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Calvinismus und Kapitalismus
Anmerkungen zur Prädestinationslehre Calvins
Dass irgend ein Zusammenhang bestehe zwischen Kapitalismus und Calvinismus und dass dieser Zusammenhang mit der Prädestinationslehre zu tun habe, ist eine so verbreitete Meinung, dass es lohnt, sie auf einem Calvin-Symposion einmal zu thematisieren. Eine Kurzfassung der verbreiteten Meinung kann ich mit einem Zitat wiedergeben, das mir in einem Vorbereitungsbüchlein für den evangelischen Kirchentag 1989 begegnet ist: »Bekanntlich hat Calvin wirtschaftlichen Erfolg als Maßstab dafür angesehen, ob ein Mensch von Gott erwählt ist. Die Folgen haben wir bis heute zu tragen.« (1)
Wenn jemand »bekanntlich« sagt, darf man annehmen, dass er nicht nach Genauerem gefragt werden möchte. Wollte man doch danach fragen, käme schnell heraus, wie haltlos eine solche Behauptung über Calvin ist. Nicht viel besser steht es um die Fortsetzung: »Die Folgen haben wir bis heute zu tragen«. Wieso soll, dass Calvin eine Ansicht hatte – einmal angenommen, er hätte sie wirklich gehabt –, Folgen bis zu uns heute zeitigen? Hier fehlen alle historischen Zwischenglieder, die erkennen ließen, wie aus einer (vermeintlichen) Ansicht Calvins weltgeschichtlich wirksame Folgen entstanden sein mögen. Auch das wird offensichtlich als bekannt vorausgesetzt.
Was da als bekannt vorausgesetzt wird, dürfte die sog. Max-Weber-These sein, die zurückgeht auf Webers Aufsätze »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« aus den Jahren 1904/05, mit dem Nachtrag »Kirchen und Sekten« aus dem Jahre 1906. Weber hat diese Aufsätze 1920 neu herausgegeben im 1. Band seiner Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie – überarbeitet und bereichert durch allerlei Auseinandersetzungen, zudem hineingestellt in einen neuen Fragezusammenhang. (2)
Doch man muss unterscheiden zwischen dem, was Max Weber geschrieben hat, und dem, was daraus in der Rezeptionsgeschichte geworden ist. Um erst einmal Weber in Schutz zu nehmen: Dass Calvin wirtschaftlichen Erfolg als Maßstab dafür angesehen hätte, ob ein Mensch von Gott erwählt ist, hat Weber nirgendwo behauptet. Er hat in seinen genannten Abhandlungen auch von niemand anderem behauptet, dass er eine solche Meinung vertreten habe. Erst nachträglich stieß er zu Formulierungen vor, die diese Ansicht allenfalls nahelegen könnten (3), und dann hat sie sich im Zuge der Rezeption Webers durchgesetzt.
Ich versuche zu Beginn eine kritische Darstellung der sog. Max-Weber-These, gehe dann zu ihrer Befragung über und lenke von dort zurück zu Calvins Prädestinationslehre – nun in Barths Darstellung von 1922.
I.
Ein Teil der populären Wirkung von Webers Aufsätzen dürfte von den attraktiven Begriffen kommen, die er gewählt hat. Ich vermute allerdings, dass ihre Attraktivität nicht zuletzt darauf beruht, dass sie etwas Populistisches an sich tragen.
1. Nehmen wir gleich den Leitbegriff »Geist des Kapitalismus«! Was hierbei mit »Geist« gemeint ist, nennt man heute »Mentalität«; es ist Gegenstand der Mentalitätsforschung geworden. Max Weber hatte sich vorgenommen, die Herkunft derjenigen menschlichen Mentalität darzustellen, die zu Entstehung und Siegeszug des Wirtschaftssystems des Kapitalismus beigetragen hat. Ihre entscheidende Herkunft sah er in der calvinistisch beeinflussten Frömmigkeit, wobei er zunehmend deutlicher zugab, damit nur eine unter vielen Entstehungsbedingungen der kapitalistischen Mentalität und erst recht des Kapitalismus als Wirtschaftsform herausgegriffen zu haben. Indem er für die aus dem Calvinismus hervorgegangene Mentalität den Ausdruck »Geist des Kapitalismus« wählte, suggerierte er aber nun doch, dass hier die schöpferische Kraft zum Kapitalismus hin gelegen habe. Und er suggerierte zudem, dass der Kapitalismus einen »Geist« habe... Für uns ist nur wichtig, sich bewusst zu halten, dass Weber mit diesem Begriff eine dem Kapitalismus förderliche, zumindest angemessene Mentalität thematisieren wollte.
2. Eine andere populär gewordene Webersche Begriffsbildung lautet »innerweltliche Askese«. Gemeint ist dabei: Askese in und durch den Beruf. Dies sei protestantisches Ethos gewesen. Damit hat Weber der Sache nach etwas Richtiges herausgestellt, aber der Begriff »innerweltliche Askese« ist besinnungslos, denn schließlich ist alle Askese innerweltlich. Ob es außerhalb der Welt Askese gibt, dürfte keine sinnvolle Frage sein. Trotzdem gebraucht Weber auch den Gegenbegriff »außerweltliche Askese«. (4) Damit meint er mönchische, klösterliche Lebensformen. Fragt man, inwiefern diese »außerweltlich« seien, so erfährt man nur, dass sie sich außerhalb des „Berufslebens“ im modernen Sinne vollziehen. Damit stehen wir vor einer bloßen Tautologie.
Zudem passt zu dieser Bestimmung nicht, dass nach Weber der Berufsbegriff erst mit der Reformation wichtig geworden sei, so dass zumindest das mönchische Leben vor der Zeit der Reformation nicht anhand des Berufsbegriffs definiert werden kann, auch nicht zur Abgrenzung oder Unterscheidung. Doch über derartige Kleinigkeiten ist Weber bei seinem Gebrauch von »innerweltlich / außerweltlich« erhaben. – Schließlich wird man auch zu bedenken geben müssen, dass es schon im Blick auf ihre geschichtlichen Funktionen kaum angeht, Klöster als »außerweltlich« zu bezeichnen – berücksichtigt man, was diese im Abendland oft genug für die Lebensgestaltung, für Kultur und Versorgung der Gesellschaft – also »innerweltlich« – bedeutet haben.
