THEOLOGIE VON A BIS Z
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Karl Barths Versöhnungsdenken (3/4)
3. Welche ethischen Konsequenzen ergeben sich aus Barths Heilungsverständnis?
Wir beabsichtigen im Anschluss an Barth die Konsequenzen aus Gottes heiligendem Handeln am Menschen zu ziehen und also aus ihrem konstitutiven Bezug zur Rechtfertigung einerseits und ihrer Gestalt als Christusgemeinschaft und Neuschöpfung andererseits. Die Erstere gibt es laut Barth mitnichten im luftleeren Raum, sondern nur in der Gemeinde als der „Gemeinschaft der Heiligen“ (Apostolikum). Zweiteres ist keine bloße Idee, sondern wird überall da konkret, wo das Wirken des Gottesgeistes Werken des Menschen vorausgeht und sie umgreift bzw. wo sich die Gemeinschaft zwischen Christus und den Christen real ereignet: in den Sakramenten Taufe und Abendmahl. Sie sind nach reformatorischem Verständnis dem Wort Gottes in der Predigt als sichtbare – und unverzichtbare – Zeichen beigegeben, indem sie auf ihre Weise die Wirklichkeit Gottes, die unsichtbar, weil ja geistlich ist, vergegenwärtigt und Menschen daran teilhaben lässt. Was für die Heiligung i.A. galt (Wirklichkeit), gilt für die Taufe im Besondern (Wahrheit). Schon die Wortwurzel sacer im Lateinischen sacramentum (Sakrament) legt eine über sprachliche Verwandtschaft hinausgehende inhaltliche Verknüpfung zwischen Heiligung und Taufe nahe. Die Rechtfertigung wird von Barth keineswegs ad acta gelegt oder irgendwie unter den Tisch gekehrt, ganz im Gegenteil! Da Dogmatik zugleich Ethik und Ethik zugleich Dogmatik ist, versteht es sich für ihn von selbst, beide zusammenzuschauen, so dass wir hier so etwas wie eine Synopse versuchen, die lediglich ein Versuch ist, von der Heiligung her die Taufe neu zu verstehen. Dabei werden wir, das kann nicht ausbleiben, zu überraschenden und kirchlich/kirchenpolitisch vielleicht störenden, wenn nicht gar ärgerlichen Schlussfolgerungen gelangen, die in Barths Tauflehre bewusst mitbedacht wurden und nicht wirklich verwunden.
3.1 Heiligung und Taufe
Im klassisch altkirchlichen Sakramentsbegriff fallen zwei Bedeutungsweisen zusammen: eine ist, wie erwähnt, das sacramentum (Heilzeichen), die andere das mysterium (Geheimnis). Von dieser Lesart verabschiedet sich der „späte“ Barth, indem er einmal provokant feststellte, dass das einzige Sakrament, das das Neue Testament kenne, „Christus selbst“ sei.41 Angenommen, wir folgten Barth in dieser Revision des traditionellen Taufverständnisses – was nicht weniger als einer Revolution der christlichen Sakramentslehre gleichkommt –, so ist damit verbunden, Begriffe wie „Pate“, „Christ“ und „Konfirmation“ neu zu buchstabieren. Das jedoch kann und soll hier nicht unternommen werden. Die dargelegten Erörterungen dienen ja nur dazu, dem in der Heiligungslehre Barths zentralen Topos der „Erweckung zur Umkehr“ ethisch einen „Ort“ zu geben: die Taufe. Das ist schon deshalb angebracht, weil Barth die Taufe die „Begründung des christlichen Lebens“ (Untertitel der Tauflehre) nennt.
