehört in eine Predigt. In eine Predigt in der reformierten Kirche, die sich theologisch an der Seite Israels, des Gottesvolkes des Alten Bundes weiß. In eine Predigt in der evangelischen Kirche, die sich ethisch Integration und gute Nachbarschaft in unserem Land auf die Fahnen geschrieben hat. In eine Predigt in der christlichen Kirche, die gerade dabei ist, den Dialog mit den anderen Religionen zu entdecken. Es gehört in eine Predigt, weil es einfach ein Skandal ist, wie sehr in unserem Lande die Maßstäbe verlorengegangen sind."
Predigt am Sonntag, 9. September 2012, Bergkirche Osnabrück.
Von Steffen Tuschling (PDF)
Die Gnade unserres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde,
brit mila, der Bund der Beschneidung, Bundeszeichen nicht nur Israels sondern aller abrahamitischen Völker mit Gott. Wir haben gehört von der Beschneidung Ismaels [Schriftlesung war 1. Mose 17, 1-4.23-27]. Von ihm ausgehend wurde die Beschneidung an die Araber weitergegeben, später die Muslime. Von Bruder Isaak ausgehend an die Juden.
Die Herkunft dieses Brauches ist ungewiss. Es gibt Alttestamentler, die sagen: Durch die Beschneidung wurde das Menschenopfer des ersten Sohnes abgelöst: Forthin sei nicht mehr das Leben, sondern nur noch die Vorhaut geopfert worden. Andere sagen, es habe mit Hygiene zu tun gehabt.
Wir wissen es nicht. Wissen nur: die Beschneidung ist Juden wie Muslimen ein heiliges Bundeszeichen, untrennbar verbunden mit ihrer Identität. Im Alten Testament wird die Beschneidung vielfach verankert, mehrfach geboten im Rahmen der 613 Ge- und Verbote der Torah. Hören Sie heute eine der vielen Stellen aus dem Gesetz Gottes:
[Lesung 3.Mose 12, 1-3]
Fragt einer seinen jüdischen Nachbarn: „Verzeihen Sie, ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber wurden Sie auch beschnitten?“ – „Klar, am 8. Tag nach meiner Geburt“. – „Und wie war das für Sie?“ – „Ioi, was soll ich Ihnen sagen… Ich konnte ein Jahr lang nicht gehen und noch zwei Jahre danach nicht sprechen!“
Beschneidung – Sommerlochthema Nr. 1 des Jahres 2012 in deutschen Feuilletons und vor allem Leserbriefspalten und Blogs.
Wer hätte das gedacht, im Sommer 2012, 70 Jahre nach den Deportationen der Juden aus diesem Land, und 20 Jahre nach der jüdischen Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion, jetzt wo die lange erhoffte „Normalität“ zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland gerade als zartes Pflänzchen zu wachsen beginnt… Wer hätte das auch gedacht nach 50 Jahren erst langsamen Antastens und inzwischen doch meist guten Zusammenlebens mit Millionen Muslimen… Wer hätte gedacht, dass im Sommer 2012 Deutschland mitten in einer unerbittlich geführten Debatte über die Beschneidung stehen würde?
Alles hatte begonnen mit einem Urteil des Landgerichts Köln, das im Juni einen Arzt der „Körperverletzung“ schuldig sprach, nachdem dieser einen muslimischen Jungen beschnitten hatte.
Was zunächst nach Provinzposse aussah – ein untergeordnetes deutsches Landgericht erklärt die Jahrtausende alte Sitte zweier Weltreligionen für illegal, bei Lichte betrachtet eine ziemliche Anmaßung – wurde schnell zum ganz großen Theater. Sicher sehr deutsch: was wir machen, machen wir gründlich!