Gewiss ist es auch historisch unumgänglich, einen Unterschied zu machen zwischen Klosterleben und nicht-klösterlichem Leben. Nur sollten dazu die angemessenen Begriffe gesucht werden. Theologisch ist das möglich und auch geschehen. Da Max Weber in den hier zur Debatte stehenden Untersuchungen die protestantische Ansicht durch die Westminster-Confession von 1647 artikuliert sieht, will ich dies Dokument auch für diese Frage sprechen lassen. Cap. XVI, »Von den guten Werken« (De bonis operibus / Of Good Works), beginnt so: »Gute Werke sind nur solche, die Gott in seinem heiligen Wort angeordnet hat (praecepit / hath commandeth), nicht aber solche, die ohne seine Autorisierung von Menschen ersonnen sind, sei es aus blindem Eifer oder unter irgendeinem Vorwand der guten Absicht.« (5) Reformatorische Theologie unterschied also zwischen gottverordneten Taten und selbsterdachten Taten, ebenso zwischen gottgeordneten Institutionen und bloß von Menschen ersonnenen Institutionen. Auf Grund der Bibel galten ihr Mönch- oder Nonne-Werden als selbstersonnene Taten und deshalb als nicht gut, mag der Eifer dabei auch noch so gut gemeint sein; und Klöster galten ihr als von Menschen erfunden und nicht von Gott geboten und deshalb verwerflich – im Unterschied zu »Ständen« wie dem des Bauern oder des Kaufmanns oder Fürsten, oder im Unterschied zum »Stand« der Ehe. (6)
Nun kann man mit der Alternative von Gottes Gebot und Menschenfündlein sozialwissenschaftlich natürlich nicht arbeiten. Aber mit dem Begriffspaar »innerweltlich / außerweltlich« auch nicht. Dass es sozialwissenschaftlich ernst genommen und unablässig ernsthaft kolportiert wird, mag seinen Grund darin haben, dass im Selbstverständnis von uns Menschen der modernen industriellen Lebenswelt Klöster als unproduktiv gelten. Mönchische Askese gehört nicht zur bürgerlichen Welt, also nennt man sie flott »außerweltlich«. Die Karriere des Begriffspaares »innerweltlich / außerweltlich« beruht meiner Meinung nach auf einer vordergründigen modernen Plausibilität.
Es sei aber unterstrichen, dass Weber durchaus auf etwas Richtiges hingewiesen hat, das allerdings schon vor ihm in den Überlegungen zur Geschichte der Neuzeit immer präsent war und das man historisch auch nicht zu hoch bewerten sollte: dass nämlich die Reformation – indem sie jede Tätigkeit, die sich theologisch auf Gottes Anordnung zurückführen ließ, als Gottesdienst einstufte – eine Aufwertung der Berufsarbeit, ja fast jeder Arbeit gebracht hat. Und das Verständnis der Arbeit im Dienst der Mitmenschen als Gottesdienst bedeutete in der Tat, dass die Arbeit asketisch, das heißt: mit der ständigen Bereitschaft zu Verzicht und Entsagung, zu tun sei – nicht nur gezwungenermaßen, sondern freiwillig. Ebenso wie die Reformation das Priestertum aller Gläubigen proklamiert hatte, wollte sie auch die Intensität des Klosterlebens gleichsam zum christlichen Normalleben machen. Luther hat sogar noch eins draufgegeben, indem er erklärte, dass die von Gott gesetzten Berufe mehr Askese verlangen, als im Kloster üblich ist. Um die Entsagung, die es beispielsweise erfordert, eine Schar Kinder aufzuziehen, – um diese Entsagung zu meiden, deshalb gingen nach Luthers Meinung viele ins Kloster. (7) Das sollte man berücksichtigen.
Aber nicht alle Berufe und Arbeiten galten den Reformationskirchen als Gottesdienst. Die Grenze war erreicht, wenn Berufe gegen Gottes Gebote und gegen den Nächsten gehen. Deshalb findet sich in der protestantischen Literatur (im Einklang mit der kirchlichen Tradition) die hartnäckige Bekämpfung des Wucherhandels. Mit der Verwerfung des Wucherhandels entsteht nun für die von Weber bevorzugte Linie von »der protestantischen Ethik« zum »Geist des Kapitalismus« ein schwieriges Hindernis, das Weber aus dem Wege räumen zu können meinte, indem er immer wieder den Wucher als untypisch für den neuzeitlichen abendländischen Kapitalismus erklärte. Dessen adäquate Wirtschaftsgesinnung, die seinen »Geist« ausmache und der er sich auch irgendwie verdanke, sei vielmehr die des rechtschaffenen Berufseifers.
II.
Man stutzt bei solcher Beschreibung des »Geistes des Kapitalismus«. Ich lasse das aber auf sich beruhen, weil es mir um die von Weber vorgetragene Darstellung der protestantischen Ethik geht. Dafür genügte ihm nun der Verweis auf die reformatorische Berufsauffassung nicht, und zwar deshalb nicht, weil diese von Luther ausgeht und im deutschen Luthertum heimisch geworden ist, die Entstehung des neuzeitlichen Kapitalismus aber nicht in Deutschland und auch nicht in außerdeutschen lutherischen Gebieten vonstatten ging. Weber musste also noch ein spezifisches Moment des nicht-lutherischen Protestantismus präsentieren, das der lutherischen Berufsauffassung erst die besondere Note gegeben habe, die zum »Geist des Kapitalismus« führen konnte. Diese besondere Note sah er veranlasst durch die Prädestinationslehre Calvins, wie sie in den reformierten Kirchen, besonders in den Niederlanden und im englischen Puritanismus, gepflegt wurde und von dort in das Bewusstsein einiger einflussreicher nordamerikanischer protestantischer Denominationen eingegangen ist.
Fragt man, was an der Prädestinationslehre besonderen Einfluss auf die Berufsethik gehabt habe, so kann man das nach Weber nicht an dem ausmachen, was an dogmatischen Problemen den reformierten Protestantismus beschäftigt und in viel Streit geführt hat. Vielmehr war nach Weber an der Prädestinationslehre ethisch wirksam, was im Calvinismus nie strittig gewesen sei: nämlich dass derjenige, der sich zum Heil prädestiniert wissen will, diese Erwählung in seiner Lebensführung bewähren soll.
»Bewährung« ist das Stichwort, das Weber unablässig wiederholt zur Charakterisierung der spezifischen Eigenart der calvinistisch-puritanischen Lebensprägung durch die Prädestinationslehre. Der Leser ist auf die Dauer bereit, das zu glauben, zumal Weber Zitate von Luther oder lutherischen oder auch katholischen Theologen bringt, um zu belegen, dass dort überall der calvinistisch-puritanische Gedanke der Bewährung fehlt. Nur: Er bringt keinen Beleg für den Gedanken der Bewährung und keinen, der den Begriff enthält, nicht einmal eine Erwägung über die sprachlichen Äquivalente im Lateinischen und Englischen – und das nicht zufällig. Der Begriff »Bewährung« (auf die sprachliche Seite komme ich gleich) ist im Calvinismus nämlich genauso irrelevant wie sonst in der Theologie. Ich habe trotz eifrigen Suchens und Nachschlagens nichts gefunden, wo dieses Wort eine markante oder markierende theologisch-ethische Rolle gespielt hätte. Wir stehen also vor der schwierigen Situation, dass Weber unter hartnäckiger, häufig sogar gesperrt gedruckter Verwendung des Wortes »Bewährung« etwas darstellen will, wofür die Dargestellten selber das Wort »Bewährung« nicht gebraucht haben.