Eine wissenschaftliche Untersuchung von Barths Tauflehre muss ausbleiben. Wichtig ist aber einerseits Barths konstitutive Unterscheidung von Geist- und Wassertaufe, andererseits Barths Kritik an der Säuglingstaufe. Einerseits handelt es sich bei der Taufe für ihn um Konkretionen des Gnadenbundes, der die übergreifende Klammer des gesamten Versöhnungsgeschehens ist, andererseits wird die Kurskorrektur gegenüber reformatorischen Taufverständnissen deutlich, was folgende Auflistung einiger Grundlinien des Barthschen Taufverständnisses zeigt, die wir von Hans-Joachim Kraus im Anschluss an Barth übernehmen:
(1) Die Taufe ist „leibliche Waschung mit Wasser“;
(2) Die Taufe als leibliche Waschung schließt eine „naturhaft-elementare“ Deutung aus;
(3) Die Taufe hat ihre religionsgeschichtliche Parallele in der jüdischen Proselytentaufe;
(4) Die Taufe als leibliche Waschung war im Neuen Testament selbstverständlicher Brauch;
(5) Die Taufe wird im Neuen Testament nirgends thematisch – ausgenommen die Taufe Jesu;
(6) Die Taufe ist Antwort des Menschen auf das Heilswort und Heilswerk Gottes;
(7) Die Taufe findet in der christlichen Gemeinde statt.42
Die Kriteriologie zeigt: die Taufe geschieht am Menschen und wird auch von ihm begehrt. Ihr wohnt dabei keine mystische Kraft inne, sondern orientiert sich an Jesu Taufe durch Johannes. Zentral ist hier die Überlegung, dass es in der Taufe um ein Dialoggeschehen geht, in dem der Täufling weder stumm bleiben noch sich vertreten lassen kann, sondern zum Bekennen aufgerufen ist und das nicht im stillen Kämmerlein (vgl. Mt 6,6), sondern vor Zeugen. So treten die Täuflinge nach Barth selbst in die Reihe der Zeugen der Versöhnung ein. Ihr Zeugendienst ist, das ist das Entscheidende, weder aktivistisch noch quietistisch misszuverstehen, sondern wird schlicht darin Ereignis, dass sie Ja sagen zum Ja Gottes. Hieraus ergibt sich die konstitutive – unhintergehbare – Unterscheidung zwischen dem Handeln Gottes auf der einen Seite und dem Handeln des Menschen auf der anderen Seite, soll heißen: der Unterscheidung von Geist- und Wassertaufe. Ihr haben wir uns zuerst zuzuwenden.
3.1.1 Die Unterscheidung von Geisttaufe und Wassertaufe
Ich zitiere Barths „Leitsatz“ zur Tauflehre. Er illustriert deren interessanten Aufbau:
„Eines Menschen Wendung zur Treue gegen Gott und so zu dessen Anrufung ist des treuen Gottes eigenes Werk, das, in der Geschichte Jes Christi vollkommen geschehen, vermöge deren erweckender, belebender und erleuchtender Macht als seine Taufe mit dem Heiligen Geist zum Neubeginn gerade seines Lebens wird. Der erste Schritt seines Gottes gegenüber treuen und also seines christlichen Lebens ist seine in eigener Entscheidung von der Gemeinde begehrte und durch sie vollzogene Taufe mit Wasser als das verbindliche Bekenntnis seines Gehorsams, seiner Umkehr, seiner Hoffnung, abgelegt in der Bitte um Gottes Gnade, in der er ihrer Freiheit die Ehre gibt.“
Beachtenswert ist: die Taufe wird gedacht, sie ist ein Beziehungsbegriff, auf Wechselseitigkeit angelegt. Es geht ihr um die Christusgemeinschaft, diesmal nach ihrer ethischen, den Mensch (heraus-)fordernden Seite hin. Der treue Mensch tritt auf den Plan. Der wahrhaft treue und so wirkliche Mensch ist und bleibt für Barth Jesus Christus. Er zuerst. Er aber nicht allein – nicht ohne die von ihm Gerechtfertigten und Geheiligten, Erwählten und Berufenen. Der Halter, der Erfüller des Bundes schafft sich in der Taufe Bundesgenossen. Der Gnadenbund bleibt so die Klammer um die gesamte Tauflehre, die in zwei Momente zerfällt. Ihrer Verschiedenheit zum Trotz sind beide verbunden und wieder können wir sagen in einem Verhältnis von Grund und Ziel.
Das erste Moment beschäftigt sich mit der Geisttaufe und thematisiert dogmatische Fragen im Bereich des Ethischen. Das zweite Moment befasst sich mit der Wassertaufe und thematisiert ethische Fragen vor besagtem dogmatischen, genauer: gnadentheologischen Horizont; wichtig ist: Dogmatik ist Ethik und Ethik ist Dogmatik.43 Diese für Barth unentbehrliche Zuordnung wird in der protestantischen Theologie der Gegenwart (wie der Vergangenheit) eher selten geteilt. Die Gründe sind vielfältig. Der wohl wichtigste Grund ist der: im Verlauf der Geschichte der Kirche und der Theologie hat sich das Lutherische Schema von Evangelium und Gesetz in der Weise verselbständigt, dass irgendwann Evangelium und Gesetz nicht mehr als Einheit in Unterschiedenheit wahrgenommen wurden, sondern die Größe „Gesetz“ sich ablöste von dem Evangelium Jesu Christi und abwanderte in andere Wissenschaften, die Gottes Weisung leider solange missverstehen mussten, solange sie das Gesetz nicht als Gesetz Gottes deuteten. Hier wird ein Grundschaden des Kulturprotestantismus sichtbar: die Verselbständigung des Gotteswillens macht aus seiner gnädigen Weisung ein strenges, wenn nicht unerfüllbares Regelwerk, das Menschen einenget und bevormundet, statt sie zu befreien und in Beschlag zu nehmen; da auch das Gesetz Wort Gottes ist, kann es kein dem Wort des Evangeliums widersprechendes – fremdes – Wort sein, es sei denn es wird aus seinem genuinen Sachzusammenhang gerissen, welcher der Bund (berit) ist, der dem Gesetz (tora) vorangeht. Die Überlegungen anzustellen, war wichtig, weil nur so Barths Tauflehre wirklich verstanden werden kann.
