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Guter Hoffnung
Predigt zu Lk 1, 67-79 am 13. Dezember 2020
In dieser Zeit hätte man tatsächlich schon ein Kind kriegen können. Neun Monate lang tragen wir jetzt schon an dieser Pandemie herum und die Parallelen zu einer Schwangerschaft sind gar nicht so weit hergeholt. Das erste Drittel ist meistens nicht so schön. Der Körper muss sich umstellen, da kann einem morgens schlecht sein und man muss auch erst einmal begreifen, was da alles gerade mit einem passiert: März, April, Mai.
Dann kommt das mittlere Drittel, die beste Zeit der Schwangerschaft, vor lauter Hormonen scheint gefühlt jeden Tag die Sonne und alles fühlt sich trotz der veränderten Umstände leicht an. Das sind die Monate voll guter Hoffnung: Juni, Juli, August.
Das letzte Drittel wird dann mühsamer. Man schleppt sich durch die Tage und Wochen und spürt die Last deutlicher, braucht Pausen, wünscht sich den Tag herbei, an dem es ein Ende hat. September, Oktober, November. Aber dann, in diesen Tagen kurz vor Weihnachten, dann ist es soweit. Dann kommt ja das Kind.
Mit der guten Hoffnung ist es schwer in diesen Tagen. Noch nie haben wir alle zusammen so inbrünstig auf etwas gewartet, wie in den vergangenen neun Monaten. Und anders als bei einer richtigen Schwangerschaft lässt sich der verflixte Termin einfach nicht berechnen. Statt Erleichterung und Freude stehen uns weitere Beschwernisse ins Haus. Es wird wohl besser sein, wir rechnen noch einmal mit neun Monaten. Und versuchen, dabei guter Hoffnung zu bleiben.
Für den Priester Zacharias und seine Frau, die Priestertochter Elisabeth ist das Thema Schwangerschaft schon lange vorbei. Am Anfang, da haben sie vielleicht noch in Monaten gerechnet und alle vier Wochen aufs Neue gehofft. Irgendwann reichte ihre Hoffnung nur noch bis zum nächsten Jahr. Und dann hat sie sich ganz und gar verbraucht. Über ihren Wünschen sind die beiden alt geworden. Etwas Schlimmeres gibt es eigentlich nicht.
Zacharias, dieser Name bedeutet: Gott gedenkt. Und als Priester ist es ja seine Aufgabe, seinen Namen mit seinem Leben und mit seiner Person zu füllen. Gott gedenkt – wenn Zacharias ehrlich hätte sein wollen, so authentisch, wie man es von religiösem Personal zu Recht erwarten darf, dann hätte er sagen müssen: Gott gedenkt meiner nicht.
Gott erinnert sich irgendwie nicht mehr an meine Wünsche oder hat sie vergessen über den vielen Wünschen und Bitten der anderen. Und es liegt schon eine gewisse Ironie darin, dass es auch noch meine Aufgabe als Priester ist, all die fremden, frommen Wünsche und Bitten vor Gott zu bringen. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Aber mit mir selbst hat es nicht mehr viel zu tun.
Ich bin kein alter Mann, aber religiöses Personal bin ich auch. Und ich versuche seit Monaten zu vermeiden, dass mir das Gleiche passiert wie Zacharias. Es gibt Tage, da braucht auch meine Hoffnung schon Sauerstoff. Gott gedenkt, ist das wirklich wahr? Ja, es ist wahr. Gott gedenkt an jede und jeden von uns, in alle unseren unterschiedlichen Lebenssituationen und Herausforderungen, an jede und jeden mit ihren und seinen Wünschen und Bitten. Ich heiße nicht Zacharias. Aber ich glaube, dass Gott gedenkt. Und es Gott nicht egal ist, was mit uns ist.
Zu Zacharias kam dann ein Engel. Wie immer, wenn Menschen die Luft ausgeht, wenn sie zu ersticken drohen in Traurigkeit und Angst. Fürchte dich nicht, sagt der Engel zu Zacharias. Egal, wie mechanisch du deine Gebete in den letzten Jahren verrichtet haben magst: Gott gedenkt deiner. Jetzt. Der alte Wunsch geht in Erfüllung. Ihr bekommt ein Kind. „Deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben“ (Lk 1, 13). Gott gedenkt, Zacharias. Du bekommst einen Johannes. Und dieser Name bedeutet: Gott hat sich erbarmt. So wird es kommen. Neun Monate noch.
