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Bekennen in der Friedensfrage
Eine Erinnerung an die Reformierte Friedenserklärung 1982
Den vorliegenden Vortrag hielt Rolf Wischnath im Oktober 2015 vor Studierenden in Hannover und in Hildesheim. Rolf Wischnath lehrte als Honorarprofessor Systematische Theologie an der Universität Bielefeld. Von 1995 bis 2004 war er Generalsuperintendent in Cottbus.
1982 wurde unter seiner Federführung die Erklärung "Das Bekenntis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche" verfasst und vom Moderamen des Reformierten Bundes einstimmig angenommen. Diese Erklärung löste landesweit eine heftige und kontroverse Diskussion aus. Kernpunkte waren: Das "Nein ohne jedes Ja" zu Massenvernichtungswaffen und die Erkenntnis, die Friedensfrage sei eine Bekenntnisfrage, mit der der "status confessionis" (die Notwendigkeit, von neuem ein Bekenntnis zu formulieren) gegeben sei, "weil es in der Stellung zu den Massenvernichtungsmitteln um das Bekennen oder Verleugnen des Evangeliums geht".
Bekennen in der Friedensfrage
I. Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage
II. Atomare Waffen – bis heute
III. Atomare Waffen damals (1982)
IV. Die Diskussion um die Atomwaffen in der EKD und in der Ökumene
V. Der Text der Reformierten Erklärung in ihren Thesen
VI. Bekennen in der Friedensfrage
VII. „Status confessionis“
VIII. Ist die Reformierte Friedenserklärung noch aktuell?
I. Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage
Das Moderamen (die Leitung) des Reformierten Bundes hat im Sommer 1982 die Erklärung „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche" abgegeben. Es hat darin den Versuch unternommen, den politischen Auftrag der christlichen Gemeinde wahrzunehmen und ihn in der Friedensfrage — insbesondere hinsichtlich der Stellung des Christen zu den Atomwaffen — zu konkretisieren. Der wichtigste Satz steht in der These I, wo es heißt:
„Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage. Durch sie ist für uns der status confessionis gegeben, weil es in der Stellung zu den Massenvernichtungsmitteln um das Bekennen oder Verleugnen des Evangeliums geht."
II. Atomare Waffen – bis heute
Was sind und wo waren und stehen bis heute in Deutschland atomare Waffen?
Atomare Waffen (Atom-, Wasserstoff-, Neutronenbomben) wurden seit ihrem erstmaligen Gebrauch im August 1945 gegen Hiroshima und Nagasaki (115000 bis 275000 Tote) nicht mehr eingesetzt. Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 verbietet den Nichtkernwaffenstaaten die Nuklearrüstung und unterwirft sie einem Kontrollsystem. Dafür garantiert er allen Unterzeichnern Hilfe bei der „zivilen Nutzung“ der Kernenergie und verpflichtet die Atommächte (USA, UdSSR, England, Frankreich, China) auf Abrüstungsbemühungen.
Die Rüstungskontrollabkommen der beiden Supermächte führten Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in Europa zur Vernichtung ganzer Kategorien von strategischen Atomwaffen. Seither ist die nukleare Bedrohung aber nicht verschwunden, sondern hat neue Formen angenommen – etwa durch Erneuerungen und Modernisierung der Waffen, durch schlecht geschützte Lagerung waffentauglichen Urans, mögliche Nuklearisierung des Terrorismus, neue Kernwaffenaspiranten – z. b. Iran oder Indien oder Israel – oder durch Neustationierungen – etwa an der Ostgrenze der EU / NATO und an der Westgrenze Russlands.
In Deutschland hat es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer Atomwaffen gegeben. Sie waren in der DDR und der BRD gegeneinander ausgerichtet. Nach der friedlichen Revolution hatten viele gehofft, die Zeit der atomaren Waffen sei in Deutschland vorbei. Nur die Nuklearwaffen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR [!] wurden abgerüstet. Auf dem Gebiet der BRD blieben sie. In „Büchel“. Büchel ist eine Ortsgemeinde im Landkreis Cochem-Zell in Rheinland-Pfalz. Büchel hat einen deutschen Fliegerhorst. Die Atomwaffen stehen unter amerikanischem Kommando. Die deutschen Bomber aber können diese Waffen jederzeit tragen und zum Einsatz bringen.
Nun bestätigen Rüstungsexperten, dass die neuen amerikanischen, taktischen Nuklearwaffen vom Typ B61-12 wesentlich zielgenauer sind als die bisherigen Atombomben. Im Kriegsfall sollen deutsche Tornado-Piloten im Rahmen der NATO-Strategie der "Nuklearen Teilhabe" Angriffe mit den US-Bomben fliegen. Mit den neuen Bomben verwischen die Grenzen einmal mehr zwischen taktischen und strategischen Atomwaffen. „Uns beunruhigt, dass Staaten, die eigentlich keine Atomwaffen besitzen, den Einsatz dieser Waffen üben - und zwar im Rahmen der NATO-Praxis der Nuklearen Teilhabe“, erklärte jüngst die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa: „Das ist eine Verletzung der Artikel 1 und 2 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen.“
Der Bundestag hat im März 2010 mit breiter Mehrheit beschlossen, die Bundesregierung solle sich „gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einsetzen.“ Auch im Koalitionsvertrag von Union und FDP hatte die Bundesregierung 2009 den Abzug der Atomwaffen aus Büchel zugesagt. Bemerkenswerterweise war es die FDP und der damalige Außenminister Westerwelle, die in dieser Sache hartnäckig waren und blieben. Doch statt der Abrüstung erfolgte nun die Stationierung von rund 20 neuen Nuklearwaffen, die zusammen die Sprengkraft von 80 Hiroshima-Bomben haben. Jüngst hat die Fraktion der „Linken“ einen Antrag im Bundestag eingebracht, in dem u. a. die Forderung an die Bundesregierung steht, „eine neue Initiative zur weltweiten Beseitigung von Atomwaffen in Umsetzung des Atomwaffensperrvertrages auf den Weg zu bringen“. Dieser Antrag fand (natürlich) keine Mehrheit.
Die Bundesregierung wird vielmehr in den kommenden Jahren rund 112 Millionen Euro in den Bundeswehrstandort Büchel investieren. Mit diesem Geld soll die Landebahn des Flugplatzes mit einem modernen Instrumentenanflugsystem ausgestattet werden. Weitere europäische Standorte amerikanischer Atomwaffen wie die Luftwaffenbasen in Incirlik in der Türkei und Aviano in Italien werden zugleich modernisiert – mit Nuklearbomben vom Typ B 61-12.