Die i.e.S. theologischen Fragen seiner Tauflehre kreisen um Christologie, Pneumatologie und Anthropologie, während die ethischen sich um ekklesiologische Fragen drehen, hauptsächlich ums Bekennen und Beten. Es ist zu beachten, dass die Lehrstücke verbunden sind: erstens Christus und sein Geist, wobei dieses Band sich anthropologisch durchschlägt. Zweitens wird eine enge Bindung geknüpft zwischen Christwerden und Kirche. Gottes Geist erschafft als der Schöpfergeist aus Menschen Christenmenschen, er macht Sünder zu Gerechten und Heiligen, indem er ihnen Anteil gibt am Gehorsam Jesu Christi, der sich Stück für Stück in ihrem Leben durchsetzen will. Versuchen wir Barths Taufverständnis in groben Zügen nachzuzeichnen.
Barth stellt folgende Ausgangsfrage: Wie wird der Mensch ein Christ? Die Bibel antworte, so Barth, darauf, dass „Gottes Möglichkeit“ darin bestehe, „einen Menschen seiner Gnade aktiv teilwerden“ zu lassen, wozu Barth auf viele neutestamentliche Bilder verweist, die nach ihrem Sprachduktus von einer Neuschöpfung, also Heiligung sprechen.44 Zusammenfassend kann er darum sagen: „Der entscheidende Punkt ist die Göttlichkeit der Wendung, auf die das neue Leben eines Menschen […] zurückgeht.“45 Die Christwerdung des Menschen liegt nach Barth im Gnadenbund Gottes begründet, darum heißt es: „In der Geschichte Jesu Christi ist der Ursprung und Anfang des christlichen Leben, ist die göttliche Wendung, in der Unmögliche nicht nur möglich, sondern wirklich wird: daß es […] aus der Tiefe und Macht der Treue Gottes […] zu der ihr entsprechenden Treue des Menschen kommt (Röm 1,17).“46 Zweierlei fällt an diesem Zitat auf: zum einen rekurriert es sprachlich auf den Leitsatz und zum anderen deutet es den Glauben als „Treue Gottes“47; damit unterstreicht Barth, dass besagte Wendung zum Christwerden letztlich ein „Geheimnis“ ist (1Tim 3,16).48
Wir erwähnten, dass die Taufe mit dem Heiligen Geist innerhalb der Klammer des göttlichen Gnadenbundes steht und Gottes Gnadenwahl ist für Barth die Summe des Evangeliums. Auch sagten wir, dass innerhalb dieser Klammer im ersten Anlaufe christologisch-pneumatologisch argumentiert wird, oder genauer: ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen dem Christusereignis damals und der neuschöpferischen Kraft des Geistes Jesu Christi heute. Bevor Barth inhaltlich näher darauf eintritt, nimmt er eine Zweifachabgrenzung vor, um Missverständnisse bzgl. des Geheimnischarakters des Christenwerdens auszuräumen: einerseits nimmt Barth Abstand von einer christomonistischen, andererseits von einer anthropomonistischen Lösung und das heißt: Barth will weder die Christen in Christus verschwinden sehen (frei nach dem Motto „Christus alles – wir nichts“) noch umgekehrt, denn hinter beiden Monismen steckt für ihn ein Subjektivismus, der das Geheimnis christlicher Existenz weginterpretiert.49 Im Glauben besitzt weder der Christ Christus (Subjektivismus „von unten“) noch verfügt Christus (wie irgendein Sklavenhalter) über Christen (Subjektivismus „von oben“). Diese Subjektivismen verkennen, dass die christliche Existenz unter eschatologischen Vorbehalt steht, also dynamisch verläuft. Mit Blick auf die Taufe kommt ein weiteres wichtiges Kriterium für das Christwerden hinzu: als Geheimnis der Treue Gottes spiegelt es die Geschichte Jesu Christi, das heißt: wir sind in seine Geschichte einbezogen, eingezeichnet, mithineingenommen. Sie ereignet sich außer uns, aber sie geschieht für uns. Barth fragt: Was ist die Christwerdung des Menschen anderes als eine Befreiungsgeschichte? Von der Taufe kann er als von einer „neuen Lebensgeschichte“50 sprechen.
