THEOLOGIE VON A BIS Z
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Johannes 8,12
Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt
Ihr Lieben, heute morgen hören wir auf ein weiteres Ich-bin-Wort Jesu.
"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben."
"Licht und Finsternis". Ein Gegensatzpaar, das jeder kennt. So sehr man ab und an ein Dämmerlicht mag, vielleicht sogar manchmal froh ist, wenn das eigene Tun im Dunkeln bleibt - wir sehnen uns als Menschen, wie alles, was lebt, nach Licht. Licht ist die Voraussetzung unseres Lebens. Ohne Licht kann auf Dauer nichts existieren - sehen wir einmal von den relativ einfachen Organismen ab, die in fast absoluter Finsternis in den tiefsten Tiefen der Ozeane ihre ökologische Nische gefunden haben.
Es kommt nicht von ungefähr, dass der Schöpfungsbericht als erstes Werk Gottes die Erschaffung des Lichtes erwähnt. Das stimmt im übrigen auffallend mit den wissenschaftlichen Weltentstehungstheorien zusammen, die Licht und Wasser als die Grundvoraussetzungen des Lebens ansehen.
Wir brauchen Licht. Licht stimuliert uns. Licht erhellt nicht nur unsere Umwelt, sondern es hellt auch unser Gemüt auf. Wie viele sehnen sich gerade in diesen Tagen - wo ein langer Winter uns vielleicht und hoffentlich langsam aus seinen Händen gibt - nach der Frühlingssonne, die das erste zarte Grün aus den Bäumen und Sträuchern lockt.
Die Naturwissenschaften lehren uns: Licht ist etwas. Finsternis ist nichts.
Finsternis ist nichts anderes als die Abwesenheit von Licht. Sie lebt nur in der Negation. Sie hat keine Chance gegen das Licht. Selbst ein Glühwürmchen ist in der Lage, die Finsternis zu durchbrechen, eine Kerze kann einen ganzen Raum erhellen, und ein Leuchtturm hat schon manches Menschenleben gerettet, weil sein Licht die Finsternis besiegt. Licht ist immer ein Angriff auf die Finsternis. Wo Licht ist, muss die Finsternis weichen.
Das Johannesevangelium sagt ganz zu Beginn:
"Das Licht scheint in die Finsternis - und die Finsternis hat es nicht überwältigen können."
Und wenig später: "Er ist das wahre Licht, dass alle Menschen umleuchtet, indem es in die Welt kommt."
Unschwer merken wir, dass hier nicht mehr von dem Licht die Rede ist, das wir in der Physik untersuchen können. Aber es ist ja schon bemerkenswert, dass gerade das Licht zum Bild für Jesus Christus werden konnte und schon viel früher eines der prägenden Bildworte für Gottes Wirken in der Welt - wie wir eben zum Beispiel in der Schriftlesung (Jesaja 60,1ff) gehört haben.
Jesus Christus ist das Licht der Welt. Er ist das Licht, das allen Menschen leuchtet. Und Jesus sagt von sich selber: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben."
Diesen Worten möchte ich auf zwei Wegen etwas nachspüren:
Einmal möchte ich Jesu Wort in den Zusammenhang stellen, in dem es im Johannesevangelium steht.
Zum anderen möchte ich danach fragen, was es eigentlich für unser Verhältnis zu anderen Religionen bedeutet, wenn die Bibel sagt, dass das Licht Jesu Christi allen Menschen leuchtet.
1.
Die Aussage "Ich bin das Licht der Welt" steht im Johannesevangelium unmittelbar im Anschluss an eine dramatische Geschichte.
Jesus sitzt frühmorgens im Tempel in Jerusalem. Da wird sein morgendliches Gebet unterbrochen, weil einige Pharisäer und ihre schriftgelehrten Theologen eine Frau zu ihm bringen, die sie beim Ehebruch erwischt haben. Wie sie das fertig gebracht haben erfahren wir nicht, obwohl schon eine Menge privatdetektivischer Tätigkeit dazugehört haben dürfte. Aber die moralischen Instanzen haben sich schon immer für die Betten anderer Leute interessiert. Mag's gewesen sein, wie es will - in jedem Fall wollen sie nun, dass Jesus ein Urteil über diese Frau spricht. Nach mosaischem Gesetz droht der Frau die Todesstrafe durch Steinigung. Was wird Jesus machen? - Er setzt sich auf die Erde und schreibt mit dem Finger in den Sand. Demonstrativ gelangweilt. Wie ein Kind malt er Figuren auf die Erde - vielleicht weil er das Gebaren derer, die ihn da angehen, selber kindisch findet?
Dann erhebt er sich und sagt: "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein". Stille. Und einer nach dem anderen dreht sich um und geht. Da fragt Jesus die Frau: "Wo sind die, die dich verurteilen wollten?" - "Sie sind weg", sagt sie. Und Jesus sagt. "Dann verurteile ich dich auch nicht. Geh und sündige von nun an nicht mehr."
Unmittelbar danach steht das Jesus-Wort, das uns heute beschäftigt: "Ich bin das Licht der Welt" und wenige Verse später sagt er zu Pharisäern: "Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemanden" (Joh 8,15) und anderer Stelle heißt es: Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten. (3,17).