Folglich: Die derzeitige Situation der Lagerung und der Einsatzmöglichkeiten von Atombomben hat sich gegenüber der Situation 1982 nicht wesentlich gebessert.
III. Atomare Waffen damals (1982)
Wie aber gestaltete sich im Horizont der dargelegten die militärisch-politische Situation vor 33 Jahren im Horizont des sog. „Nachrüstungsbeschlusses“. Nur in diesen Zusammenhängen kann die Reformierte Friedenserklärung verstanden und gewertet werden. Ich lege sie dar in fünf kurzen Abschnitten:
1. Der NATO-Beschluss vom Dezember 1979 „108 Pershing-II-Raketen und 464 Marschflugkörper (Cruise missiles) in Westeuropa zu stationieren, bedeutete damals eine grundlegende Veränderung des militärischen Gleichgewichts zwischen Ost und West. Mit jenen Raketen kann und konnte die UDSSR in Minutenschnelle vernichtend getroffen werden, ohne dass der Angriff von amerikanischem Boden ausginge“. Man erinnere sich: Um eine solche Situation für sich selber zu verhindern, haben die USA und die UdSSR 1962 die Welt an den äußersten Rand des Atomkriegs geführt, als nämlich die Sowjets (als Antwort auf das amerikanischen Mittelstreckenpotential in Europa) ihrerseits Mittelstreckenraketen in Reichweite der USA auf Kuba stationieren wollten.
Nur (gleichsam in letzter Minute) konnte die direkte, verheerende, atomare Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten verhindert werden. Seitdem galt die Absprache zwischen beiden Mächten, wonach weder die USA noch die UDSSR außerhalb ihres Landes (im Lager ihrer jeweiligen Verbündeten) Raketen lagern dürfen, die das Territorium des anderen erreichen. Diese Absprache hat das Gleichgewicht des Schreckens begründet. Die sog. Nachrüstungs-Pläne brachen die Absprache und veränderten das militärische Gleichgewicht dramatisch.
2. Mit dem Export jener Raketen nach Europa wollten sich die USA erklärtermaßen dem Risiko entziehen, Ziel eines sowjetischen Vergeltungsschlages zu werden. Die politisch und militärisch Verantwortlichen in Ost und West sprachen es offen aus. Sie wollten die Europäisierung des Atomkrieges und sie kalkulierten dabei von vornherein die Vernichtung Europas ein.
3. „Victory is possible“ hieß das Fazit einer strategischen Studie in den USA [1981]: Der Sieg ist möglich – auch im atomaren Krieg. Jahrelang beruhte die Abschreckungstheorie auf dem lapidaren Satz: „Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.“ Jetzt sollten in Westeuropa Waffen stationiert werden, mit denen die Devise durchführbar wird: „Nur wer zuerst schießt hat die Chance zu gewinnen“. Genau dazu sollten Cruise missiles und Pershing-II dienen: nämlich so tief und so schnell zu fliegen, dass sie von den sowjetischen Warnsystemen nicht mehr erfasst werden könnten, bzw. so rasch und punktgenau ihr Ziel zu erreichen, dass sie z.B. die unterirdisch verbunkerten Langstreckenraketen der UDSSR – sie allein vermochten das Gebiet der USA zu erreichen – im Überraschungsangriff zu vernichten vermögen. Die neuen Mittelstreckenraketen verbreiteten mithin die Suggestion, ein blitzartiger Angriffskrieg gegen die Sowjetunion sei kalkulierbar im Risiko und mit einem Schlage zu gewinnen – zwar um den Preis Europas, aber zu Gunsten der USA.
4. Nun hatte die UDSSR die Waffe SS-20 stationiert und drohte die Vermehrung dieser Waffe an. Diese Lagerung und diese Drohung waren ein verheerender und unverantwortlicher Aufrüstungsschritt der östlichen Supermacht. Die SS-20 Waffe war dann für die NATO die offizielle Begründung für die sog. „Nachrüstung“. Ob es tatsächlich eine eurostrategische Lücke auf der NATO-Seite gab, war umstritten. Den SS-20 als Weiterentwicklung der veralteten Raketensysteme standen schon damals (vor der Nachrüstung) ein gewaltiges eurostrategisches Potential der NATO gegenüber: Atomunterseebote (Polaris/Poseidon) mit Mittelstreckenraketen, Jagd- und Mittelstreckenbombern unterschiedlichster Typen, in der Türkei stationierte Mittelstreckenraketen und die US- Flugzeugträger mit 72 Bombern. Mit diesen Waffen hätte die NATO allemal in der Lage sein können, einen möglichen sowjetischen Angriff zurückzuschlagen und zu vergelten.
5. Viel wichtiger als der Vergleich von Mengenangaben aber war die Frage, was die SS-20 der Sowjets hätte ausrichten können. Selbst wenn alle in der propagandistischen Auseinandersetzunga ihr zugeschriebenen Fähigkeiten zuträfen, eines konnte die SS-20 nicht, nämlich US-amerikanischen Boden erreichen. Dadurch war sie inkomparabel mit den Raketen, die die Amerikaner und die NATO in die Bundesrepublik bringen wollten.
IV. Die Diskussion um die Atomwaffen in der EKD und in der Ökumene
Seit es Nuklearwaffen gab, wurde in der Kirche in Deutschland und im ökumenischen Horizont über die Haltung der Christen dazu leidenschaftlich gestritten. In den fünfziger Jahren wurde die traditionell positive Einstellung des deutschen Protestantismus zum Militär einem verstärkten innerkirchlichen Widerspruch ausgesetzt. Vor allem Helmut Gollwitzer und Gustav Heinemann – der spätere Bundespräsident –, die Lutheraner Hans Joachim Iwand und Heinrich Vogel und die Reformierten Wilhelm Niesel und Walter Kreck waren protestantische Repräsentanten, welche die überkommene Haltung entschieden in Frage stellten.
Die Synode der EKD 1958 kam allerdings nicht über die sog. »Ohnmachtsformel« hinaus: Beide Positionen seien als christlich-ethische anzuerkennen. Diese Haltung der Ev. Kirche kennzeichnete auch die Heidelberger Thesen von 1959. Da die ethische Ablehnung von Massenvernichtungsmitteln umstritten war, bildeten sich folgende Positionen heraus:
Die „Lehre vom gerechten Atomkrieg“ (Paul Ramsey) sieht im Rahmen des Abschreckungssystems auch den Einsatz von Atomwaffen als gerechtfertigt an, die sogenannten Atompazifisten (also die genannte Gruppe) halten Besitz und Einsatz für ethisch unvertretbar, und in einer Position der Interimsethik wird der Einsatz abgelehnt (EKD), der Besitz aber vorläufig gerechtfertigt, bis das Abschreckungssystem durch ein Sicherheitssystem ohne Atomwaffen abgelöst ist.