Auf die doppelte Abgrenzung folgt eine doppelte Voraussetzung bzgl. der Geisttaufe: sachlich zuerst nennt Barth die Auferweckung des Gekreuzigten als Werk Gottes, der die konkrete und dynamische Beziehung des Menschen zu Gott folgt. Die Auferstehung nennt er das „dass“ der Geisttaufe, die Gott-Mensch-Beziehung ihr „wie“. Beides hängt für ihn untrennbar zusammen – die Auferstehung Jesu Christi als Verheißung seiner Gegenwart im Geist und die gehorsame Lebensantwort des Menschen als Werk des Geistes.51 Es stimmt schon: der Mensch bleibt in der Taufe mit dem Heiligen Geist passiv, schließlich ist Christenwerden eine Tat Gottes.
Dass der Mensch aber völlig passiv in der Taufe wäre, verneint Barth, indem er der Taufe mit dem Geist die Taufe mit Wasser zur Seite stellt. Doch bevor er das tut, gibt er uns noch einen Hinweis, was in der Geisttaufe geschieht: „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ (Röm 8,16) Gotteskinder sind für Barth nicht Unmündige (rechtlich), sondern Freie (ethisch), denn sie dürfen erfahren, dass sie ihre Christuserkenntnis gerade nicht sich selbst verdanken, sondern dem Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft (Phil 4,7).52 Ist die Taufe also unvernünftig?
Barth antwortet: Die „Macht der göttlichen Wendung, in der es zum Ereignis der Begründung des christlichen Lebens von bestimmten Menschen kommt, ist die Macht der ihnen widerfahrenden Taufe mit dem Heiligen Geist.“53 Die Geisttaufe ist, so Barth, auf der ganzen Linie eine Glaubensaussage. Barth fasst sie dahingehend zusammen, dass er sagt, dass in der Taufe nicht die Kirche als Heilsvermittler auftritt, sondern Christus, dass die Taufe mit dem Heiligen Geist mehr ist als ein Symbol und zwar Gnade54, dass sie, so Barth weiter, Dankbarkeit fordert, auf Gemeinschaft auslegelegt ist und als der Anfang eines, das sahen wir, neuen Lebens trotz Wachstum ein Anfang bleibt, also nicht zum Schauen wird. Damit bestätigt sich, was wir in der Heiligung feststellten: Geisttaufe ist Gnade, sie verdankt sich Christus, ist auf Gemeinschaft angelegt und betont die Vorläufigkeit des Christenlebens. Worin besteht konkret die Verbindung zwischen Heiligung und Geisttaufe? Sie besteht darin, dass die in der Auferweckung des Gekreuzigten offenbare Verheißung, dass Gott mit Sündern Gemeinschaft haben will, darin zum Ziel kommt, dass Menschen sich taufen lassen. Dadurch begründet sie nach Barth das christliche Leben. Als „Anfang“ weist sie über sich selbst hinaus auf das Abendmahl. Dies soll nicht behandelt werden.
3.1.2. Die sachliche Problematik der reformatorischen Säuglingstaufe
Wenden wir uns nun der Taufe mit Wasser zu und erfahren so, was Barth unter Entscheidung, Bekenntnis und Gebet versteht. Programmatisch ist Barths Vorgehen schon darum, weil er die reformatorische Tauflehre als Referenzpunkt seiner Abgrenzung wählt, auf der die Gedanken zur Taufe als Bekenntnisakt entwickelt werden.
Barth entwickelt eine dreifache Anfrage an die Säuglingstaufe: erstens an die reformatorische Tauflehre, zweitens an die neutestamentlichen Argumente, drittens an dogmatische Einwände. Schon aus dieser Anordnung wird ersichtlich, dass Barth die Säuglingstaufe nicht einfach verabschiedet, sondern theologisch darum ringt, was sie bedeute. Er ist der Tatsache eingedenk, dass er die Taufpraxis seiner Zeit nicht von heute auf morgen ändern kann. Er ist so kühn, zu behaupten, dass die Säuglingstaufe eine „unordentliche Praxis“55 ist. Dabei ist ihm klar, dass er provoziert. Sein Ziel ist nicht Provokation, sondern Überzeugungsarbeit – er will den Leser theologisch dafür sensibel machen, was in der Taufe geschieht, die er ja, wie gesehen, in eine Taufe mit dem Heiligen Geist und eine Taufe mit Wasser unterscheidet ganz im Sinne eines korrespondieren Verhältnisses von Treue hier und Dankbarkeit dort. Was in der Heiligung im Allgemeinen galt, gilt in der Taufe im Besonderen: die Beziehung zwischen Gott und Mensch ins Zentrum stellen und von dort sowohl Gott als auch den Menschen besser verstehen, ja, im Spiegel des Gnadenbundes verstehen lernen.
