Vom Sieg der Liebe, der die Luft nicht ausgegangen ist

Predigt über 1 Kor 13,4. Von Hans Theodor Goebel, Köln

"Die Liebe ist langmütig. Und freundlich ist die Liebe. Sie eifert nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf."

Predigt von Hans Theodor Goebel über 1. Kor 13,4 am 14. April 2013 in der Antoniterkirche Köln (PDF)

 Predigt im Rahmen der Reihe "Liebe" im "Einfachen Gottedienst" der Melanchthon Akademie Köln 2013; weitere Predigten siehe unten.

Die Liebe ist langmütig.
Und freundlich ist die Liebe.
Sie eifert nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.

1

Langmütig.

Das Wort ist zusammengesetzt aus zwei Wörtern: lang - mütig.
In der griechischen Ursprache des Neuen Testaments: µακρο - θυμε͠ι.
Lang – bezeichnet eine Dimension, die durchmessen wird: eine lange Zeit – ein weiter Raum.
Die Liebe geht lange Wege durch weite Räume.
Dazu hat sie Mut. Sie ist langmütig.
Die Liebe hat einen langen Atem. Für den weiten Weg.

Sie bleibt nicht kurzatmig stehen. Sie geht weiter. Ihr Atem ist Leidenschaft.

Dabei verliert sie nicht ihren Liebreiz. Die Liebe ist freundlich auf ihrem langen Weg.

2

Ich denke an Gestalten aus der Bibel:

- Der alte Vater fällt mir ein. Er muss weit gehen, um die Enttäuschung zu durchmessen über seinen verlorenen Sohn. Der hat sein Erbe verprasst und ist in der Fremde verkommen. Auf den noch zu warten, braucht der Vater einen langen Atem. Dem Sohn droht in der Fremde schließlich der Hungertod. Da macht er sich auf nach Hause. Und  sein Vater sieht ihn  kommen von ferne und läuft. Läuft ihm entgegen, nimmt ihn in seine Arme, steckt ihm den Ring der Familie an den Finger, kleidet ihn prächtig ein und macht ihm ein großes Fest. Aus lauter Freude heraus, dass er den Verlorenen wieder hat.
Der Vater geht aus dem Festsaal heraus auch dem älteren Sohn entgegen, der von der Feldarbeit heimkommt, dem Korrekten, der sich jetzt zurückgesetzt fühlt und nicht zum Fest kommen will. Freu dich doch mit! – bittet ihn der Vater.
Die Liebe hat langen Atem. Geht weite Wege.
Und ist dabei gütig.

- Ich denke an die Moabiterin Rut, die den ungesicherten Weg ins Exil geht - in das für sie fremde Land Israel. Um ihre jüdische Schwiegermutter nicht allein zu lassen.
„Wo du hin gehst, da will ich auch hingehen.“
Die Liebe ist liebreizend auf dem langen Weg.

- Ich denke an den, der die Leidenschaft und den langen Atem hatte, den Weg vom Himmel in die Hölle des Todes zu gehen. Seit alters hat man sich das in Bildern vorgestellt und die Kirche hat es in Liedern besungen:

„Sein Lauf kam vom Vater her
Und kehrt wieder zum Vater.
Fuhr hinunter in die Höll
und wieder zu Gotts Stuhl.“

So weit geht die Liebe in ihrer Güte.

3

Ein langer Weg braucht Zeit. Was aber macht die Zeit mit der Liebe? Und was wird mit der Zeit aus der Liebe? Bleibt sie, was sie war? Wandelt sie ihr Gesicht?

- Was passiert der Liebe zum Beispiel auf ihrem langen Marsch durch die Institution Ehe?

Worte von Fulbert Steffensky geben mir zu denken. „Es gibt Zeiten, – sagt er - vielleicht sogar Jahre, in denen die Liebe nur noch aus >Handlungen< besteht: jemandem das Frühstück machen, die Fahrharte für ihn kaufen, ihm die Tür aufhalten, den Abfall entfernen, höflich zueinander sein… Wer sagt denn, dass die Liebe abhandengekommen ist, nur weil man sie nicht mehr spürt?“

Die Liebe hat einen langen Atem. Der reicht weiter von hinten her und nach vorne hin als die Liebesgefühle des gegenwärtigen Augenblicks.

- Und was wird aus der Liebe in der Diakonie, bei Brot für die Welt und anderen Organisationen der Nächstenliebe?
Wieder lerne ich bei Fulbert Steffensky:
„Die Liebe denkt nicht nur interpersonal.“ Ihr „politischer Name“ ist „Gerechtigkeit“. „Gerechtigkeit ist strukturell gedachte Liebe.“

Die Liebe schenkt heute der Bettlerin ein Lächeln oder eine Rose oder einen Euro.

Die Liebe überweist morgen Geld für ein hungerndes Kind in Afrika und seine Schulbildung.