Interimsethik kennzeichnete 1982 sowohl die EKD-Denkschrift von 1981 „Frieden wahren, fördern und erneuern« als auch Johannes Pauls II. Erklärung von 1978 vor der UNO-Abrüstungskonferenz:
Unter der Bedingung wirksamer Abrüstungsbemühungen wurde nukleare Abschreckung als »gerade noch« vertretbar bezeichnet. In Hirtenbriefen der kath. Bischofskonferenzen Deutschlands und der USA im „Nachrüstungs“-Jahr 1982 / 83 wird diese Position erneuert, in den USA allerdings mit deutlicher Kritik an der neuen amerikanischen Nuklearstrategie.
Gegen diese ethische „Ausgewogenheit“ der EKD-Denkschrift wendet sich die reformierte Friedenserklärung „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche“ von 1982 mit einem uneingeschränkten Nein zur Herstellung, Lagerung und Anwendung von Massenvernichtungsmitteln jeder Art. In ähnlicher Richtung entwickelt sich die internationale kirchliche Diskussion bis hin zur klaren Ächtung aller Massenvernichtungswaffen und zur Absage an die Abschreckungskonfrontation auf der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver im August 1983: „Wir glauben, dass für die Kirchen die Zeit gekommen ist, klar und eindeutig zu erklären, dass sowohl die Herstellung und die Stationierung als auch der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellen und dass ein solches Vorgehen aus ethischer und theologischer Sicht verurteilt werden muss.“
V. Der Text der Reformierten Erklärung in ihren Thesen
Ich möchte jetzt die Reformierte Friedenserklärung vorstellen. Es gibt eine 1. und eine 2. Auflage. Die Thesen und ihre Erläuterungen kamen im Juli 1982 in ihrer 1. Auflage auf den Büchermarkt. Der Verlag war das „Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn“. Dieser Verlag gab auch alle Texte und Denkschriften der EKD heraus – und zwar in einem bestimmten zweifarbigen Buchumschlag, so dass der flüchtige Eindruck entstehen konnte, die Erklärung des Moderamens sei (auch) eine Denkschrift der EKD. Das hat im Kirchenamt der EKD grimmigen Ärger ausgelöst. Das Gütersloher Verlagshaus bekam eine scharfe Abmahnung und die Androhung der Lösung aller Geschäftsbeziehungen zur EKD. Deswegen mussten dann die nächsten Auflagen der Friedenserklärung in einem verwandelten Umschlag erscheinen.
Da der Text der Erklärung heute selten aufzufinden ist, dokumentiere ich hier die Thesen, denen je eine Erläuterung folgt (welche hier nicht abgedruckt ist:
DAS BEKENNTNIS ZU JESUS CHRISTUS UND DIE FRIEDENSVERANTWORTUNG DER KIRCHE
Eine Erklärung des Moderamens des Reformierten Bundes (1982)
I
Jesus Christus ist unser Friede. In seinem Tod am Kreuz und in seiner Auferstehung von den Toten hat Gott die ganze gottfeindliche Welt mit sich versöhnt und alle Menschen unter den Zuspruch und Anspruch seines Friedens gestellt. Dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn gehört alle Macht im Himmel und auf Erden. Er hat seine Gemeinde in die Welt gesandt, das Wort von der Versöhnung auszurichten, seinen Frieden zu bezeugen und im Gehorsam gegen sein Wort Frieden zu halten mit allen Menschen. Sein Friede, den die Welt nicht geben, nicht sichern oder zerstören kann, befreit und verpflichtet dazu, für den Frieden unter den Menschen zu beten, zu denken und zu arbeiten.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit der Meinung, die Frage des Friedens auf Erden unter den Menschen sei eine politische Ermessensfrage und darum unabhängig von der Friedensbotschaft des Evangeliums zu entscheiden.
Angesichts der Bedrohung des Friedens durch die Massenvernichtungsmittel (A-B-C Waffen und konventionelle Massenvernichtungswaffen) haben wir als Kirche meist geschwiegen oder nicht entschieden genug den Willen des Herrn bezeugt. Jetzt, da stärker als zuvor die Möglichkeit des Atomkriegs zur Wahrscheinlichkeit wird, erkennen wir: Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage. Durch sie ist für uns der status confessionis gegeben, weil es in der Stellung zu den Massenvernichtungsmitteln um das Bekennen oder Verleugnen des Evangeliums geht.
II
In Jesus Christus hat Gott allen Menschen Frieden gewährt. In der Versöhnungstat Jesu Christi begründet er die neue Wirklichkeit: Die ganze Welt ist mit Gott versöhnt. In dieser Wirklichkeit leben wir. Ihr sollen wir durch unser ganzes Leben im Glauben und im Gehorsam entsprechen.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit aller lebensbedrohenden Feindschaft unter den Menschen und allen ideologischen Feindbildern, mit denen eine bislang ungebändigte Aufrüstung begründet wird. Feindschaft, Bereitschaft zur Vernichtung und Vergeltung, Haß und Menschenfurcht leugnen die Wirklichkeit der Versöhnung der Welt mit Gott, deren Wahrheit Gott in der Auferstehung des Gekreuzigten offenbar gemacht hat.
Im Vertrauen auf die auch unseren Feind einschließende Versöhnungstat Jesu Christi wollen wir alle Taten des Unfriedens, allen verzerrten Bildern von Menschen und Völkern und darum auch allen mit solchen Feindbildern gerechtfertigten Massenvernichtungsmitteln den Abschied geben. In Christus sind wir alle mit Gott und darum auch miteinander versöhnte Menschen, die sich nicht wie Unversöhnte meiden, bedrohen, abschrecken oder gar vernichten dürfen.
III
Gott ist der Schöpfer und Erhalter der Welt. Trotz unserer Schuld hält und erneuert er in Treue den Bund mit uns Menschen und gibt nicht preis die Werke seiner Hände.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit der Entwicklung, Bereitstellung und Anwendung von Massenvernichtungsmitteln, die den von Gott geliebten und zum Bundespartner erwählten Menschen ausrotten und die Schöpfung verwüsten können.