Dass Barths Ausführungen Sprengstoff sind, war ihm wohl bewusst. Ihn interessierte aber die Frage, ob die göttliche Wendung tatsächlich an Unmündigen zu geschehen habe, wie in allen Großkirchen praktiziert, oder an jenen Freien (Liberi), die Gott „Vater“ nennen dürfen.
(a.) Barth setzt grundsätzlich ein: eine theologisch ausgearbeitete Kindertauflehre gebe es erst seit der Reformation. Dieses historische Argument weist uns darauf hin, dass es in der Zeit der Patristik plurale Vorstellungen und Praktiken der Taufe gegeben hat, wobei der Taufritus (als solcher) schon für die neutestamentliche Zeit belegt ist und die Taufe im katholischen und im protestantischen Bereich als Sakrament verstanden wurde. Barths Einstiegsargument beweist, dass die Tauflehren der Reformatoren den Endpunkt einer Kontroverse bilden. Darum fährt er fort zu behaupten, dass ihre Argumente für ihre Säuglingstaufen apologetisch-polemischer Art seien, denn die verdankten sich der scharfen und oft unbarmherzigen Auseinandersetzung der Reformatoren mit den Täufern und deren Glaubenstaufen. Dieses eher methodische Argument führt uns vor Augen, dass die Reformatoren trotz ihres theologischen, vielfach auch ethischen Bruchs mit der katholischen Theologie, zumindest in der Tauffrage mit ihr einig waren. Nicht völlig: zwar bestritten die Reformatoren nicht die Heilsnotwendigkeit der Taufe, jedoch deren erbsündenreinigende Wunderkraft. In der Taufe offenbart sie für Barth ein rechthaberisches(!) Auftreten, denn die Reformatoren dämonisieren ihre Gegner in Bausch und Bogen. Die dabei von ihnen bevorzugte Polemik spart nicht mit verbalen Ausfälligkeiten. Man meint fast, die christliche Nächstenliebe beträfe alle Menschen außer die Täufer. Barth präzisiert das zweite Argument dahingehend, dass er festhält, dass die Polemik nachträglich erfolgt sei.
Auffällig ist, dass im Gegensatz zu Glanzstücken wie Luthers Kreuzestheologie oder Calvins Ämterlehre ihre Taufverständnisse a posteriori entwickelt wurden, so dass man den Eindruck gewinnen kann, dass das Gehaltvolle dort hier substanzlos wird – Calvins Bindung der Taufe an die jüdische Beschneidung ist später nachzugehen. Soviel steht für Barth jedoch fest: nicht aus einer souverän entwickelten Positionen heraus, sondern in verbissener Negation verharren die Reformatoren in Sachen Taufe gegenüber den Täufern und schelten sie als Irrlehrer.
Das dritte Argument ist ein Traditionsargument. Barth konstatiert, dass die Kindertaufe auf der „Anerkennung des Geltungsanspruches der mächtigen kirchengeschichtlichen Faktizität“ beruht.56 M.a.W.: Kinder werden getauft, weil das schon immer so war, weil das schon immer so gemacht wurde, weil das „von Alters her in der Kirche Regel war“. Die Verteidiger dieser Tradition, die zu einer zeitlosen Wahrheit geronnen scheint, sind für Barth Luther, Zwingli, Calvin.57 Ihnen misst er den größten Einfluss bei. Das ist wirkungsgeschichtlich korrekt, denn z.B. im Augsburger Bekenntnis werden all die, die lehren, dass die Kindertaufe nicht recht ist, verworfen.58 Das letzte Argument (Traditionsargument) ist deshalb für Barth das wichtigste, weil es den Kern der Kindertaufe freilegt. Das Überkommene und damit: die Tradition gilt als entscheidendes Legitimationsprinzip. Eine sachliche Grundlegung darüber, wieso Babys und nicht etwa Greise59 zu taufen sind, scheint nachranging. Die theologische Argumentation der Reformatoren steht auf wackligen Füßen. Gerade für Calvin ist es bemerkenswert, dass er in der Kindertaufe das Traditionsargument gelten lässt, wo er doch in ekklesiologischen Fragen, und das Sakrament der Taufe gehört für ihn eindeutig in die Lehre von der Kirche, vehement die Verteidiger der Bräuche kritisiert, etwa wenn diese behaupteten, dass „Satzungen“ aus „alte[r] Herkunft“ stammten, bei welchen sie sich auf die „Traditionen der Väter“60 beriefen.