Was meint Weber mit »Bewährung«? Er geht davon aus, dass die Prädestinationslehre den Einzelnen in die innere Isolierung und dabei in die furchtbare Ungewissheit gestürzt habe, nicht zu wissen, ob er erwählt ist oder ob er zu den von Gott Verworfenen gehört. Kultische Vergewisserung sei ihm verwehrt gewesen, weil der Calvinismus die Sakramente »entzaubert« und die Beichte abgeschafft hat. Auch das innere Glaubenserlebnis habe im Calvinismus nicht zur Vergewisserung dienen dürfen, sondern nur die praktische Tätigkeit im Beruf. Und diese sollte streng unter Vermeidung aller »Kreaturvergötzung« geschehen, will sagen: ohne sich von eigenem Nutzen oder mitmenschlichen Freuden oder von der Frage nach der für den Nächsten nützlichen Zweckmäßigkeit der Tätigkeit leiten zu lassen. Die Lebensführung systematisch dem Beruf an sich unterzuordnen – das sei die Bewährung, in der der verunsicherte Gläubige seines Erwähltseins durch Gott gewiss werde.
Man sieht: Es wird von Max Weber eine Anzahl verschiedener Elemente zusammengetragen, um das aufzubauen, was er »Bewährung der Erwählung« im calvinistisch geprägten Puritanismus nennt und was seiner Meinung nach mit zum »Geist des Kapitalismus« geführt habe. Letztlich sei es der stetige und methodische Berufseifer als solcher gewesen, durch den der Fromme sich seiner Erwählung zum ewigen Heil versichern hat wollen. Diese Einstellung ist für Weber etwas höchst Irrationales, das aber durchaus rationale Momente entbunden habe, indem dadurch das Berufsleben durchgestaltet und das ganze Leben auf den Beruf hin dressiert wurde. Solche Gläubigen werden im Geschäftsleben berechenbar: als unermüdliche und ehrliche Berufsarbeiter; und wenn sie mit Geld zu tun haben, so werden sie unermüdlich und ehrlich Geld scheffeln – nicht um »davon etwas zu haben«, sondern ganz »asketisch« um des Bewährungs-Eifers des Geld-Scheffelns als solchem willen. Sie werden das Geld nicht zum Lebensgenuss ausgeben, sondern im Berufseifer als Kapital anlegen zur weiteren Geldvermehrung als solcher. So wird für sie das Gewinnmachen geradezu zum sittlichen Beruf, der die Notwendigkeit stets steigender Geldbeschaffung in sich birgt.
Versucht man, Weber hier möglichst korrekt darzustellen, so überkommt einen sehr schnell ein gewisses Unbehagen, weil das Konstrukt einen reichlich unwahrscheinlichen Eindruck macht und voller Gedankensprünge ist. Schon deshalb hat sich im Zuge seiner Rezeption eine vereinfachte Fassung herausgebildet und durchgesetzt. Die besagt eben, dass die calvinistischen Frommen sich ihre Erwählung durch wirtschaftlichen Erfolg im Geschäftsleben bestätigen zu müssen glaubten. Und damit meint man auch, den direkten Übergang zu dem, was man sich unter dem »Geist des Kapitalismus« vorstellt, vor Augen zu bekommen. Doch so vereinfacht hat Weber dies nicht vorgetragen.
Man muss sich Webers Vorgehen klarmachen: Er kommt nicht von der Vergangenheit der »protestantischen Ethik« aus zum »Geist des modernen Kapitalismus«, sondern umgekehrt von einer Bestimmung des »Geistes des Kapitalismus« zur Behauptung von dessen religiösen Wurzeln (wie er sich ausdrückt). Ein solches Vorgehen ist an sich nicht unberechtigt. Das Problem liegt jedoch darin, wie der Ausgangspunkt, von dem aus man zurückfragen will, bestimmt wird, wie es zu seiner Definition kommt und wie diese sich ausweisen kann. Und gerade an dieser Stelle verweigerte sich Weber jedem Problembewusstsein. Der Volkswissenschaftler Lujo Brentano hatte gleich geurteilt, dass Webers Begriff des »Geistes des Kapitalismus« schon als Voraussetzung in sich enthalte, was erst bewiesen werden sollte. Dieses Urteil erklärte Weber für eine ihm »unverständliche Behauptung«. (8) Anstatt sich also zu einer genaueren Prüfung und Klärung der Ausgangsbestimmung veranlasst zu sehen, stellte sich Weber taub. Vermutlich hat er Brentanos Einwand nur zu gut verstanden.
Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass Weber sich nicht bewusst gewesen sein sollte, dass die Ausgangsbestimmung von ihm so gefasst ist, dass sie alles weitere der angeblich rein historischen Untersuchung schon in sich trägt bzw. notwendig nach sich zieht: Wenn der »Geist des Kapitalismus« einen irrationalen Habitus des Sparens und Geld-erwerben-Müssens darstellt, ohne dass der Träger dieses Habitus’ davon Nutzen und Annehmlichkeiten erwartet, so gibt es auf die Frage, woher solch selbstloser innerer Zwang kommen mag, nur die eine Antwort: aus der Religion. Denn dass Religion zwanghafte Charaktere produziert und zu irrationalem Eifer antreibt, das »weiß« man schließlich. Diese Erklärung ergibt sich unausweichlich, wenn vorweg aus dem »Geist des Kapitalismus« per definitionem aller Wille zur materiellen Selbstbereicherung ausgeschlossen worden ist. Spätere Rezipienten haben Weber seine Bestimmung des »Geistes des Kapitalismus« denn auch nicht geglaubt und haben sich wohl auch deshalb die Calvinisten so vorgestellt, dass sie wirtschaftlichen Erfolg gesucht hätten zur Bestätigung ihrer göttlichen Erwählung.