Im Vertrauen auf den Gott des Bundes und der Treue wollen wir uns nicht länger von solchen „Waffen“ umgeben, „schützen“ und gefährden lassen.
IV
Gott verbindet in Christus seinen Frieden mit der Verheißung und dem Gebot menschlicher Gerechtigkeit.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit der Bejahung oder auch nur Duldung eines „Sicherheitssystems“, das auf Kosten der Hungernden und Elenden der Erde und um den Preis ihres Todes erhalten wird.
Im Gehorsam gegen den Gott des Friedens und der Gerechtigkeit wollen wir uns einsetzen für einschneidende Kürzungen der Rüstungshaushalte zugunsten der Armen. Im Vertrauen auf ihn sind wir bereit zu ersten, auch einseitigen Schritten der Abrüstung, deren politische Durchsetzung wir fordern und voranbringen wollen. Solche ersten Schritte sind:
- die grundsätzliche Verpflichtung, Konflikte ohne Anwendung oder Androhung von Gewalt lösen zu wollen,
- der Verzicht auf immer neue Waffen,
- der sofortige Einhalt der Entwicklung und Stationierung neuartiger Massenvernichtungsmittel,
- die Verpflichtung, die vorhandenen Massenvernichtungsmittel in einem Krieg nicht anzuwenden und erst recht nicht als erster einzusetzen,
- die Einrichtung kernwaffenfreier Zonen,
- kalkulierte, einseitige Abrüstungsmaßnahmen,
- das Verbot und die Verhinderung der Rüstungsexporte.
V
Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist der eine und einzige Herr, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Sein Gebot ist Maßstab und Grenze auch aller innerweltlichen, politischen Verantwortung der Christen.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit der Auffassung, die Lösung des Problems der notwendigen und angemessenen Machtmittel des Staates sei allein dem politischen Ermessen und der "praktischen Vernunft" vorbehalten und es könne für Christen dabei keine eindeutige Entscheidung geben, die sich von ihrem Glauben her hinreichend begründen ließe.
Im Glaubensgehorsam gegen Jesus Christus sagen wir: Auch für staatliche Machtmittel gibt es eine durch das Gebot des Herrn gesetzte Grenze, die nicht überschritten werden darf. Massenvernichtungsmittel sind keine angemessenen und notwendigen Machtmittel, mit denen ein Staat potentielle militärische Gegner abschrecken und im Kriegsfall bekämpfen darf. Es ist zwar Aufgabe des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen und das Leben seiner Bürger zu schützen. Aber Massenvernichtungsmittel zerstören, was sie zu verteidigen vorgeben. Ihnen gilt von seiten der Christen ein aus dem Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer, Versöhner und Erlöser gesprochenes bedingungsloses "Nein!", ein "Nein ohne jedes Ja".
VI
Jesus Christus, der für uns gekreuzigte und auferstandene Herr, ist gegenwärtig in der Kraft des Heiligen Geistes. Unter seiner Herrschaft, die sich ohne Gewalt durchsetzt, und unter seiner Leitung, die niemanden zwingt, gewinnen wir Hoffnung und Zuversicht.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit aller Hoffnungslosigkeit und Passivität angesichts der ungeheuren Bedrohung und der oft aussichtslos erscheinenden Mühe um die Bewahrung des Friedens.
Im Vertrauen auf die Herrschaft Jesu Christi und in der Kraft des Heiligen Geistes wollen wir uns nicht entmutigen lassen, für den Frieden zu beten, zu denken und zu arbeiten. Da Jesus Christus der Versöhner und Herr der ganzen Welt ist und seine Herrschaft nicht an den Grenzen der christlichen Gemeinde aufhört, arbeiten wir auch mit Menschen zusammen, die keine Christen sind. Der tröstenden Macht seines Geistes befehlen wir uns an, wenn der Weg des Friedens ins Leid und ins Kreuz führt.
VII
Gott wird die in Christus beschlossene Versöhnung mit der Wiederkunft des Herrn vollenden und einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, in denen Gerechtigkeit und Frieden ohne Ende wohnen. Steht diese Vollendung des Heils auch noch aus, so wird sie doch - von Gott in der Auferstehung des Gekreuzigten verbürgt und von ihm bestimmt - kommen und mit der Auferweckung aller Toten und dem letzten Gericht anheben.
Dieses Bekenntnis unseres Glaubens ist unvereinbar mit allem aufgeregten, ziellosen Aktivismus, allem blasphemischen Spekulieren über die "Schrecken der Endzeit", allem Desinteresse an den Fragen der Friedenserhaltung und aller politischen Gleichgültigkeit hinsichtlich der Entwicklung der Welt.
In der Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn sind wir frei zu vorläufigen, auch unvollkommenen, aber tapferen und entschiedenen Schritten für den Frieden. Vor ihm als dem letzten Richter über unser Leben werden wir Rechenschaft darüber ablegen müssen, was wir mit den jeweils eigenen Gaben dazu beigetragen haben, Widerstand gegen die Bedrohung zu leisten, die atomare Katastrophe zu verhindern und seinen Frieden in Wort und Tat zu bezeugen.
VI. Bekennen in der Friedensfrage
Mit dieser Erklärung war – das war und ist der Kern der damaligen theologischen Auseinandersetzung - der „Bekenntnisfall“, der „status confessionis“ ausgerufen. Dieses „Bekennen in der Friedensfrage“ begann mit einer Ohrfeige: „Problematische ‚Ausgewogenheit‘, Zweideutigkeit und Unentschlossenheit in der Evangelischen Kirche in Deutschland haben dieses Sondervotum herausgefordert“, schrieb der Moderator des Reformierten Bundes, der Göttinger Theologieprofessor Hans-Joachim Kraus, im Vorwort der Schrift. Es war im August 1982, als die Erklärung des Moderamens des Reformierten Bundes erschien. Die unerwartete Publizität, die die kleine Schrift erhielt, war dem Sommerloch zu verdanken – und der theologischen Klarsichtigkeit des damaligen Kirchenredakteurs der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Karl-Alfred Odin.