Ihr Lieben, das Licht Jesu durchleuchtet uns. Es zieht ins Helle, wer wir sind und wie wir leben. Es enttarnt uns - und zwar alle. Die, die meinen, im Recht zu sein, richten zu können, das Recht gepachtet und die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben ebenso wie die, die meinen, im Dunkeln sei gut munkeln und es käme schon nicht an den Tag, worüber die Nacht ihren Mantel gedeckt hat.
Die Frau, die die Ehe gebrochen hat (ebenso wie vermutlich der Mann, der auf der anderen Seite wohl dazugehört, auch wenn das die damalige Welt weniger interessierte) diese Frau lässt Jesus nicht einfach gehen und sagt: "Ich lass mal Fünf gerade sein. War halb so wild, was du getan hast". Er sagt: "Geh und sündige von nun an nicht mehr. Ändere dein Leben. Halte dich an Gottes Gebot."
Aber besonders stellt er die ins Licht, die sich zum Richter aufspielen wollen. "Habt ihr wirklich den Durchblick?", fragt Jesus sie. "Seht ihr wirklich klar, wie es um die Menschen steht? Ihr mögt sie nach euren Maßstäben durchleuchtet haben und diesen oder jenen Makel feststellen, den ihr nun verurteilt. Aber seht ihr sie im rechten Licht? Und vor allem: seht ihr euch selber recht?"
"Ich bin das Licht der Welt." - das heißt auch: Jesus stellt alle in sein Licht. Wie wir in seinem Licht erscheinen, so sind wir in Wahrheit vor Gott: Sündige Menschen, Menschen mit Fehlern. Da sind Neid und Hass, Müdigkeit und Trägheit, Hochmut und Ignoranz, Lüge und Heuchelei. Wie viel bleiben wir einander und unserer Umwelt schuldig? Wie wenig kommt Gott selber in unserem Leben zum Zug und wie oft halten wir ihn bewusst auf Distanz? Ja, so erscheinen wir im Licht Jesu.
Aber er stellt uns nicht ins Licht, um demonstrativ ein hartes Urteil an uns zu vollstrecken, sondern er stellt uns in sein Licht, in dem wir uns zugleich als die Menschen erkennen dürfen, die Gott liebt, über alles liebt, für die er alles, sogar seinen einzigen Sohn bereit ist, herzugeben.
Dazu stellt uns Jesus in sein Licht, so ist er das Licht der Welt, dass er allen Menschen den Weg zum Leben zeigt und den Weg ins Leben eröffnet. Er ist nicht gekommen, die Menschen zu verurteilen und zu bestrafen. Er gehört nicht zu denen, die der Überzeugung sind, das Recht können nur aufrechterhalten bleiben, wenn die Strafen möglichst streng und ohne Gnade und am besten öffentlichkeitswirksam zur Abschreckung exekutiert werden.
Jesus ist das Licht der Welt, damit wir uns und alle Menschen in seinem Licht erkennen, dem Licht der Wahrhaftigkeit, das auch die Sünde aufdeckt. Aber nun ist Jesus dieses Licht. Er, der sich selber für uns richten lässt, damit uns das Gericht nicht trifft. In seinem Licht erscheinen wir als die grundlos geliebten Kinder Gottes, von denen Gott sich wünscht, dass das Richten und Verdammen untereinander endlich aufhört, weil er selber in Christus damit ein für allemal ein Ende gemacht hat.
Und damit sind wir bei dem zweiten Aspekt, unter dem ich das Ich-bin-Wort Jesu betrachten möchte.
Jesus Christus ist das Licht, das allen Menschen leuchtet.
Wir haben am vergangenen Sonntag das Wort Jesu gehört: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich".
Wir hatten bei diesem Wort besonders darauf geachtet, das Jesus selbst und nur Jesus selbst das sagen darf. Er ist der Weg. Nicht die Kirche, nicht das Christentum. Wir sind nicht berufen, Richter über andere Glaubensweisen zu sein.
In diese Richtung verweist uns nun auch das Wort von Jesus als dem Licht der Welt.
Jesus Christus ist mehr als die Kirche, er ist größer als das Christentum.
Für uns, die wir zur Kirche gehören, für jeden, der getauft ist und sich damit nach Christus einen "Christ" nennt, ist die Kirche und das Christentum der Ort, an dem wir Jesus Christus kennen lernen. Wir sind zu seiner Kirche berufen worden. Hier hat er uns hingestellt. Sein Wort hat uns hier getroffen und uns zusammengeschlossen aus allen Völkern und Nationen, aus allen sozialen Schichten.
Aber in der Kirche wird nun bekannt: Der Gott Israels ist auch der Schöpfer und Erhalter der ganzen Welt. Jesus Christus, der Messias Israels, unser Retter, ist auch der Retter der ganzen Welt. Er versöhnte nicht nur die mit Gott, die zur Kirche gehören.