Zum schrillen Eröffnungssignal blies der Strafrechtler Holm Putzke von der Universität Passau, der in der Financial Times Deutschland kommentierte:
„Inzwischen stuft die Mehrheit der Experten medizinisch nicht notwendige, also auch religiöse Beschneidungen, als rechtswidrige Körperverletzungen ein.“ Dass sich das Landgericht dieser Meinung nun angeschlossen habe, bedeute „eine Zäsur: Zukünftig wird sich kein Mediziner mehr darauf berufen können, er habe geglaubt, Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Jungen aus religiösen Gründen vornehmen zu dürfen.“ Der Beschluss sei „vor allem für Ärzte enorm wichtig, weil diese zum ersten Mal Rechtssicherheit haben“, Putzke erklärte weiter: „Das Gericht hat sich - anders als viele Politiker - nicht von der Sorge abschrecken lassen, als antisemitisch oder religionsfeindlich kritisiert zu werden“. Er hoffe, das Kölner Urteil werde nicht nur die zukünftige Rechtsprechung prägen, sondern auch bei Anhängern der betroffenen Religionen zu einem „Bewusstseinswandel führen, Grundrechte von Kinder zu respektieren“.
Damit waren die Tonlage gesetzt und die Eckpflöcke eingerammt: Verteidigung der Kinderrechte gegen eine überholte archaisch-religiöse Sitte.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrücks sagte mir vor den Sommerferien im Gespräch: Wenn das ernst gemeint ist, werden wir in diesem Land nicht bleiben können. Aber wir dachten beide noch nicht, dass es ernst gemeint sein könnte.
Was folgte, waren Schadensbegrenzungsversuche deutscher Politiker. Und zugleich die Einstellung der Beschneidungen am Berliner Jüdischen Krankenhaus, das seine Ärzte schützen musste. Bisher war das Jüdische Krankenhaus eine der besten Adressen für jüdische und muslimische Eltern gewesen, die ihre Söhne nicht von Hausbeschneidern, sondern medizinisch einwandfrei behandelt sehen wollten.
Die Bundesregierung und der Bundestag erklärten, bis zum Herbst werde ein neues Gesetz geschaffen, das die Traditionen der Muslime und Juden respektiere. Daraufhin schrieben 700 Wissenschaftler einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem sie Juden und Muslimen ernsthaft vorwarfen, ihre Religionsweitergabe geschehe durch „sexuelle Gewalt an Kindern“.
Die Leserbriefspalten der FAZ und der taz quollen über von Schmähschriften gegen die Religion. Und zwar spezifisch gegen die Religionen der Minderheiten. Aber auch ganz allgemein: Es sei kein Wunder, dass die großen Kirchen nun den Juden und Muslimen beisprängen, eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus. Und schließlich sei auch die Taufe ein Akt der Gewalt, der seelischen, nicht der körperlichen.
Der Oberrabbiner von Israel, Yona Metzger, reiste eigens nach Deutschland um mit Familienministerin Schröder zu sprechen… Vor der Bundespressekonferenz war Metzger bass erstaunt über die Frage, ob jüdische Jungen und Männer durch ihre Beschneidung nicht traumatisiert seien. Metzger konnte sich ein verwundertes Lächeln nicht verkneifen. Und da ging es ihm wie vielen Menschen außerhalb Deutschlands. In den USA sind 75% der Männer beschnitten, also auch die Christen, weil man diesen Eingriff dort genauso selbstverständlich vornimmt, wie das Durchtrennen der Nabelschnur. Dafür sind heute hygienische Gründe und die Prävention von Gebärmutterhalskrebs ausschlaggebend.
Doch in Deutschland ging und geht die Debatte weiter. Die Argumente werden schriller: Nicht selten wird die Beschneidung von Jungen mit der sogenannten Mädchenbeschneidung verglichen, also mit der Verstümmelung der weiblichen Genitalien. Dass mich keiner falsch versteht: Natürlich müssen Mädchen davor geschützt werden, dass ihnen die Klitoris abgeschnitten wird. Aber der Vergleich dieser barbarischen Sitte, die den Mädchen jede Freude an der Sexualität raubt und dauerhaft Schmerz zufügt, mit dem Entfernen der männlichen Vorhaut… Dieser Vergleich ist etwa so sinnvoll, wie wenn man das Ohrlochstechen mit dem Abschneiden eines Ohrs vergleichen würde.
Ich weiß wovon ich spreche, ich bin selbst beschnitten, und empfinde keine Behinderung, keine Schmerzen oder Einschränkungen.
Nein, es sind die Maßstäbe verloren gegangen. Und das in gründlich deutscher Art.
Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, äußerte sich in der vorletzten Woche dazu: Es gibt kein einziges Land auf dieser Welt, in dem mit dieser schneidenden Schärfe und schroffen Unerbittlichkeit argumentiert wird von den geradezu besessenen Beschneidungsgegnern. Wir werden rüde auf die Anklagebank gesetzt und lauthals kriminalisiert. Diese schroffe, besserwisserische und bevormundende Art sucht man vergeblich in allen anderen Ländern, wo ja zuweilen auch kritisch mit dem Thema umgegangen und diskutiert wird. Das ist schon mehr als auffällig. Warum das so ist, das sollen besser andere klären. Aber auffällig ist es auf jeden Fall.
Liebe Gemeinde,
manche von Ihnen werden jetzt vielleicht unruhig und beginnen sich zu fragen, warum trägt der das alles vor, und gehört das überhaupt in eine Predigt?
Denen antworte ich: Ja, es gehört in eine Predigt. In eine Predigt in der reformierten Kirche, die sich theologisch an der Seite Israels, des Gottesvolkes des Alten Bundes weiß. In eine Predigt in der evangelischen Kirche, die sich ethisch Integration und gute Nachbarschaft in unserem Land auf die Fahnen geschrieben hat. In eine Predigt in der christlichen Kirche, die gerade dabei ist, den Dialog mit den anderen Religionen zu entdecken.
Es gehört in eine Predigt, weil es einfach ein Skandal ist, wie sehr in unserem Lande die Maßstäbe verlorengegangen sind. Wie sehr eine Leitkultur des Säkularismus meint, ihre Wertvorstellungen absolut setzen zu können… und Minderheiten vorschreiben zu dürfen, wie die gefälligst ihre Bräuche ändern müssten.
Da gäbe es in Deutschland zu Recht sehr viel zu sagen zum Thema artgerechte Behandlung von Nutztieren – aber es gibt eine säkularistische Front, die diskutiert am liebsten, wie grausam das Schächten sei – also die Art, wie die Minderheiten der Juden und Muslime schlachten.
Da gäbe es in unserem Land zu Recht sehr viel zu sagen zum Thema Gewalt gegen Frauen und Achtung der Würde aller Menschen. Aber es gibt eine breite öffentliche Meinung, die meint, eine zentrale Frage sei es, islamische Frauen vom Kopftuch zu befreien. Ohne je eine islamische Frau selbst dazu befragt zu haben.
Und heute ist es in Deutschland eben so weit, dass sich Antisemitismus und Islamhass auf der vermeintlich hehren Spielwiese des Kinderschutzes austoben…
Und ich frage mich und Euch: wer, wenn nicht wir, die Angehörigen der hier immer noch größten Religion, sind aufgerufen, hier ihre Stimme zu erheben. Für die Achtung der Religion der anderen. Für das Miteinanderreden in Respekt, statt das Ressentiment. Für das gute Zusammenleben mit den Muslimen. Für das endlich wieder mögliche Zusammenleben mit den Juden.
Manch einer wird einwerfen… aber der Kinderschutz?! Ja, der ist ein Argument. Und man könnte vernünftig versuchen zu klären, wie der Kinderschutz bei Beschneidungen verbessert werden kann… etwa durch örtliche Betäubung, durch Hinzuziehen eines Arztes o.ä. In Israel ist all das seit langem Thema. Aber gerade das geschieht in unserer Debatte selten – stattdessen werden die Ärzte, die helfen können, kriminalisiert.
Dieter Graumann sagt zum Kinderschutz-Argument: Vor allem erzürnt mich an der Debatte, dass uns immer unterstellt wird, wir würden unsere Kinder quälen oder misshandeln. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Alle Menschen lieben ihre Kinder. Und wir Juden – vorsichtig gesagt – bestimmt nicht weniger, als andere auch. Jüdische Mütter und Väter gehen für ihre Kinder durchs Feuer, sie haben das auch schon tun müssen. Uns nun zu unterstellen, wir würden ihnen mutwillig Schmerz, Schaden oder Qualen zufügen, das ist einfach infam und verletzend. Aber genau das geschieht. Diejenigen, die so handeln, sollten das ganz schnell unterlassen. Ich glaube auch, dass wir uns das nicht weiter gefallen lassen dürfen. Unsere Kinder benötigen keine selbst ernannten externen Fürsprecher, und wir Juden brauchen hier auch keine Nachhilfestunden und Belehrungen. Ich frage mich manchmal wirklich: Sollen denn jetzt am deutschen Rechtswesen jüdische Kinder genesen? Das erscheint mir absurd.