Karl-Alfred Odin schrieb im August 1982 einen Leitartikel, mit dem er den Text in West und Ost Deutschlands überhaupt erst richtig bekannt machte und ihn als ein „ungeheuerliches Dokument“ analysierte. Odin zeigte auf, dass der Reformierte Bund aus der EKD-Einheitsfront der ethischen Noch-Legitimierung des atomaren Waffensystems ausgebrochen war und den einen Hauptsatz der Friedensdenkschrift der EKD vom Herbst 1981 scharf und klar aufkündigte – jenen Satz eines scheinbaren Kompromisses: „Die Kirche muss auch heute ... die Beteiligung am Versuch, einen Frieden in Freiheit durch Atomwaffen zu sichern ... weiterhin als eine für Christen noch mögliche Handlungsweise anerkennen.“
Hiergegen hieß es nun im Anschluss an die Erkenntnisse der Niederländisch Reformierten Kirche in der Erklärung des Moderamens: „Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage. Durch sie ist für uns der ‚status confessionis‘ (d.i. der Bekenntnisfall) gegeben, weil es in der Stellung zu den Massenvernichtungsmitteln um das Bekennen oder Verleugnen des Evangeliums geht... Den Massenvernichtungsmitteln gilt von Seiten der Christen ein aus dem Bekenntnis zu GOTT dem Schöpfer, Versöhner und Erlöser gesprochenes bedingungsloses ‚Nein!‘, ein ‚Nein ohne jedes Ja‘.“
Mit dem „Nein ohne jedes Ja“ war eine Formulierung gefunden, die zusammen mit den Halstüchern in lila Farbe und der ebenfalls aus Holland stammenden Karikatur mit dem Fußtritt gegen die A-Bombe zum einigenden Symbol der christlichen Friedensbewegung in den 80er Jahren wurde. Der Höhepunkt war 1983 der Kirchentag, der für Tausende und in allen seinen großen Veranstaltung ganz und gar bestimmt war von der lila Farbe jener Tücher und von der Losung „Nein ohne jedes Ja“ aus der Reformierten Friedenserklärung, so dass es in der Süddeutschen Zeitung vom 13. Juni heißen konnte: „Am Schluss des Gottesdienstes vom Sonntag, als ein Meer von lila Tüchern wogte, flogen auch welche auf die VIP-Tribüne-, und eines landete auf dem Schoß des Bundespräsidenten (Karl Carstens). Der hat gelacht und es dem Helmut Kohl gereicht."
Bei aller Befriedigung über diese massenhafte zustimmende Reaktion auf unsere Erklärung darf nun aber nicht übersehen und verschwiegen werden, dass mit jenem ein innerkirchlicher Streit vom Zaun gebrochen war mit Erosionen und Verwerfungen in der EKD-West, die ihresgleichen suchten. Der damalige Ratsvorsitzende der EKD, der hannoversche Bischof Prof. Dr. Lohse schreibt in seinen Memoiren über die Diskussion hinsichtlich der Reformierten Friedenserklärung in der Kirchenkonferenz als der Versammlung aller Kirchenleiter (Bischöfe, Kirchenpräsidenten, Landessuperintendenten und Juristen) am 16. September 1982:
„In der gesamten Zeit meiner Zughörigkeit zu den Organen der EKD habe ich keine andere Beratung der Kirchenkonferenz erlebt, in der mit solcher Schärfe der Kritik diskutiert wurde.“
In der Hitze dieser Gefechte gab die Vereinigte Evangelisch Lutherische Kirche (VELKD) in der Stellungnahme ihrer Kirchenleitung bekannt:
„Wir können dem Aufruf des reformierten Moderamens nicht zustimmen, politische Entscheidungen – selbst solche auf Leben und Tod – zu Bekenntnisfragen der Kirche zu erklären. Die Kirche steht und fällt mit ihrem Bekenntnis zu Jesus Christus ... Allein im Glauben an ihn entscheiden sich Heil oder Unheil der Menschen.“
Und der Rat der EKD sagte:
„Das Bekenntnis zu Jesus Christus wird missbraucht, wenn es zur Entscheidung über offene politische Wege verwendet wird.“
Viele Christen in der Bundesrepublik reagierten mit Fassungslosigkeit auf derartige Bekenntnis-Sätze angesichts einer Situation, in der sie sich aufs Äußerste bedroht sahen und die Stationierungen von neuartigen, punktgenauen Atomraketen mit allen friedlichen Mitteln zu verhindern bereit waren.
Lohse schreibt: „Eine Flut von Briefen mit Äußerungen unterschiedlichster Art gingen bei mir ein, am Telefon wurden Beschimpfungen laut, und es kam sogar zu persönlichen Drohungen. Demgegenüber ruhige Geduld zu bewahren, war nicht immer ganz einfach“.
Aus dem 33jährigen Abstand heraus ist schwer zu verstehen, wie derartig aufgebracht und zugespitzt in der Kirche des Westens gefochten werden konnte. Man muss sich dazu vergegenwärtigen, wie aufgeheizt die politische Diskussion in West und Ost um die Raketenrüstung insgesamt war. Sie war schon längst in eine – im wörtlichen Sinne – grauenvolle und ideologisch-religiös verbrämte Auseinandersetzung abgeglitten. Der Präsident der USA Ronald Reagan bezeichnete Moskau als das „Zentrum des Bösen“ und meinte, wir würden die große apokalyptische Schlacht bei Harmagedon, in der das Reich des Bösen vernichtet wird, noch erleben. Viele standen in der Furcht, dass der sog. Ost-West-Konflikt aus der Zone der politischen Machtauseinandersetzung heraustreten und zu einem militärischen Konflikt eskalieren würde, in dem der Einsatz von atomaren Waffen auch auf deutschem Boden nicht nur denkbar, sondern auch realisierbar würde. Heute wissen wir: Es ist alles in Ost und West auch genauso geplant und kalkuliert worden, wie wir es befürchtet und analysiert haben.
Ich möchte gleichsam in einer Zwischennote auf eine Begebenheit verweisen, die recht eigentlich erst durch einen Film des Senders arte am 4. August 2015 unter dem Titel „The Man Who Saved the World“ im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Sie betrifft den 26. September 1983, in der Nähe von Moskau. Der Oberstleutnant der Sowjetischen Luftwaffe Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow tut seinen Dienst im Serpuchov-15-Bunker. Seine Aufgabe: die Überwachung des sowjetischen Luftraums per Satellit und Computer. Plötzlich meldet sein Rechner fünf auf die Sowjetunion anfliegende Atomraketen.
Petrow gerät unter einen ganz unglaublichen Druck, denn eigentlich müsste er die Information sofort weiterleiten, damit unverzüglich die Vorbereitungen für einen raschen Gegenschlag anlaufen und der Gegenangriff mit den sowjetischen Raketen gerichtet auf Westeuropa, besonders auf die BRD. Hätte er getan, was ihm befohlen war, wäre der atomare Krieg zwischen Ost und West ausgebrochen. Wir säßen hier nicht. Aber Stanislaw J. Petrow entscheidet sich dafür, das Ganze für einen Fehlalarm zu halten und einen amerikanischen Angriff mit "nur" fünf Raketen für unwahrscheinlich anzusehen.