Barth wiederholt und variiert im Folgenden die vorangehenden Argumente und beginnt damit, dass die Kindertaufe nicht theologisch, sondern, wie erwähnt, nachträglich begründet, dass sie nicht überlegen vorgetragen wurde, was an jener Dämonisierung der Gegner abzulesen sei.61
Zwei zentrale Ergänzungen kommen hinzu: erstens ist die Kindertaufe bei Luther nicht widerspruchsfrei hinsichtlich des Glaubens des Säuglings, zweitens ist sie bei Calvin inkonsequent, sodass sie, so Barth, als Lehre nicht bewiesen werden kann, nur als Gebot, denn Luther bleibe den Beweis schuldig, wieso schon und dann bloß Kinder zu taufen seien, so Barth, und Calvin argumentiere mit der Analogie zwischen Beschneidung und Taufe, übersehe jedoch, dass die Beschneidung nur Männern gelte und national gebunden sei, während die Taufe allen gelte und das Volk des neuen Bundes gerade keine Nation sei, sodass er schließt: die reformatorische Kindertauflehre sei eine „Theologie im Nachhinein“ für die gelte: der Wille stehe für die Begründung.62 Hierauf ist sicher viel zu entgegnen. Das sparen wir uns aber; aus Zeit- und aus Umfanggründen. Was besonders auffällt, ist, dass Barth die Selbstverständlichkeit (als sei die Taufe eine Binsenweisheit) dieser drei Reformatoren, schon Kinder taufen zu lassen, nicht als zeitlose Wahrheit stehen lässt, in die wir uns schicken müssen, sondern dass er, der ja das Anliegen der Reformation in seiner Theologie bewahrt und nicht zerstört sehen wollte, nun an dieser Stelle nicht in parte, sondern in nuce über die reformatorischen Tauflehren hinaus will. Zum einen, weil die Lehren nicht konsistent sind, zum anderen, weil er sich des Eindruckes nicht erwehren kann, dass hier der Wunsch zum Vaters des Gedankens geworden ist. Wenn dem wirklich so sein sollte, muss Barth aber hinreichend nachweisen, wieso die Reformatoren in dieser Frage nicht nur theologisch, sondern auch biblisch in die Irre gegangen sind:
(b.) Barth fragt weiter: Kann der Verweis auf bestimmte Bibelstellen jene sachliche Lücke der Kindertaufe ausfüllen? Barth macht sich sehr viel Mühe damit, alle einschlägigen Taufstellen zu untersuchen, die für die Praxis einer Kindertaufe infrage kommen könnten, und konstatiert gleich zu Beginn, dass eine Kindertauflehre im Neuen Testament weder explizit ver- noch, so Barth deutlich, geboten werde. Daraus leitet er im Anschluss an alle relevanten Texte, die hier nicht näher untersucht werden können, ein konzises Fazit ab:
1.) Die neutestamentliche Zeit habe noch nicht an jene Kindertaufe im reformatorischen Sinne gedacht, wie er mit Verweis auf Apg 2,37-39, Mt 1,18f., Joh 3,4, Mt 21,14-17, 1Kor 7,14 u.a. festhält. Im Neuen Testament könnten zwar auch Säuglinge getauft worden sein, doch ein Gebot, diese und nur diese zu taufen, sei nicht ableitbar (Stichwort: „Haustaufen“).
2.) Die neutestamentliche Zeit habe den Verantwortungscharakter dessen, was die Taufe sei, deutlich herausgestrichen, darum heißt es in folgendem Zitat Barths:
„Aber billige Gnade kann und wie sie [sc. die Gnade Gottes] auch für diese Kinder nicht […]. Ein wirkliches, ein lebendiges, ein ernst zu nehmendes Glied seines Volkes wird und ist keiner schon dadurch, daß er in seiner Mitte existieren darf. Das wird und ist er vielmehr damit, daß er durch den Heiligen Geist, der die Macht des Werkes und Wortes Jesu Christi ist, zu einem solchen erweckt, von oben erzeugt, neu geschaffen wird. […] Sein [sc. des christlichen Lebens] Beginn kann und darf also […] nicht dadurch von Anderen über sie [sc. die Kinder] verhängt werden, daß sie, ohne nach ihrer eigenen Entscheidung gefragt zu werden, die Taufe empfangen. Wie kann man denn erwarten, daß es auf diese Weise zu einem Wachstum der lebendigen Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus kommt?“63
Die summarische Schlussbemerkung Barths zu den neutestamentlichen Befunden eröffnet uns einen Blickwechsel auf unsere Kindertaufpraxis, den ich anhand von drei Aspekten aus Barths Argumentation herausarbeiten will:
I. Barth bestreit nicht, dass die Gnade Gottes der Entscheidung des Menschen zuvorkommen muss. Wenn er theologisch nachvollziehbar und konsequent argumentieren will, dann muss er so argumentieren. Schon sein Leitsatz und die bisherige Argumentationsweise legen die Vor- Ordnung der Geisttaufe vor der Wassertaufe nahe. Das ist das charakteristische „Gefälle“, das wir zuvor erwähnten: von Gott her und zum Menschen hin (s.o.).