Und die Liebe geht weiter. Sie fragt nach: Warum ist der Arme arm? Warum hat der Flüchtling seine Heimat verlassen und kommt in unser Land? Die Liebe hat den langen Atem, sich die Strukturen der Weltwirtschaft anzusehen. Die verhindern, dass die Armen aus ihrer Armut herauskommen. Wenn die Reichen die Bedingungen diktieren.

Kritische Berichte in den Medien klären uns auf und Organisationen wie „Südwind“ oder „Attac“ informieren uns über ungerechte Produktionsverhältnisse und Handelsbedingungen. Wir können Kaffee, Tee, Schokolade, Textilien als fair produzierte und gehandelte Waren suchen und kaufen.

Die Liebe hat den langen Atem,  Ungerechtigkeit in den Strukturen aufzudecken und sich aufdecken zu lassen und Gerechtigkeit einzufordern und einzuüben.

So wird die Diakonie - politisch und auf die Länge gesehen - eine Agentur der Gerechtigkeit.
Dabei eifert die Liebe nicht. Sie wird nicht fanatisch.

Wir haben es schon bemerkt: Mit der Zeit kann aus der Liebe Arbeit werden.
Arbeit, die einfach getan sein will. In der Ehe wie in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Arbeit, die dem anderen gerecht wird. Und dabei nicht prahlt und sich selbst aufbläht.
Liebe in der Gestalt von Arbeit, die wir selbst in die Hand nehmen und tun.

4

Nun fällt auf, dass Paulus in diesem Hohen Lied von der Liebe redet und nicht von den Liebenden. Nicht direkt von uns, die doch als Täter der Liebe infrage kommen.

„Die Liebe ist langmütig. Und freundlich ist die Liebe. Sie eifert nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.“

Karl Barth hat als Ausleger von 1. Korinther 13 gefragt: „Ist es nicht so, dass die Prädikate, die hier auf die Liebe gehäuft werden, das Subjekt Mensch einfach a u f h e b e n  und an die Luft setzen, wo ihm der Atem ausgeht?“

Wer von uns liebt denn mit so langem Atem?

Nun haben wir ja schon zu Anfang gehört, dass Paulus die Liebe einen Weg nennt, den er uns zeigen will. Einen Weg, den wir gehen sollen. Gewiss.
Es verhält sich mit diesem Weg aber so, dass er uns entgegenkommt. Bevor wir ihn gehen. Die Liebe ist ein Weg, der uns entgegenkommt. Auf dass wir ihn selber gehen können.

„Ich bin der Weg“ – sagt Jesus Christus. Auf diesem Weg kommt uns Gott selbst als Liebe entgegen.

In der Frühzeit der Reformation hat Martin Luther in einer Disputation gesagt:
„Die Liebe Gottes findet ihren Gegenstand nicht vor, sondern schafft ihn sich.“
Und weiter:
„Denn die Sünder sind schön, weil man sie liebt; nicht aber liebt man sie, weil sie schön sind.“

Die Liebe ist der Weg, der uns entgegenkommt und uns schön macht. Der uns zu Liebenden macht.
Die Liebe macht uns schön und wir dürfen uns in dieser Liebe schön finden. Liebenswert. Weil schon geliebt.

Die Liebe, die uns entgegenkommt, will uns mitnehmen auf ihren Weg. Und wir bekommen selbst die Farbe der Liebe und können sie tragen. Die Farbe steht uns.

5

Die Liebe hat einen langen Atem. Wie lange reicht der? Wo geht der Liebe die Luft aus?

Ich könnte jetzt sagen:
Bis dass der Tod euch scheidet. Solange geht der Weg der Liebe. Das wäre viel, das wäre sehr viel von der Liebe gesagt.

In dem Lied der Lieder aus der Hebräischen Bibel, diesem hohen Liebeslied der Geliebten, heißt es (8,6+7):

„Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz.
Wie ein Siegel auf deinen Arm.
Denn Liebe ist stark wie der Tod
Und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.
Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des HERRN,
so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen
und Ströme sie nicht ertränken.
Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“

Kann man einen stärkeren Vergleich finden für die Macht und Kraft der Liebe? Und für ihren langen Atem?
Liebe ist stark wie der Tod. Durch den werden wir alle bezwungen. Der Tod holt Jedermann. Gegen ihn ist kein Kraut gewachsen. Er ist unwiderstehlich. Doch die Liebe ist stark wie der Tod.
Nur kommt bei diesem Vergleich untergründig die Frage auf: Bleibt hier ein Unentschieden? Wenn die Liebe stark ist wie der Tod. Bleibt ein Patt oder ist einer zuletzt doch stärker, nur: wer von den beiden?
Solange das offen bleibt, hat die Frage etwas höchst Beunruhigendes. Vielleicht ist dann am Ende doch der Tod stärker als die Liebe. Und behält auch über sie das letzte Wort. Auch für die Liebe wäre der Tod dann das Aus.

Vielleicht hat Paulus, auch um auf diese Frage zu antworten, hinter das 13. Kapitel des
1. Korintherbriefes noch das 15. Kapitel gesetzt. Hinter das Lied über die Liebe noch das Osterlied über die Auferstehung der Toten. Oder irgendein Redaktor hat die Kapitel in dieser Reihenfolge geordnet.