Es wird von Weber also eine willkürliche Definition an den Anfang gestellt – und aus dieser Definition wird die Historie herauskonstruiert. In welchem Ausmaß das geschieht, macht eine Schilderung deutlich, die Weber in seiner ersten Abhandlung von dem durch solchen »Geist« verursachten wirtschaftlichen Umbruch gibt. (9) Danach herrschte in der kontinentalen Textilbranche bis ins 18. Jahrhundert hinein ein »gemächliches« Leben. Weber spricht von »Behaglichkeit« und »Idylle«, auch von »bequemem Lebensgenuss«. Wie idyllisch er sich diese Zustände vorstellte, sieht man an der Bemerkung: »im ganzen relativ große Verträglichkeit der Konkurrenten untereinander«. Auch wird die Ausgangslage so dargestellt, als ob alle bei maßvoller Arbeitsanforderung ein erträgliches Auskommen gehabt hätten. Dahinein brach dann oft genug »irgendein junger Mann« ein, der – ohne dass ein materieller Grund dazu bestanden hätte! – einen neuen »Geist« in das Wirtschaften brachte, der rein um der guten Berufserfüllung willen Bauern »zu Arbeitern erzog« und »ihre Abhängigkeit und Kontrolle zunehmend verschärfte« und das Produktionsprinzip »billiger Preis, großer Umsatz« durchzuführen begann. Von da ab und dadurch war die Folge: »wer nicht hinaufstieg, musste hinabsteigen«.
III.
Ich kann jetzt nicht weiter auf Grundanschauungen Webers eingehen, auch nicht auf die mit seinen Untersuchungen verknüpften Interessen; dazu müsste auch seine Beeinflussung durch Nietzsche berücksichtigt werden. (10) Ich wende mich gleich der für unser Symposion wichtigen Frage zu, wieweit sich Webers Bild vom calvinistischen Prädestinations-Ethos historisch rechtfertigen lässt; denn Weber beansprucht, eine »rein historische Darstellung« gegeben zu haben, sogar (man höre und staune) »streng empirische Studien«. (11) Damit provoziert er zwangsläufig die Frage: Hält sein Unternehmen einer historischen Überprüfung stand? Die Antwort kann m.E. nur sein: Es lässt sich gar nicht überprüfen; denn man weiß nicht, woran man es messen soll. Ja, man weiß nicht einmal, was es besagt.
1. Ich bleibe zunächst bei letzterem: Man bekommt nicht heraus, was Weber sagen will. Geht man vom »Geist des Kapitalismus« aus, wie Weber ihn zu definieren beliebte, so besagt seine »These«, dass dieser »Geist« eine Frucht calvinistisch-puritanischer Frömmigkeit sei. Hier benutzt er Ausdrücke einer Kausalverbindung: Das Modernere (der »Geist des Kapitalismus«) lässt sich aus dem Älteren (aus der calvinistischen Berufsethik) »erklären«, hat darin seine »religiösen Wurzeln«, seine »ideelle Grundlage«, »entstammt« daraus, ist deren »Wirkung«, gehört zu deren »Folgen«. So Webers Ausdrücke. (12) In der Geburts-Metaphorik, die wohl durch Nietzsche nahegelegt war, kann es dann abschließend heißen: »Die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee (13) ist – das sollten diese Darlegungen erweisen – geboren aus dem Geist der christlichen Askese«. (14) »Geboren aus« (natus ex) – danach wäre die puritanische Ethik Mutter des »Geistes des Kapitalismus«. Das meinte Weber »erwiesen« zu haben, und der Leser scheint vor einem klaren Ergebnis zu stehen (– wenn er auch nicht erfährt, wer der Vater ist).
Andererseits wehrt sich Weber dagegen, dass dies sein Ergebnis sei, ja dass er solch direktes Abstammungsverhältnis auch nur im Auge gehabt habe. (15) Und das bekräftigt er dadurch, dass er sich an anderen Stellen ganz anders ausdrückt. So findet sich am Ende des ersten Aufsatzes die Formulierung, zwischen der puritanischen Frömmigkeit und dem »Geist des Kapitalismus« hätten »bestimmte Wahlverwandtschaften« bestanden, (16) wobei das Wort »Wahlverwandtschaften« in Anführungsstriche gesetzt ist. Man kann sich denken warum – nur: »Wahlverwandtschaft« setzt voraus, dass beide Seiten für sich existieren und dann erst – durch die Chemie der Gefühle – zueinander finden. (Ein ähnliches Verhältnis wird unterstellt, wenn es öfter heißt, eines sei dem anderen »adäquat« gewesen.) Das ist eine ganz andere Beziehung als die kausale, wobei der Plural »Wahlverwandtschaften« – aus Goethes Romantitel unverändert übernommen – in diesem Fall noch weiterer Verunklarung dient. In der Auseinandersetzung mit Felix Rachfahl hat Weber den Ausdruck wiederholt, aber nun ohne Anführungsstriche und im Singular. (l7) Nicht einmal darüber, ob der Plural oder der Singular zutreffend sei, hielt er Klarheit für notwendig.
Ein aufmerksamer Leser muss sich, wird er so durch die verschiedenen Metaphern gejagt, genarrt vorkommen. Genarrt kommt sich der Leser schon in der Einleitung vor (20), in der er hin- und hergeschaukelt wird zwischen der Frage nach der religiösen Eigenart als Grund für die Entwicklung des kapitalistischen Geschäftssinns und der umgekehrten Frage nach der ökonomischen Eigenart bestimmter Gebiete als Grund für deren religiös-kirchliche Option. Aus diesem Wechselbad zieht sich der Verfasser heraus mit der Erklärung, es ginge um die »innere Verwandtschaft« zwischen dem altprotestantischen Geist und der modernen kapitalistischen Kultur – wobei es dem Leser überlassen bleibt, was er sich unter »innerer Verwandtschaft« vorstellen will.
Am liebsten beruft er sich in den Anmerkungen auf Richard Baxter, den bekanntesten presbyterianischen Prediger der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Aber in Baxters Predigten spielt die Prädestinationslehre keine bedeutende Rolle, sie geben für die entscheidende Frage nach dem Umgang damit nichts her (das belegen auch alle von Weber selbst gebotenen Zitate - man sollte sie nur mal lesen). In der Auseinandersetzung mit Rachfahl bekräftigt Weber (21), dass Baxter für ihn das wichtigste Quellenmaterial dargestellt habe – neben Philipp Jakob Spener. Der jedoch war weder Calvinist noch Engländer. An einer Stelle versteigt sich Weber hinsichtlich der puritanischen Erbauungsliteratur zu der Behauptung, man müsse »diese ganze Literatur wirklich gründlich kennen, um sie richtig zu benutzen« – mit der Unterstellung, dass er das tue. (22) Und bei so »gründlicher Kenntnis« führt er nur einen solch winzigen Strang dieser »ganzen Literatur« an! Und dabei keinen Beleg für seine Sicht der puritanischen Prädestinationsbewährung! Das kann nur jemanden überzeugen, der von vornherein blind entschlossen ist, sich überzeugen zu lassen.