II. Christ sei man weder von Natur aus noch werde man es durch Eltern oder Paten: es liegt für Barth alles daran, den Aspekt der Neuschöpfung, der der Kern der Heiligung ist, gerade in der Versöhnungsethik stark zu machen. Auch wenn Barth es nicht explizit ausspricht, scheint ihm in dem Zusammenhang Röm 6,3-12 vorzuschweben, wo das Motiv „Neuschöpfung“ mit dem Ritus des Untertauchens und Emporholens verbunden ist:
„Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm zusammengewachsen sind, ihm gleich geworden in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort nicht über ihn herrschen. Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für alle Mal; was er aber lebt, das lebt er Gott. So auch ihr: Haltet euch für Menschen, die der Sünde gestorben sind und für Gott leben in Christus. So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam.“
Die Taufe versinnbildlicht hier, was sich dauerhaft im Christenleben abspielt: die, wie Calvin es genannt hat, Abtötung des Fleisches wird ergänzt durch eine Verlebendigung im Geist oder anders: als Christ trägt man sein Kreuz, zugleich gibt der Geist Hoffnung in allem Leiden. Im Ostereignis ist vorgezeichnet, was die Christen um Christi willen ebenfalls erfahren: sie haben zu sterben, damit er in ihnen lebe, oder anders: so, wie er für sie gestorben ist, machen sie nun Schluss mit weiterer Entfremdung und so, wie er für sie auferweckt wurde, lassen sie sich nun zur Umkehr erwecken. Warum? Röm 6,12 bringt es auf den Punkt: Jesus Christus ist ihr Herr, der neben sich keine anderen Herrscher duldet. Barths obiges Votum rekurriert aber nicht nur, vielleicht, auf Röm 6, sondern auch, das gewiss ,auf eine Formulierung Dietrich Bonhoeffers: Barths „billige Gnade“ ist, um es mit Bonhoeffers Worten noch klar zu sagen, der „Todfeind unserer Kirche“, wie es programmatisch schon im ersten Satz der „Nachfolge“ heißt. Sie ist
„Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, daß die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen sei. […] Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung Gottes.“64
Bonhoeffer ergänzt Barths Überlegungen zum christlichen Leben dadurch, dass er in deutlich vernehmbarer Abgrenzung zum Kulturprotestantismus65 seiner theologischen Lehrer „Gnade“ neubuchstabieren muss, da er den Begriff für entleert hält. Seine Revision des Gnadenbegriffs entfaltet er im Zitat in zwei Richtungen: einer soteriologischen und einer christologischen.
Die soteriologische Revision zielt darauf, das Wesen der Gnade Gottes nicht ausschließlich in der Vergebung der Sünden zu suchen, denn, so die christologische Revision, die als Begründungsinstanz fungiert, dazu ist Gott nicht Mensch geworden, dass er gegenüber Sündern bloß „Schwamm drüber!“ sagt, sondern dass er bis an die äußerste Grenze, die Todesgrenze und in die Gottverlassenheit geht, um Menschen von ihrer Lebensschuld zu befreien. Darum gelte, so Bonhoeffer weiter: „Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders.“66
Dieses Prinzip gewordene Verständnis der Gnade im Kulturprotestantismus ist s.E. ein großes Unrecht. Es schreit zum Himmel. Also betitelt er das erste Kapitel der „Nachfolge“ auch „Die teure Gnade“: teuer wird Gnade für ihn erst da, wo sich zur Vergebung die Buße gesellt und, das ist nun für uns das Wichtige: zur Taufe die „Gemeindezucht“.67 Obschon Barth kein Wort über Gemeindezucht verliert, ist seine Intention deutlich – und das nicht erst in der Tauflehre, sondern schon vorher: die Rechtfertigung zielt auf Heiligung, der Zuspruch der Vergebung ist ohne den Anspruch des Gehorsams nicht zu haben und darum sprechen Barth und Bonhoeffer an anderer Stelle vom „glaubenden Gehorsam“ und vom „gehorsamen Glauben“. Es lässt sich beides im christlichen Leben nicht trennen, sonst kommt es zur Schieflage der billige Gnade.
--> Weiterlesen: Befreiende Relativierungen 4/4
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41 Zitiert aus: Michael Haarmann, „Dies tut zu meinem Gedenken!“ Gedenken beim Passa- und Abendmahl. Ein Beitrag zur Theologie des Abendmahls im Rahmen des jüdisch-christlichen Dialogs, Neukirchen-Vluyn 2004, 223; vgl. dazu insgesamt a.a.O., 215-243 („Der ‚späte‘ Karl Barth).
42 aus: Otto Weber, Karl Barths Kirchliche Dogmatik. Ein einführender Bericht zu den Bänden I/1 bis IV/3,2, mit einem Nachtrag von Hans-Joachim Kraus zu KD IV/4, Neukirchen-Vluyn 122002, 336.