Woran soll ich das erkennen? fragt Zacharias. Noch kann man nichts sehen. Neun Monate sind lang. Überhaupt kann doch so viel passieren. Es ist eine berechtigte Frag. Und ein guter Priester ist ein zweifelnder und nachdenklicher Priester. Mit Glauben und Hoffen allein ist Zacharias noch nicht sehr viel weiter gekommen in den vergangenen Jahren. Mit Glauben und Hoffen allein ist es schwer. Jeder, nicht nur Zacharias, möchte ein Zeichen, dass es jetzt in eine andere Richtung geht, am besten in Form einer Kurve. Aber bis sich Elisabeths Leib wölbt, wird es wieder Monate dauern.
Und siehe, du wirst verstummen und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die erfüllt werden sollen zu ihrer Zeit (Lk 1,20), sagt der Engel. Und Zacharias muss in seinen persönlichen Lockdown. Stumm wird er und damit als Priester arbeitsunfähig.
Was für eine Vorstellung, religiöses Personal, das mal nicht dauernd redet, sondern sich mit einem stummen, bedauernden Winken zur Gemeinde begnügen muss.
Zacharias hat nun neun Monate Zeit, das gleiche zu tun, was schwangere Frauen tun: In sich selbst hinein zu lauschen. Sich an diesen Zustand zu gewöhnen, die schönen Momente wahrzunehmen und auch an den Gedanken, dass es irgendwann einmal zu Ende ist mit dem Warten.
Zacharias übt, guter Hoffnung zu sein, neun Monate lang übt er das. Während der Leib seiner Frau sich mehr und mehr wölbt, sind sie so beide schwanger. Dann kommt das Kind. Und weil Zacharias ja stumm ist, muss er auf eine kleine Tafel schreiben, wie ihr Sohn heißen soll: Johannes. Gott hat sich erbarmt.
Und als Zacharias wieder zu reden beginnt, kommen aus seinem Mund keine Floskeln mehr. In ihm ist Glauben neu gewachsen, auf dem Boden von Zweifel und Nachdenklichkeit. Gott gedenkt und Gott hat sich erbarmt. Zwischen dem Versprechen und seiner Erfüllung liegt ein Leben. Wahrscheinlich ist es mit dem Glauben so. Er nimmt in meinem Leben langsam und im Verborgenen Gestalt an. Er bildet sich, genau wie ein Kind im Leib seiner Mutter. Und dazwischen liegen Zeiten des Wartens, in denen nach außen hin gar nichts passiert.
Zacharias‘ persönlicher Lockdown hat ihn unterbrochen in seiner Routine, vor allem in seinem berufsmäßigen Reden. Es gibt an dem Lockdown, der uns allen jetzt bevorsteht, nichts schönzureden. Viele werden darunter leiden, vor allem wirtschaftlich. Aber den Wunsch, dass jetzt einfach mal Ruhe ist und es gut ist mit all den unterschiedlichen Meinungen und auch mit dem sinnlosen Protest gegen sinnvolle Maßnahmen, den habe ich auch schon in den Nachrichten gehört, von den viel zitierten Passanten in den Fußgängerzonen. Ein bisschen Verstummen wäre gar nicht so schlecht.
Den allermeisten von uns steht auch mit diesem Lockdown keine lebensbedrohliche Situation bevor. Vielleicht kriegt man jetzt nicht alle Geschenke zusammen, aber wir werden alle zu essen haben und eine warme Wohnung. Und sollten wir krank werden, wird uns mit allen Mitteln geholfen. Für so viele Menschen auf der Welt wäre das schon die Erfüllung all ihrer Wünsche.
Und sollte es so sein, dass wir an Weihnachten nicht hierherkommen können, in die Kirche, dann wird das Kind doch trotzdem kommen. Und der Engel werden auch dann zu allen Menschen sagen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.
Wenn wir nicht hierherkommen können, dann wird eben Gott uns besuchen. Und dann wir es so sein, wie Zacharias es sagt, mit seinen ersten Worten nach neun Monaten Schweigen. Als Glauben in ihm gewachsen war:
Gelobt sei der Herr, der Gott Israels. Denn er hat besucht und erlöst sein Volk, (…)
durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Amen
Kathrin Oxen
Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.