Dass die dogmatische Theologie den inneren Zusammenhang von Prädestinationsglaube, Angst um Gewissheit und systematischem Berufseifer nicht präsentiert (auch Calvin nicht), sagt Weber selber öfter. (23) Das verwehrt einem, ihm direkte Aussagen von oder über Calvin zuzuschreiben. Aber worauf stützt er sich statt dessen? Er verweist auf »das religiöse Tagebuch«, aus dem dieser innere Zusammenhang in existentieller Weise hervorleuchte, indem da »der reformierte Christ« sich selbst »den Puls fühlt« und »die sittliche Buchführung« als »alleiniges [!] Erkenntnismittel der von Ewigkeit her beschlossenen Erwählung oder Verwerfung« benutzt. (24) Fragt man, worum es sich bei diesen, der sittlichen Selbstkontrolle in Hinsicht auf die ewige Erwählung dienenden, Tagebüchern handele, so erfährt man nur, dass noch Benjamin Franklins – nicht mehr religiös orientierte (25) – Buchführung über Tugendfortschritte »ein klassisches Beispiel dafür sei« (also: Das nicht-religiöse Tagebuch aus dem 18. Jahrhundert als »klassisches« Beispiel für das religiöse Tagebuch des 17. Jahrhunderts!) und dass im deutschen Luthertum der Bewährungsgedanke nicht solche Wichtigkeit gehabt habe. Aber man erfährt nicht, was für religiöse Tagebücher denn nun gemeint sind: von wem sie geschrieben sind (nicht ein einziger Name fällt!), was für Berufe die Schreiber innehatten, wo die Bücher heute lagern und zu finden sind, was überhaupt drinsteht – nichts, rein gar nichts. Ich enthalte mich jeder Bewertung einer so gearteten »rein historischen Darstellung« und möchte nur sagen, dass jeder, der an dem von Weber behaupteten inneren Zusammenhang von Erwählungsglaube, Angst um Gewissheit und methodischem Berufseifer im Calvinismus irgendwie festhalten möchte, als erstes verpflichtet ist, wenigstens das eine oder andere solcher religiösen Tagebücher beizubringen und daraus das von Weber bloß Behauptete zu belegen. Dann – aber erst dann – wird man weitersehen können.
Weber selber scheint nicht damit gerechnet zu haben, dass sich historische Belege auftun lassen, erklärt er doch, dass er »die religiösen Gedanken« nur »in einer ‚idealtypisch’ kompilierten Konsequenz vorführe, wie sie in der historischen Realität nur selten anzutreffen war«. (26) Seine Begründung für die Konstruktion eines »Idealtypus« widerspricht jedem gesunden Menschenverstand: »Denn gerade wegen der Unmöglichkeit, in der historischen Wirklichkeit scharfe Grenzen zu ziehen, können wir nur bei Untersuchung ihrer konsequentesten Formen hoffen, auf ihre spezifischen Wirkungen zu stoßen.« Doch wenn die Wirkungen so breit und folgenreich waren, wie Weber sie annimmt: wenn das puritanische Prädestinations-Ethos nicht weniger als den englischen und dazu noch den amerikanischen »Volkscharakter« geprägt haben soll, dann müsste es »in der historischen Realität« doch wohl häufig und breit anzutreffen gewesen sein – oder diese breite Wirkung kommt eben von etwas anderem. Mit seiner »Idealtypus«-Lehre vertuscht Weber in einer historischen Untersuchung nur die völlig unzureichende Quellenlage. (27)
Es sieht so aus, dass Weber die Eigenart puritanischer Ethik gar nicht aus Quellen bezogen hat, sondern aus einer eigenen psychologischen Konstruktion, mit der er die Auswirkungen der Prädestinationslehre auf die Psyche der Gläubigen sich ausgedeutet hat. (28) Er sagt mehrfach, der Prädestinationsglaube musste die Gläubigen einsam machen und unsicher über ihren Gnadenstand. (29) Das hat er sich offensichtlich so vorgestellt. Und diese psychologische Deutung erschien vielen so plausibel, dass sie nach irgendwelchen Belegen gar nicht gefragt haben. Nun »weiß« eine psychologische Deutung ja auch immer mehr und anderes, als die Gedeuteten selber sagen ...
Sie ist in diesem Falle aber ein unwahrscheinliches Konstrukt. Die Erwählungslehre handelt zwar von der individuellen Erwählung der Einzelnen, dieser Glaube vollzieht sich aber in der Gemeinde, in der Teilhabe an der Gemeinschaft der Erwählten. Insofern ist er ein Kollektivglaube von großer integrativer Kraft. Das hat sich vor allem in den Verfolgungen der Gemeinden bewährt. – Und nur durch seinen Gemeinschaftscharakter war auch die Säkularisierung des Erwählungsglaubens möglich: die historische Verschiebung vom Glauben an die Erwähltheit der eigenen christlichen Gemeinde zum Glauben an die Erwähltheit des eigenen Volkes. Hier liegt die realitätshaltige Forschungsaufgabe hinsichtlich der Auswirkungen der Prädestinationslehre im Calvinismus – nicht nur in der Geschichte der Buren, sondern auch in der Englands. Hierzu wäre auch die Wichtigkeit des Alten Testaments im Calvinismus zu nennen, die Max Weber wohl bemerkt hat; aber inhaltlich hat er dabei den Gedanken der individuellen Erwählung nicht in den Gemeinschaftsgedanken einordnen können.
Das ist um so merkwürdiger, als es gerade der sog. frühen pietistischen Literatur, auf die er sich stützte, zentral um die Gemeinschaftsgebundenheit geht. Es lag damals schon das Buch von Heinrich Heppe vor: »Geschichte des Pietismus und der Mystik in der reformierten Kirche, namentlich der Niederlande« (1879 in Leiden erschienen), das zu Beginn »die Anfänge des Pietismus in England und Schottland« behandelt (also wovon Weber die ganze Literatur gründlich zu kennen vorgab). Daraus geht das starke Interesse der Erbauungsschriftsteller an einer aktiven Einbindung der Gemeindeglieder in den Gemeindegottesdienst hervor. Beim Privatleben geht es ihnen besonders um den häuslichen Gottesdienst, um regelmäßiges Bibellesen und Beten, außerdem um Kontemplation sowie um innergemeindliche Tugenden wie: Kranke besuchen, Arme speisen, Feindschaften auflösen.
Inzwischen haben wir noch die Darstellung von August Lang bekommen: »Puritanismus und Pietismus« (Neukirchen 1941, repr. Nachdruck Darmstadt 1972), die das von Heppe entrollte Bild bestätigt und reich ergänzt. Auch da kommt das Problem individueller Prädestinationszweifel nicht vor. Die Vereinzelung haben die frühpietistischen Erbauungsschriftsteller als Problem in anderem Sinne vor Augen: als Nachlässigkeit, die die Gefahr der Gleichgültigkeit und der Anpassung an die Ungläubigen in sich birgt. Demgegenüber und deshalb mahnen sie zur Gemeindebindung. Das Berufsleben wird nur nebenbei behandelt, es erscheint bei Lang – Heppe berichtet dazu nichts – nur in der traditionellen Warnung vor Wucher.