43 Vgl. dazu Wolf Krötke, Gottes Gebot der Freiheit. Zu Karl Barths Grundlegung der christlichen Ethik (aus: http://wolf-kroetke.de/uploads/media/Barths_Ethik_02.pdf; Stand: 09.09.2019)
44 So spreche Mt 22,11f. vom Christsein als einem „neuen Kleid“ bzw. „festlichen Gewand“, 1Thess 5,8 und Eph 6,13f. vom „neuen Sein“ des Christen, Kol 3,10 und Eph 4,24 vom „neuen Menschen“ sowie 2Tim 3,17 gar vom Christenmenschen als „Mensch Gottes“, Barth, KD IV/4, 5-7.
45 A.a.O., 13.
46 A.a.O., 18.
47 Diese Deutung begegnet uns bei Barth schon früh: Ders., Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, GA, Bd. 47, hg. v. C. van der Kooi u. K. Tolstaja, Zürich 2010, 58-66.
48 Vgl. KD IV/4, 19.
49 Vgl. a.a.O., 20-22.
50 Vgl. a.a.O., 23-25.
51 Vgl. a.a.O., 26-30.
52 Vgl. a.a.O., 31.
53 A.a.O., 33.
54 Wieder verweist Barth auf das Bild der neuen Kreatur aus 2Kor 5,17.
55 Vgl. Barth, KD IV/4, 213.
56 Barth, KD IV/4, 183.
57 A.a.O., 183f.
58 Die CA, Artikel IX urteilt: „Von der Taufe wird gelehrt, daß sie nötig sei, und daß dadurch Gnaden angeboten werde; daß man auch die Kinder taufen soll, welche durch die Taufe Gott überantwortet und gefällig werden [sc. Gott dargeboten und in die Gnade Gottes aufgenommen werden, wie es im lateinischen Text heißt]. Deshalb werden Die Wiedertäufer verworfen, welche lehren, daß die die Kindertaufe nicht recht sei“ (Hans Steubing [Hg.], Bekenntnis der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten, Wuppertal 1985, 42). Zur Taufe selbst heißt es lediglich, dass sie notwendig ein Gnadenangebot sei. Von heilsnotwendig ist expressis vcrbis nicht die Rede. Das Partizip „angeboten“ scheint nicht den Charakter des Verbindlichen zu haben, klingt vielmehr nach einem Vorschlag. Weder die Taufe im Allgemeinen noch die Kindertaufe im Besonderen werden begründet, vielmehr kommt die Kindertaufe der frühesten Aufnahme des Menschen in die Kirche gleich, indem schon Säuglinge in den Genuss des Angebots der göttlichen Gnade kommen. Das Anathema über die Täufer ist ebenfalls nicht begründet. Offensichtlich meint das Bekenntnis an dieser Stelle, mit der Notwendigkeit und der Gnade Gottes sei genug gesagt. Doch recht betrachtet bleiben hier viele Fragen offen.
59 Hier ist an die zeitweilige (freilich kurzzeitige) Praxis der Nottaufe im Angesicht des Todes zu verweisen. Wenn der Täufling jedoch nicht gestorben sein sollte, musste er noch einmal in einer Kirche getauft werden.
60 Vgl. Otto Weber u.a. (Hg.), Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift, Bd. 9: Calvins Auslegung des Propheten Ezechiel, Neukirchen 1938, 33; „Kein Grundsatz ist törichter als der, in Sachen der Religion gelte das, was viele Jahrhunderte gegolten!“, 388, so Calvin ausdrücklich!
61 Vgl. KD IV/4, 185.
62 Vgl. a.a.O., 196f. Vgl. zur Kritik an der reformatorischen Kindertauflehre insg. a.a.O.,183-197.
63 A.a.O, 202.
64 Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, Gütersloh ²2005, 29.
65 Damit ist eine bestimmte Strömung des protestantischen Geisteslebens im „Langen 19. Jahrhundert“ gemeint, die sehr stark im Bürgertum verankert war und zu deren bekanntesten Vertretern Ernst Troeltsch und Adolf von Harnack gehörten (vgl. Susanne Lanwerd, Die „Realisierung des Christentums“. Kulturprotestantische Traditionen in Deutschland gestern und heute, in: Richard Faber (Hg.): Zwischen Affirmation und Machtkritik. Zur Geschichte des Protestantismus und protestantischer Mentalitäten, Zürich 2005, 101–113.
66 Bonhoeffer, ebd.
67 A.a.O., 29.f. Das Thema „Kirchenzucht“ ist gerade im reformierten Protestantismus historisch vorbelastet und kann hier nicht ausführlicher besprochen werden.
Dennis Schönberger