Er hat damit unzweifelhaft die Welt vor einem Atomkrieg aus Versehen gerettet. Es war ein Vorgang, der wie kein Anderer heute grell erhellt, wie prekär damals vor 33 Jahren die militärische Bedrohung zwischen Ost und West war: 1983, dem Jahr, in dem die sowjetische Führung überzeugt war, die NATO stünde kurz vor einem atomaren Überraschungsangriff auf die Sowjetunion. - Seit seinem eigenmächtigen Handeln galt Petrow den Militärs nicht mehr als zuverlässiger Offizier. Seine bis dahin ungebrochen verlaufene Karriere endete abrupt. Auch einzelne, unbekannt gebliebene Ehrungen im Westen konnten nicht mehr verhindern, dass er zu einem gebrochenen Mann wurde, der heute verarmt und alkoholkrank in der Nähe von Moskau lebt.
Warum ist es trotz allem so nicht gekommen, wie wir befürchteten? Ich glaube mit der Frage 26 des Heidelberger Katechismus, „dass der ewige Vater / unsers Herrn Jesus Christus, / der Himmel und Erde / samt allem, was darinnen ist, / aus nichts erschaffen / auch dieselben noch / durch seinen ewigen Rat und Vorsehung / erhält und regiert, / um seines Sohnes Christi willen / mein Gott und mein Vater ist.“
Bundeskanzler Kohl erklärt das mit seiner Standfestigkeit gegen die Friedensbewegung, wenn er vor einigen Jahren auf evangelischem Parkett zu Tutzing in Bayern konstatiert: „Dass die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen Ende 1983 richtig war, hat die Geschichte hinlänglich bewiesen.“
Gar nichts hat die Geschichte bewiesen, weil die Geschichte über den Herrn der Geschichte nichts beweisen kann. Auch das ist seit Barmen 1934 ein Satz evangelischen Bekennens. Davon würde man im Rückblick auch gegenwärtig gern hören.
Die notwendige synodale, kirchlich-theologische Arbeit um das „Bekennen in der Friedensfrage“ aber wurde damals nicht im Westen Deutschlands angegangen, sondern im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Wir im Westen, die wir das „Nein ohne jedes Ja“ um den Hals und als Bestandteil unseres Glaubensbekenntnisses in Kopf und Herz trugen, schauten dankbar – und auch neidisch – in die DDR, wo theologische Kommissionen und kirchliche Synoden die Grabenkämpfe um die rechte Auslegung eines „status confessionis“ nicht mitmachten, sondern wie in Görlitz ‘87 aussprachen, was einfach dran war:
„Wir bekennen: GOTT befreit uns durch Jesus Christus aus der Knechtschaft der Angst, die eine Folge der Sünde ist. Er befreit von Abhängigkeit und Unterdrückung. Daraus folgt: kein Mensch und kein Staat darf durch Drohung mit Massenvernichtungsmitteln Angst und Abhängigkeitsverhältnisse schaffen, um sich so seinen Frieden zu erkaufen und Macht auszuüben“ (Bundessynode in Görlitz 1987).
Heute ist die Kirche dieser Bundessynode zu Görlitz ’87 Teil der EKD. Und die EKD insgesamt steht in der Freiheit und Verpflichtung dieses Beschlusses.
VII. „Status confessionis“
Das Moderamen hat in seiner Erklärung gesagt, die Friedensfrage sei heute für uns zur Bekenntnisfrage geworden, durch die wir uns in den „status confessionis" gestellt sehen. Die Verwendung der beiden lateinischen Worte „status confessionis" hat geradezu hysterische Reaktionen ausgelöst. Man hat diesen Begriff behandelt wie einen gefährlichen Sprengsatz, den das Moderamen unverantwortlicherweise an die Einheit der EKD gelegt habe; ja, es hat sogar Stimmen gegeben, die in der Benennung des status confessionis ein sicheres Indiz für die Verwandlung des Moderamens in eine Sekte glaubten finden zu können. Auch ist gesagt worden, der „Reformierte Bund“ sei ja nur ein Verein und keine Kirche, so dass niemand in der „Kirchen“ sich davon berührt fühlen müsse. Bei alledem ist der „status confessionis" mit Vorstellungen und Unterstellungen beladen worden, die keineswegs einen zureichenden Anhalt haben an den historischen Situationen, in denen dieser Begriff schon einmal in den reformatorischen Kirchen verwandt und geprägt worden ist.
[Nebenbei: Die Frage mag gestellt werden, ob es der Heilige Geist oder der altböse Feind war, der uns den „status confessionis"in die Erklärung geschrieben hat. Für den Heiligen Geist spricht die Vermutung, dass die Moderamenserklärung ohne diesen emphatischen Begriff wohl kaum zu der Intensität geführt hätte, mit der sie beachtet wurde. Für den altbösen Feind spricht, dass den Gegnern der Moderamenserklärung durch die Verwendung des „status confessionis" vielfältige Gelegenheit gegeben wurde, statt sich der Aktualität der ethischen Frage zu stellen, auszuweichen in historische und dogmatische Oberseminare.]
In der Moderamenserklärung ist der Begriff [status confessionis] aufgenommen worden in der Weise, wie ihn Dietrich Bonhoeffer im Kirchenkampf, Karl Barth und der Lutheraner Ernst Wolf zusammen mit den Kirchlichen Bruderschaften in der Auseinandersetzung der 50er Jahre verwandt und geprägt haben: als ein Begriff, der nicht weniger signalisiert als die Erkenntnis einer Situation, in der das christliche Bekenntnis in besonderer Weise herausgefordert ist und sich die Einheit der stets bekennenden Kirche in Glauben und Gehorsam neu zu bewähren hat. Das hieß damals für uns aktuell:
Wir meinten damals und sprachen es auch so aus, eine Benennung des status confessionis wie ihn die Kirche 1933 durch die anhebende politische Diskriminierung der Juden, die den Holocaust vorbereitete, aus ihrem Bekenntnis zu Jesus Christus heraus hätte Stellung beziehen und ihre Einheit in Glauben und Gehorsam hätte bewähren müssen; wie damals so seien wir heute unter politisch anderen Bedingungen durch die Bedrohung des Friedens durch die atomaren Waffen in einen vergleichbaren status confessionis versetzt. Damals wurde eine von außen auf die Kirche zukommende sog. „politische Frage" zur Bekenntnisfrage, und es waren nur wenige Christen, unter ihnen Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller, die diese Frage in ihrem Gewicht erkannten.