Schließlich: Auch Webers psychologische Deutung, dass der Prädestinationsgläubige in tiefe Zweifel und Unsicherheit fallen müsse, ist wenig überzeugend. Eher macht der Erwählungsglaube sichere und rechthaberische Leute. Weber musste denn auch feststellen, dass die Puritaner von ihren Seelsorgern vor Hochmut und selbstgefälliger sittlicher Bequemlichkeit gewarnt wurden. (30) Für die Trostbeschaffung durch methodischen Berufseifer dagegen hat er nichts an Textgrundlagen aufgeboten, obwohl er behauptet, dass davon in der Seelsorge und in Erbauungsbüchern andauernd die Rede gewesen sei.
Die Belegstellen, die Weber zitiert, reden durchweg recht allgemein von der Notwendigkeit eines frommen Lebens, das sich von Sünden freihält, das nicht auf anderer Leute Kosten lebt und zu Fleiß und zu Verzichten bereit ist. Dazu gehört die Ablehnung des Bettelns und die Verpflichtung zu eigener Arbeit und zur Fürsorge für die Hilfsbedürftigen. Die Beziehung zur Prädestinationsanfechtung und Prädestinationsbewährung auf der einen Seite und zum methodischen Berufseifer oder gar Geldanhäufen auf der anderen Seite findet sich nur in Webers eigenen Aufstellungen, aber so hartnäckig, dass der Leser unwillkürlich geneigt ist, sie in die historischen Belegstellen mit hineinzulesen. Ist man darauf einmal aufmerksam geworden, bricht das ganze Gebäude zusammen. Damit will ich nicht behaupten (schon weil ich »diese ganze Literatur« nicht »wirklich gründlich kenne«), dass Weber nicht auch Zutreffendes gesehen haben könnte – wenn es denn Belege dafür gibt. Nur: die müssten erst noch vorgelegt werden. (31)
IV.
Man fragt sich natürlich, weshalb eine so windige Angelegenheit wie die sog. Max-Weber-These (die gar keine klare These ist) so »einleuchtend« erscheint und sich so großer Popularität erfreut. Das kann nicht nur an der eben gekennzeichneten suggestiven Aufmachung liegen, das muss seine Gründe auch in der Problemstellung selber haben. Sie scheint eine verbreitete existentielle Frage anzusprechen und aufzunehmen. Es ist m.E. die Frage, wie der Kapitalismus so sehr unser aller »Schicksal« hat werden können, wie schon zu Webers Zeit offensichtlich war. Diese Frage ist wahrlich dringlich – noch dringlicher für die, die dem Kapitalismus gegenüber kritisch eingestellt sind oder an ihm leiden, als für die, die ihn bejahen oder sich mit ihm mehr oder weniger bewusst arrangieren. Und Max Webers genannte Aufsätze kamen aus einer – etwas resignierten – kapitalismuskritischen Stimmung und traten auf deren Wogen ihren Siegeszug an.
Gleichzeitig verhalten sie sich dem historischen Materialismus gegenüber abweisend und sprechen so diejenigen an, denen es um den »Geist« geht. Und auch das in spezieller und aktueller Fragestellung: bei der Suche nach den – unsicher gewordenen – gemeinsamen »Werten«. Diese Fragestellung lässt Soziologie immer wieder zur Religionssoziologie werden – in der Hoffnung, in der Religion die gemeinschaftsbildenden resp. gemeinschaftserhaltenden »Werte« samt der sie setzenden Institutionen zu finden – wenigstens im historischen Rückblick, wenn schon eine gegenwärtige bestimmte wertbestimmende Religion nicht auszumachen ist.
Das scheint mir das Klima zu sein, das für Entstehung und Erfolg der Weberschen Kapitalismus-Protestantismus-Aufsätze in Rechnung zu stellen ist. Außerdem wird zu berücksichtigen sein, dass die bisherigen geistesgeschichtlichen Erklärungsversuche zur Herausbildung der kapitalistischen Neuzeit ziemlich unbefriedigend waren. Als Beispiel zitiere ich Webers Freund Ernst Troeltsch, der in dem – auch von Weber genannten (32) – Artikel über Englische Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts (in der 3. Aufl. der RE, Bd. 13, 1903) zu dem hier interessierenden Thema hat verlauten lassen, dass man im Reformiertentum »einem politischen und wirtschaftlichen Utilitarismus« »huldigte«, der »unterstützt« wurde durch »die christlichen Forderungen der Mäßigkeit, Rechtlichkeit und Arbeitsamkeit, in denen sich das Evangelium als auch dem materiellen Gedeihen förderlich erweist. So werden die reformierten Länder Träger der Kapitalwirtschaft, des Handels, der Industrie und eines christlich temperierten Utilitarismus.« – »Wer in der Prädestination seines Zieles und des Jenseits so unbedingt sicher ist, der kann die natürlichen Kräfte um so freier auf den natürlichen Zweck, den Erwerb, wenden und braucht keine übermäßige Liebe zum irdischen Gut dabei zu fürchten.« (33) Neben solchen vagen Verlegenheitsauskünften nimmt sich Webers »These« von der Prädestinationsunsicherheit tiefgründig und scheinbar plausibel aus – selbst wenn sie keine »These« ist.
Der unübersehbaren Schwäche einer Beschränkung auf den »Geist« des Kapitalismus versucht man häufig dadurch zu entgehen, dass die Zinsfrage mit hereingenommen wird. In der Zinsfrage berührt sich Ideelles mit Praktischem, und man scheint der Frage der Kapitalbildung und damit dem Kapitalismus als wirtschaftlicher Realität nahezukommen. Weber hatte allerdings abgelehnt, den Protestantismus-Kapitalismus-Zusammenhang an der Zinsfrage zu verhandeln (34), es lässt sich ja auch nicht nachweisen, dass die calvinische oder spätere reformierte Einstellung zum Zins etwas Besonderes war, das wirtschaftlich innovatorisch hätte wirken können. (35) Vor allem aber ist zu bedenken, dass (a) das Zinsnehmen schon Kapital voraussetzt, das dann mit Zinsforderungen verliehen werden kann, und dass (b) neues Kapital hervorgebracht werden musste, um das geliehene mit Zins zurückgeben zu können. Das erste (a) impliziert eine historische Frage, die zeitlich hinter den angeblich wirtschaftlich innovatorischen Calvinismus zurückfragen lässt, das zweite (b) führt zur Frage nach der Art kapitalistischer Kapitalbildungsprozesse, die mit dem Verweis auf Zinssätze nicht beantwortet, ja nicht einmal in den Blick genommen ist. Dazu müsste man schon vom Mehrwert handeln. Die Fixierung auf die Zinsfrage ist auch noch eine Verstellung einer realitätshaltigen Beschäftigung mit der Entstehung des neuzeitlichen Kapitalismus.