Liebe Christen: Ich finde, wir sollten uns im Gespräch mit unseren Nachbarn und Kollegen dafür einsetzen, dass wir unsere eigenen ethischen Debatten lieber über unsere eigenen Probleme führen, und nicht in erster Linie über die Probleme von Minderheiten. Womit ich nicht meine, dass wir in Deutschland jemals Gewalt als Ausdruck von Religion dulden sollten. Natürlich müsste niemand hier Witwenverbrennung dulden, weil etwa ein Brahmane sie uns als religiöses Gebot verkauft.
Aber so etwas ist eben die Beschneidung von Jungen nicht. Ich kann es Ihnen persönlich bezeugen. Wir müssen die Maßstäbe klären, mit denen wir messen.
Es ist heute so weit, dass unsere hiesigen Türken beginnen, ihre Beschneidungsfeste bei den Verwandten in der Türkei zu feiern, wo sie niemand anzeigt.
Und der Gemeinderabbiner von Hof in Bayern, ein Mann, der noch nie mit den Strafverfolgungsbehörden zu tun hatte, muss sich vor Gericht verantworten, denn er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung angezeigt.
Für die Juden – und zwar alle Juden, egal ob orthodox oder liberal oder ganz säkular, ist die Beschneidung am 8. Tag ein selbstverständlicher und notwendiger Teil ihrer Identität, so wie für uns die Taufe. Bei den Muslimen wird das Ganze flexibler gesehen, aber dennoch ist auch bei ihnen in der Nachfolge Ismaels die Beschneidung der Männer selbstverständlich. Kein Christ und kein Säkularist sollte sich aufschwingen, ihnen vorzuschreiben, sie müssten nun endlich ihre Religion reformieren. Ich finde, wir sind hier zur Solidarität mit den Schwestern und Brüdern der anderen Religionen aufgerufen. Uns schützend vor sie zu stellen, wenn sie angegriffen werden, das Gespräch zu suchen, wo nur noch Parolen gerufen werden.
Für uns Christen selbst hat die Beschneidung in der Tat keine identitätsstiftende Funktion, und auch als Gebot Gottes hat sie in der christlichen Kirche seit dem Apostel Paulus ausgedient. Aber für uns Christen zählt jedenfalls die Achtung vor dem Anderen, auch vor seiner Art von Gottesfurcht. Und für uns zählt, dass Religionen, auch unsere eigene, ihre eigene Identität selbst klären und sich nicht von selbsternannten Mehrheitsethikern vorschreiben lassen.
Wir selbst haben andere Bundeszeichen, die erinnern an die Selbsthingabe Jesu Christi, der die menschgewordene Liebe Gottes war. Taufe, Zeichen der Gotteskindschaft. Und Abendmahl, Zeichen der Erlösung.
Wer weiß, welche säkulare Weisheit uns bald das Abendmahl wird verbieten wollen, weil ein Mahl das Blut und einen menschlichen Leib symbolisiert, doch sicherlich „den Kannibalismus fördert…“!?
Ich schließe mit Worten des Apostels Paulus zur Beschneidung, wir finden sie im 1. Korintherbrief im 7. Kapitel:
17 Nur soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gott einen jeden berufen hat. Und so ordne ich es an in allen Gemeinden.
18 Ist jemand als Beschnittener berufen, der bleibe bei der Beschneidung. Ist jemand als Unbeschnittener berufen, der lasse sich nicht beschneiden.
19 Beschnitten sein ist nichts und unbeschnitten sein ist nichts, sondern: Gottes Gebote halten.
20 Jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde.
21 Bist du als Knecht berufen, so sorge dich nicht; doch kannst du frei werden, so nutze es umso lieber.
22 Denn wer als Knecht berufen ist in dem Herrn, der ist ein Freigelassener des Herrn; desgleichen wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi.
23 Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der Menschen Knechte.
Und der Friede Gottes, der höher ist…
Amen
Lied 600, 1-4 Meine engen Grenzen
Steffen Tuschling, Pastor an der Bergkirche in Osnabrück, September 2012