Im Stuttgarter Schuldbekenntnis ist darum zu Recht gesagt worden: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Die Judenfrage war 1933 eine von den meisten erst zu spät oder überhaupt nicht erkannte Bekenntnisfrage. „Es ist gewiß kein Zufall“, schrieb Niemöller damals in der „Jungen Kirche“, „sondern ein Zeichen von 'groß Macht und viel List', dass die Gemeinde Jesu so angegriffen wird, dass nur ein Teil von ihr wirklich merkt: Es geht ums Ganze!“ Das schien dem Moderamen damals in der Sache nicht anders, auch wenn die politischen Umstände ganz andere waren und das Zeugnis der Kirche von außen unbedroht erschiene und darum umso freimütiger hätte sein können:
Das Moderamen war damals der Meinung und sagte es: Die Frage des Friedens und seiner Bedrohung durch die Massenvernichtungsmittel ist zu einem Problem geworden, das den Glauben an Jesus Christus so herausfordert, dass wir ihn neu und in aktueller Zuspitzung bekennen müssen. Wir hatten triftige Gründe für die Behauptung: So wie damals die Diskriminierung der Juden den Holocaust vorbereitete, so wird heute (1982) durch die Veränderung der militärischen und politischen Strategien, durch die Verfeinerung der Waffensysteme und durch die Vorbereitung der Stationierung atomarer Erstschlagswaffen das atomare Inferno vorbereitet.
Unser Glaube an Jesus Christus werde dadurch derartig herausgefordert, dass Schweigen und Gleichgültigkeit der Verleugnung des Glaubens gleichkomme und ein Einverständnis mit dieser Entwicklung dessen faktische Verleugnung bedeuten würde. Wir sagten: Der status confessionis ist nicht erst gegeben, wenn die Bomben fallen, sondern jetzt, wo die Vorbereitungen zu ihrem Einsatz getroffen werden und es — wie die holländischen Reformierten sagen — „nach menschlicher Einsicht zu spät zu sein scheint". Aus dem Holocaust an den Juden die bitteren Lehren ziehen, so meinten wir damals, heiße heute, den atomaren Holocaust mit allen uns noch zu Gebote stehenden Möglichkeiten verhindern helfen!
Ich halte heute die damalige Parallelisierung von „Holocaust“ und Atomwaffenbedrohung für sehr problematisch und für völlig verfehlt. Die Judenvernichtung in Deutschlands Drittem Reich ist eine einzigartiges Verbrechen, das nicht als „Beispiel“ instrumentalisiert werden darf. Heute sage ich nachdrücklich, wir hätten das so nicht parallelisieren und ausdrücken dürfen.
Für das Moderamen und den durch uns repräsentierten Reformierten Bund sollte gelten: Den „status confessionis“ zu benennen, heiße nicht, die innerkirchliche Friedensdiskussion eigenmächtig zu dramatisieren. Sondern — ob wir wollen oder nicht — wir (d. h. eine Unzahl von Gemeinden, Gruppen, einzelnen Christen und unter ihnen aber auch das Moderamen) sehen die Kirche durch das Wort Gottes in den status confessionis versetzt, weil sie sich grundstürzenden Problemen gegenübersieht, „bei denen es um die Not der menschlichen Existenz in dieser Welt, um das Menschsein des Menschen und darin zugleich wieder um Anerkennung oder Verleugnung Gottes geht“, wie es der Lutheraner Ernst Wolf hinsichtlich der Bedingung für den status confessionis formuliert hat.
Mit der Feststellung des „status confessionis“ werden, so war es unsere Position, der Ernst und die Dringlichkeit unterstrichen, jetzt das Bekenntnis zu Jesus Christus auszusprechen, es angesichts der Herausforderung in seinen unabweisbaren Konsequenzen zu bedenken und zu entfalten und die Schritte des sich daraus ergebenden, letztlich von Christus selber geforderten Gehorsams nicht zu verweigern. Zu den in statu confessionis gewonnenen Einsichten und Erkenntnissen gehört auch das „Nein“ zu Lehren und Meinungen, die sich am Maßstab des Evangeliums als unhaltbar erweisen. In diesem Fall war es nach unserer Sicht die „Lehre“: „Die Kirche muß die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden In Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen“ (Heidelberger These VIII). Wir sagten: In der Konsequenz des Bekenntnisses zu Jesus Christus und angesichts der Herausforderung durch die Situation ist diese Überzeugung für einen Christen unvertretbar geworden.
Wer eine solche Feststellung damals traf, bekam regelmäßig die Vorwürfe zu hören, dass er anmaßend anderen ein Gesetz auferlege, dass er unevangelisch die Gewissen binde, dass er seinen Schwestern und Brüdern in der Kirche das Christsein und den Glauben abspreche und den Frieden in der Kirche und deren Einheit mutwillig zerstöre.
Wir antworteten damals: Die in statu confessionis herausgeforderte und gefährdete Einheit der Kirche kann nicht dadurch gefunden werden, dass man die gegensätzlichen Standpunkte zugunsten einer Scheineinheit verwischt oder als gleichberechtigte, nur eben unterschiedliche Ausdrucksweisen des Christseins toleriert. Die Kirche ist nach ihrer allein tragfähigen Einheit in Glauben und Gehorsam gefragt. Ihre Einheit ist die mit der Wahrheit und der Eindeutigkeit ihres Zeugnisses verbundene Einheit, die es nicht zulässt, dass Christen in Bekenntnisfragen zu sich gegenseitig ausschließenden Ergebnissen kommen.
VIII. Ist die Reformierte Friedenserklärung noch aktuell?
Es hat vor einiger Zeit eine UNO-Konferenz in Oslo gegeben, die sich befasste mit der schlichten Frage, was ein Atomwaffeneinsatz für unmittelbare Folgen für den Menschen haben werde. Nur ein Ergebnis sei genannt: der Einsatz von etwa fünfzig Atomwaffen werde so viel Dreck in die Luft befördern, dass eine Milliarde Menschen wegen der völlig verdunkelten und eingeschränkten Sonneneinstrahlung am Hungertod sterben würde. Die präzis begründeten Ergebnisse der Konferenz, an der Vertreter von 127 Staaten und von drei zuständigen UNO-Organisationen teilgenommen haben, sind entsetzlich.