V.
Doch das sei nur am Rande vermerkt. Zur Hauptsache, die uns auf diesem Symposion interessiert, kommen wir, wenn wir beachten, dass Max Weber sich bei seiner Bestimmung des puritanischen Erwählungs-Ethos neben der Psychologisiererei auf eigene Faust noch auf ernsthaftere Anhaltspunkte gestützt hat. Er hat sich (seiner eigenen Behauptung zuwider) zwar nicht in frömmigkeitsgeschichtlichen, wohl aber in theologiegeschichtlichen Lehrbüchern umgesehen, und in denen war es verbreitet, die Prädestinationslehre als Zentrallehre des Calvinismus zu präsentieren. Man denke an Alexander Schweizers Werk von 1854/56. (36) »Ganz besonders verpflichtet« jedoch sah sich Weber der »Vergleichenden Darstellung des lutherischen und reformierten Lehrbegriffs« von Matthias Schneckenburger (aus dem Nachlass ediert von E.Güder, Stuttgart 1855). (37)
Es ist dieses Buch, in dem man auf eine Bemerkung stößt über die »gerade auf dem Boden der reformierten Askese aufgekommene Sitte der Tagebücher« – einschließlich des (von Weber als unbelegtes Zitat benutzten) Ausdrucks »sich den Puls zu fühlen«. (38) Vor allem ist zu registrieren, dass es Schneckenburger war, der die Eigenart der reformierten Frömmigkeit (im Unterschied zur lutherischen) auf den einen Punk zusammengezogen hat: dass der Reformierte zur »Selbstgewissheit« seines Glaubens als Teilhabe an Gottes Erwählung nur durch die reale ethische Betätigung des Glaubens nach außen komme, während der Glaube der Lutheraner seine Gewissheit in sich selbst trage und aus dem Sakrament und dem Absolutionswort gespeist werde. (39) Bei Schneckenburger findet sich die Linie auch ausgezogen zum deutschen Pietismus, namentlich zu Spener, durch den die reformierte Ansicht in das Luthertum hineingekommen sei. (40) Was Weber bei Schneckenburger nicht fand, ist die Berufung auf Baxter, ist der Begriff »Bewährung« und die angebliche Konzentration der reformierten ethischen Betätigung auf die methodische Berufserfüllung. Darin muss man wohl das Eigene von Webers Konstruktion sehen - wobei es weitere Untersuchungen erfordert, wie er auf diese Kombination gekommen sein mag.
An Schneckenburger erinnert aber noch etwas anderes: dass er die Lehransicht von der Heilsvergewisserung durch Werke auf die psychische Mentalität der Träger dieser Ansicht bezieht. (41) Doch er geht genau andersherum vor als Weber: Der Theologe rekurriert zur Erklärung theologischer Glaubenssätze auf vorgegebene, sie bedingende Mentalitätsstrukturen, während Weber umgekehrt Mentalitätsausprägungen auf theologische Lehren zurückführt und mit von ihnen ausgelösten Bedrängnissen erklären will. Es ist fast lustig: Der Theologe meint seinen Stoff nur verstehen zu können mit Hilfe des Rückgriffs auf die Mentalität, und der Mentalitätsforscher den seinen nur mit Hilfe des Rückgriffs auf die Theologie. – Vielleicht sind deshalb manche Theologen so erfreut auf Weber angesprungen, (42) weil sie sich für ihr Gebiet nun nicht mehr anderswo nach Erklärungen und Verstehenshilfen umsehen müssen, sondern mit ihrem (inzwischen recht abständig gewordenen) Stoff plötzlich als letzter Erklärungs- und Verstehensbezug dastehen.
Man kann Schneckenburgers und Webers Bestimmung der calvinistischen Eigenart gebündelt sehen in dem, was man den »Syllogismus practicus« nennt. Schneckenburger beginnt denn auch damit. (43) Dabei geht es jetzt um die Sache, nicht um den Begriff. Gemeint ist, dass das christliche Gemeindeglied aus der Praxis seiner »Heiligung«, also der inneren Bewegtheit und des äußeren Eifers seiner eigenen christlichen Existenz, die Folgerung ziehen könne, dass es einen lebendigen christlichen Glauben hat und somit zu den Erwählten sich zählen darf. (44)
Auch wenn sich Schneckenburgers Ansicht nicht durchsetzen konnte, dass der »Syllogismus practicus« das charakteristische Merkmal der reformierten Lehre sei, so gilt er nach allgemeiner Annahme doch als eine Eigentümlichkeit gerade reformierter Theologie, die im Luthertum nicht vorkomme. Ich benutze die Überbetonung seiner Wichtigkeit durch Schneckenburger und Weber, um dem theologiegeschichtlich nachzugehen - und bitte dafür um Ihre Geduld.
VI.
Dabei muss sofort die übliche Meinung korrigiert werden, als sei diese Lehre eine calvinistische Eigentümlichkeit. Sie ist vielmehr durch Luther in die protestantische Theologie gekommen und hat sich auch in den lutherischen Bekenntnisschriften niedergeschlagen. Calvin hat sich hier nur an Luther gehalten – eher ihn abschwächend als verstärkend.