Wenn das stimmt. Wenn Gott nicht nur unser Vater, sondern Herr der Welt ist. Wenn Jesus Christus nicht nur unser Heiland, sondern der Retter und das Licht der Welt ist, dann dürfen, ja, dann müssen wir damit rechnen, dass er auch außerhalb der Kirche, auch außerhalb des Christentums seine Spuren hinterlässt.
Dann dürfen und dann müssen wir damit rechnen, dass wir das Licht Jesu Christi auch außerhalb des Christentums und außerhalb der Kirche leuchten sehen, dass auch außerhalb der Kirche und außerhalb des Christentums wahre Worte zu hören sind. Wir dürfen und müssen damit rechnen, dass uns Jesus Christus nicht nur in dem uns schon immer Bekannten, sondern auch aus der Fremde heraus entgegentritt.
Für den gerade in diesen Tagen unverkennbar notwendigen und dringenden Dialog der Religionen und Weltanschauungen ist das eine ganz wichtige Erkenntnis:
Auch aus anderen Religionen kann uns Erkenntnis zuwachsen, die uns nicht von Gott und Christus wegführt, sondern sie uns nur noch größer macht. Wir sollten nicht verächtlich auf die so genannten "primitiven Naturreligionen" herabschauen, denn aus ihnen kommt uns eine Botschaft entgegen, die uns daran erinnert, dass Gott, der Schöpfer der Welt ist und sein Wille das einträchtige Zusammenleben alles Lebendigen und nicht die menschliche Ausbeutung der Natur ist.
Aus dem Gespräch mit den östlichen Religionen lässt sich eine Menge darüber lernen, welche Fähigkeiten und Bedürfnisse dem Menschen als Mensch geschenkt sind. Der Mensch ist nicht nur ein Kopfwesen. Was uns dort an Spiritualität begegnet, erinnert uns daran, dass Gott uns auf sehr vielfältige Weise begegnen kann.
Wenn wir die fünf Säulen des Islam betrachten, das Bekenntnis zu Gott, das Gebet, die Armenhilfe, das Fasten und die Reise nach Mekka, dann entdecken wir doch, selbst wenn uns einiges fremd erscheint, Glaubenselemente, die uns eher verloren gegangen sind. Und so, wie wir nicht möchten, dass das Christentum an den Irrungen der Kreuzzüge gemessen wird, sondern in seinen Stärken gewürdigt, so steht es auch dem Islam zu, dass wir ihn nicht nach seinen Fanatismen verurteilen, sondern in seiner Menschenfreundlichkeit achten.
Im Gespräch mit dem Sozialismus, der heute zum Schaden für das Wohl unserer Gesellschaft kaum mehr geführt wird, hätte die Kirche erkennen können und müsste sie bis heute anerkennen, dass der Einsatz für soziale Gerechtigkeit auch außerhalb der Kirche und oft stärker als innerhalb der Kirche geschieht. Die Botschaft Jesus Christi und der Weg, den sein Licht uns weist, hat weitaus größere Nähe zu dem, was sich der Sozialismus zur Aufgabe gesetzt hatte, als zu dem, was der Kapitalismus will und tut.
Ich möchte an einem kleinen biblischen Beispiel verdeutlichen, was ich meine: Im 1. Buch Mose wird uns von Abram erzählt. Er kämpft dort, man höre und staune, mit den Königen von Sodom und Gomorrah gegen einen verbrecherischen anderen König. Als er siegreich aus der Schlacht heimkehrt, empfängt ihn der König und Priester Melchisedek. Er ist Vertreter einer Abram fremden Religion. Von diesem Priesterkönig lässt Abram sich segnen. Aus der Begegnung mit dem Vertreter einer fremden Religion geht Abram bereichert heraus und lernt etwas über seinen Gott und für seinen eigenen Glauben. 1. Mose 14 wäre mal eine eigene Predigt wert.
Ihr Lieben, damit wir uns nicht falsch verstehen. Der Dialog mit den Religionen kann uns als Christen und als Kirche nur dann zum Gewinn werden, wenn wir in dieses Gespräch gehen als Menschen, denen das Licht Jesu Christi schon leuchtet. Wir werden Jesus Christus in diesen Religionen nicht kennen lernen. Wir werden den Weg, die Wahrheit und das Leben dort nicht finden. Aber wir werden, wie gebrochen auch immer, sein Licht auch dort leuchten sehen, sein Wort auch dort widerhallen hören. Damit relativieren wir Jesus Christus nicht. Wir relativieren uns selbst und lassen sein Leuchten weit über die Grenzen der Kirche hinausgehen.
Wir selber wissen nur zu gut, zu welcher Perversion die Religion fähig ist - auch die christliche. Darum werden wir uns nicht zu Richtern über andere aufspielen.
"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben."
Möge Christus selber über die Maßen zu leuchten beginnen, in seiner Kirche, und darüber hinaus, damit die ganze Welt gerade in diesen Tagen nicht in die Finsternis neuer religiös angefachter und legitimierter Kriege stürzt. Möge uns Christen das Licht Jesu Christi den Weg zeigen, der zum Frieden führt - über Gericht, Verurteilung und Verdammen geht er nicht.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen.
Jochen Denker