Hier am Schluss des 1. Korintherbriefs nennt der Apostel den Kern und Stern des Evangeliums und singt das Trotzlied gegen die Allherrschaft des Todes. Dieses letzten Feindes. Er singt das Lied vom Sieg der Liebe, der die Luft nicht ausgegangen ist. Die Entscheidung ist gefallen mit der Auferweckung des Gekreuzigten von den Toten.
„Tod, wo ist dein Sieg?“

Der Satz: Die Liebe bleibt, bis dass der Tod euch scheidet – dieser Satz ist durch Ostern außer Kraft gesetzt. Und Paulus kann im Römerbrief schreiben:

Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist – weder die Vergangenheit, die wir mitbringen, noch die Zukunft, die uns vielleicht Angst macht - noch auch der Tod. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.

Über die Grenze unseres irdischen Lebens hinaus und in den Herrschaftsbereich des Todes hinein - soweit reicht der lange Atem, soweit reicht die Leidenschaft der Liebe. Amen.

Dank und Fürbitten

Lieber Gott, wir nehmen dich bei deinem Namen und bei deinem Wort – eben darum rufen wir dich an für unsere Welt in ihrer Not.

- Wir beten für unsere Kinder. Lass sie behütet aufwachsen. Du weißt: Für viele sieht es ganz anders aus. Wir denken an die Kinder, die genötigt werden zur Arbeit in Steinbrüchen und Textilfabriken, die ihre Gesundheit ruinieren auf Kakaoplantagen, die betrogen werden ums Spielen und Lernen und deren Eltern es das Herz zerreißt. Wir beten für die Kinder, die in Flüchtlingslagern aufwachsen und mitten im Krieg. Sieh die an, die in die Prostitution verkauft werden und deren Kinder dann in der Prostitution geboren werden und aufwachsen müssen. Und die, die zu Kindersoldaten gepresst und zur Grausamkeit gezwungen werden. Sei du selbst Anwalt dieser Kleinen. Die Verhältnisse, in denen sie so leben, sind von Menschen gemacht. Lass sie auch von Menschen geändert werden. Die dazu die Macht haben und uns alle – lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen! Und für die, die schon auf dem Weg sind, danken wir dir. Gib ihnen langen Atem!
- Wir beten für Israelis und ihre arabischen Nachbarn. Dass sie miteinander auf dem Zion deine Tora des Friedens und der Gerechtigkeit leben lernen. Uns anderen Völkern zum Zeichen.
- Wir rufen dich an für die Völker, die im Vorderen Orient und in Nordafrika aufgestanden sind für ein Leben in Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Lass die Tyrannen stürzen, die sie zusammenschießen, und lass nicht an ihre Stelle neue Gewaltherrscher treten, die sich auf Gottes Namen berufen.
- Wir beten für uns als deine Kirche. Dass wir uns deine Liebe auch für uns selbst gefallen lassen und dann glaubwürdige Zeugen deiner Liebe in der Welt sind. Du bist den Armen nahe, Herr Jesus Christus. Hilf uns, dich da zu suchen, wo du zu finden bist. Lass uns die Gesten und Signale des Papstes Franziskus aufnehmen und miteinander eine Ökumene leben, die sich dafür engagiert, dass die Armen unsrer Welt herauskommen aus ihrer Armut. Gib, dass wir uns nicht so viel Sorgen um unser Profil machen, um unsere Selbstdarstellung und um unser eigenes Überleben als Kirche und als einzelne. Lass uns die Sorge um uns selbst dir in die Hände legen.
- Lass uns miteinander und jede einzelne und jeden einzelnen für sich fröhlich in die Alltagswoche gehen, die vor uns liegt. Der Zukunft deiner Liebe entgegen und von ihr schon getragen.
Wir beten, wie Jesus uns gelehrt hat: Unser Vater …

 

Predigt zu 1. Korinther 13,13 von Elke Kuhn

"Glaube, Liebe, Hoffnung", so heißt eine Seefahrerkneipe, ein Tattoo-Studio, eine Werbeagentur. Die drei Worte lösen "bei vielen Menschen etwas aus, vielleicht die Erinnerung an oder die Sehnsucht nach einer Haltung, die dem eigenen Leben Sinn und Halt verleiht, nach etwas, was bleibt, auch wenn alles andere um uns herum fragwürdig ist und verfällt", so Elke Kuhn.
Predigt zu 1 Kor 13, 11 von Maria Baum, Köln

Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, überlegte wie ein Kind. Als ich aber erwachsen war, hatte ich das Wesen des Kindes abgelegt. (Züricher Bibel) - "Paulus nutzt diesen Satz geschickt. Er sagt den Korinthern damit: Bei der Wiederkunft Christi werden die Charismen, um deren Wertigkeiten Ihr Euch heute streitet, wie die Worte und Sehnsüchte und Gedanken eines Kindes, das zum Mann geworden ist, verfliegen."