Politisch ist zu gewärtigen, dass Israel atomar bedroht wird und dass neben allen anderen derzeit geführten Kriegen ein Krieg mit einer Atommacht jederzeit in den Bereich der Anwendung atomarer Waffen kommen kann. Mächte mit Atomwaffen sind neben den Siegern des Zweiten Weltkrieges China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Würde auch nur eine dieser Mächte Atomwaffen gebrauchen – und das ist voraussehbar – und es käme nur eben zur Zerstörung von Atomkraftwerken oder nur zur Inbesitznahme atomaren Materials, würde das zu einer unvorstellbaren Katastrophe geraten, gegen die Fukushima ein Kinderspiel gewesen wäre.
Etwas später legte – gleichsam als Fortsetzungsanalyse – das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI seinen Jahresbericht vor, in dem über die derzeitigen atomaren Besitzverhältnisse berichtet wird:
Die Fähigkeit, sofort einen atomaren Krieg führen zu können, haben nach wie vor die beiden Hauptmächte USA und Russland. Sie geben vor, ihre atomaren Waffenarsenale reduziert zu haben. Der Vorgang kann verglichen werden mit zwei Alkoholkranken, die einen riesigen Weinkeller im Haus haben und ihren etwas geminderten Vorrat an Alkoholika als Weg zur Abstinenz ausgeben.
Auf dem Gebiet der Bunderepublik, der Niederlande, Belgiens, Italiens und der Türkei, lagern nach wie vor amerikanische Atomwaffen, deren Anzahl der Geheimhaltung unterliegt. SIPRI rechnet vor, dass es derzeit mindestens zweitausend, sogleich einsatzbereite Atomsprengköpfe gibt. Der Bestand umfasst ein Vielfaches.
Und wie steht es in dieser Situation um die kirchliche Positionierung?
Der Reformierte Bund hat unlängst in einer Erklärung des jetzigen Moderamens zum 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 2015 Folgendes gesagt:
»Am 6. und 9. August 1945 wurden über Hiroshima und Nagasaki Atombomben abgeworfen – sie haben Tod und bis heute währendes Leid über hunderttausende Menschen gebracht. Die Schreckenserfahrungen haben die Menschheit nicht zur Einsicht gebracht. Trotz der militärischen Entspannungsphase seit den achtziger Jahren und damit verbundener Abrüstungsinitiativen lagern auch heute – 70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki – in Deutschland über 100 Atomwaffen mit deutlich größerem Vernichtungspotential.
Der Konflikt um die Ukraine zeigt, wie fragil der Friede auch in Europa ist; das Drohen mit dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln scheint wieder möglich zu sein.
1982 hat sich der Reformierte Bund e.V. eindeutig gegen den Einsatz und die Bereitstellung von Massenvernichtungsmitteln ausgesprochen: »Christen können unter keinen Umständen damit einverstanden sein, daß solche Mittel eingesetzt werden. Und sie können ebensowenig ihre Zustimmung dazu geben, daß solche Mittel als angeblich ›politische Waffen‹ hergestellt und bereitgehalten werden, um mit ihnen zu drohen, ›abzuschrecken‹ und sie ins politische Kalkül einzubeziehen.« (Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche, 1982, 20). Diese Erkenntnis [!!] hat auch 2015 nichts an ihrer Aktualität eingebüßt.
»Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich für den vollständigen Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland stark zu machen. Wir fordern die Bundesregierung ebenfalls auf, sich Initiativen anzuschließen, die in Konsequenz des Nichtverbreitungsvertrages auf die vollständige Abrüstung aller Atomwaffen weltweit zielen.«
Diese Erklärung hat, soweit ich es sehen konnte, weder im epd noch in idea eine Meldung bekommen. Zu finden ist sie nur bei „reformiert-info“ im Internet. Daraus ist zu schließen, dass die Friedenserklärung des Moderamen von 1982 wohl ihre Zeit gehabt hat. Sie regt niemanden mehr auf. Und sie regt zu nichts mehr an und auf. Der „status confessionis“ ist erloschen, vorbei. Nicht einmal das Moderamen erinnert an ihn.
Und so scheint es wohl nötig zu sein, eine andere Sprache zu sprechen, eine andere Theologie zu treiben als die, die vor 33 Jahren etwas mitzuteilen hatte und aufregen konnte. Vermutlich ist darum jene Erklärung von 1982 wohl ein wichtiges Dokument der deutschen Kirchen- und Theologiegeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber eben ein Dokument von gestern.
Ich nenne in der kürzesten Fassung, was meines Erachtens die Kirche und auch der Reformierte Bund heute sagen sollte:
Der Mensch sieht den Teufel nicht mehr. Er hat ihn geschluckt.
Kriege werden um ihrer selbst willen geführt. (1942) - Elias Canetti, Das Buch gegen den Tod, München 2014
Bellizismus und Pazifismus sind mimetische Doppelgänger: Sie ergänzen einander sehr gut. Kein Land ist gewillt,
die Wahrheit über seine Gewalt zu hören. Es wird immer versuchen, sie um des Friedens willen zu verbergen. Jesus hat sich den Menschen genähert, indem er ihre Gewalt kopflos machte und sie bloßstellte. Der Heilige Geist setzt sein Werk in der Zeit fort. Gerade er lässt uns begreifen, dass das historische Christentum gescheitert ist und die apokalyptischen Texte von nun an stärker zu uns sprechen als je zuvor. Die Propheten und Psalmen haben diese fundamentale Interpretation der Ankunft Gottes vorbereitet, der eins ist mit dem Kreuz. Hier ist das Opfer göttlich, bevor es sakralisiert wird. Das Göttliche geht dem Sakralen voraus. Es stellt die Rechte Gottes wieder her. Dieser Gott, dieser kommende Andere ... bringt das ganze System zum Einsturz. - Rene Girard, Im Angesicht der Apokalypse.
Ein großes Zeichen im Himmel: ein Weib. Und der Drache trat vor das Weib, das gebären sollte, auf dass, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind fräße. Und sie gebar einen Sohn. Und ihr Kind ward entrückt zu Gott und seinem Stuhl. Und das Weib entfloh in die Wüste. - Offenbarung des Johannes 12, 1,4-6
Prof. Dr. Rolf Wischnath, Bielefeld 2016
Das Moderamen des Reformierten Bundes die Bundesregierung auf, »sich für den vollständigen Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland stark zu machen«.
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