In der ersten Evangeliumspredigt in der Wartburgpostille von 1521 erklärt Luther, gute Werke, die man tut, seien »ein gewiss Zeichen des Glaubens. [...] Darum erkennt der Mensch aus seinen Früchten, was er für ein Baum ist, und an der Liebe und den Werken wird er gewiss, dass Christus in ihm ist. [...] Wenn ihr euch frisch übt in guten Werken, so werdet ihr gewiss und könnt nicht zweifeln, dass euch Gott berufen und erwählt hat.« (45) Das ist in Luthers präziser Ausdrucksweise, was als charakteristisch nicht-lutherisch gilt! Dabei ist diese Aussage gerade aus Luthers Mund sinnvoll; denn er stand unter dem Druck der traditionellen Frömmigkeit, der zufolge gute Werke dem, der sie tut, selber nützen, indem sie ihn bei Gott in irgendeiner Weise – das wurde differenziert – angenehm machen. Da Luther diese Auffassung abgelehnt hatte und seiner Erkenntnis nach der Mensch ohne Werke nur durch Gottes Gnade im Glauben an Christus selig wird, blieb eine offene Frage, was gute Werke denn nützen. Gewiss, sie sollen dem Nächsten nützen. Aber auch noch dem, der sie tut, selber? Daraufhin Luthers Antwort: Ja, und zwar indem sie Zeichen sind für den eigenen Glauben an Christus; sie machen dem Gläubigen seine Erwählung gewiss. »Gewissheit« ist der leitende Begriff, und die Frage nach der Erwählungsgewissheit war ja ein Grundproblem von Luthers Frömmigkeit im Kloster gewesen. Er kann sogar sagen, die Liebe »beweist und bewährt« (hier kommt der von Weber als typisch reformiert bezeichnete Bewährungsbegriff herein), dass im Glauben die Sünde getilgt ist. (46) Als entscheidende Bibelstelle wird von Luther 2.Petr 1,10 zitiert – in seiner Übersetzung: »Lieben Brüder, tut fleißig, dass ihr durch gute Werk euren Beruf und eure Erwählung gewiss machet«. (47)
Den Gedanken hatte Luther vorgefunden (48), er hat ihn aber mit Hilfe des Zeichenbegriffs seiner Rechtfertigungslehre zu- und unterordnen können. So gefasst lässt er sich auch einsetzen zur Auslegung von Bibelstellen, die der evangelischen Grundeinsicht zu widersprechen scheinen. Die wichtigste und bekannteste Bibelstelle dieser Art ist die 5. Bitte des Vaterunsers: »Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unsern Schuldigern« (Mat 6,12; Luk 11,4). Wie hängen die beiden Satzteile zusammen? Ist der Zusammenhang so gemeint, dass Gottes Vergebung davon abhängt, dass wir unseren Schuldigern vergeben, so dass dann letztlich doch unser gutes Werk Gottes Vergebung bewirkt? Nein, antwortet Luther, Gott vergibt frei umsonst aus lauter Gnade, seiner Verheißung entsprechend, aber: Dass auch wir unseren Schuldigern vergeben, dient dazu, dass wir neben der Verheißung auch ein Zeichen haben, aus dem wir die Gewissheit gewinnen, dass wir in Gottes Gnade stehen und von Gottes Vergebung erreicht sind. So steht es in Luthers großem Katechismus (1529) in der Auslegung dieser Bitte. (49)
Diese Argumentationsfigur war dadurch gut verstehbar, dass sie mit dem Begriffspaar Verheißung (promissio) – Zeichen (signum) an den Sprachgebrauch der Sakramentslehre anknüpfte. Luther hat das im Großen Katechismus auch expressis verbis deutlich gemacht: »Denn wieviel die Taufe und Sakrament [= Abendmahl], äußerlich zum Zeichen gestellt, schaffen, soviel vermag auch dies Zeichen: unser Gewissen zu stärken und fröhlich zu machen.«
Auf dem Augsburger Reichstag (1530) konnte Melanchthon diese Argumentation Luthers zur Verteidigung der evangelischen Sache übernehmen. Die römisch-katholischen Einwände gegen die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung und Sündentilgung allein aus dem Glauben hatten auch die 5. Bitte des Vaterunsers angeführt: An ihr sähe man, dass menschliche gute Taten (hier: unser Vergeben) Voraussetzung bzw. Bedingung für Gottes Vergeben seien. Zur Entkräftung dieses Einwandes arbeitete auch Melanchthon in der Apologie mit der Kennzeichnung der guten Werke als Zeichen (signa) zur Stärkung der Glaubensgewissheit nach Analogie der Rolle der Elemente (Wasser und Brot und Wein) bei Taufe und Abendmahl. Diese äußerliche Zeichen helfen den erschrockenen Gewissen, kräftiger an die Vergebung zu glauben. (50) Der Komparativ »kräftiger“ (firmius) dient der Vorsicht bei Benutzung dieses Gedankens: Er will festhalten, dass die Grundgewissheit allein im Glauben an Gottes Verheißung ruht; die eigenen guten Werke können sie nicht hervorbringen, sondern nur stärken und lebendig erhalten.
Calvin nun hat sich streng an diese Texte aus der lutherischen Reformation angeschlossen, sowohl in der Terminologie als auch in den inhaltlichen Zusammenhängen. An genau den beiden von Luther vorgegebenen Sachproblemen – bei der grundsätzlichen Frage: Was nutzen gute Werke dem, der sie tut?, und bei der Auslegung der 5. Vaterunserbitte – erscheint der Syllogismus practicus in Calvins Institutio. Nur an diesen beiden Stellen, nicht innerhalb der Erwählungslehre! Es handelt sich um Inst III, 14,18-20 (zur Frage nach dem Eigennutzen der guten Werke, verfasst zur 2. Aufl. 1539 in Straßburg, mit Ergänzungen von 1543 und 1559), und um Inst III,20,45 am Ende (zur 5. Vaterunserbitte, stammt schon aus der 1. Aufl. von 1536 und ist so beibehalten worden). Luthers deutsche Texte waren für Calvin dadurch zugänglich gewesen, dass sie sofort nach Erscheinen ins Lateinische übersetzt worden sind und so ihren Einfluss auf die außerdeutsche Reformationsgeschichte ausüben konnten. Die Wartburgpostille war 1525 von Martin Bucer übersetzt, dem Straßburger Reformator und späteren Freund Calvins während dessen Straßburger Zeit. Bucer hatte »Zeichen« – vielleicht aus Abneigung gegen die Sakramentstheologie? – mit »testimonia« übersetzt. (51) Auch Calvin spricht an der sachlich entsprechenden Stelle Inst III,14,18-20 von »testimonia« (im Wechsel mit »signa«), während in der älteren Stelle zur 5. Vaterunserbitte Inst III,20,45 nur »signum« steht. Das verweist auf die damals gängige Übersetzung von Luthers Großem Katechismus, die »Zeichen« nur mit »signum« wiedergegeben hatte. (52)
Erwähnenswert ist, dass Calvin dabei nur einmal und eher nebenbei das Wort »Erwählung« (electio) benutzt, (53) ansonsten sagt er in mancherlei Ausdrücken, dass unsere guten Werke Zeichen unseres Glaubens an Christus seien bzw. der Gegenwart Gottes in uns. Das läuft der Sache nach auf dasselbe hinaus, es ist aber eine besondere Akzentsetzung, die damit zusammenhängen wird, dass Calvin innerhalb der Erwählungslehre im Abschnitt zur Gewissheitsfrage (Inst III,24) einen Hinweis auf den Gedanken des Syllogismus practicus vermeidet. Auch die von Luther zitierte Bibelstelle 2. Petr 1,10 wird von Calvin ansonsten nicht herangezogen.
In seinem Kommentar zu dieser Stelle im Rahmen der Auslegung der sog. Katholischen Briefe (1551) erfahren wir den Grund: (54) Calvin meint, in 2. Petr 1,10 stecke die Schwierigkeit (quaestio), dass man sie auch so verstehen könne, als ob sich der Bestand (stabilitas) unserer Berufung und Erwählung auf unsere guten Werke stütze und damit dann doch von uns abhänge. Mit solcher Auffassung aber würde dem sonstigen Bibelzeugnis von Gottes freier Gnadenwahl widersprochen. Calvin stellt Klarheit her mit Hilfe von Luthers Deutung der guten Werke als Zeichen zur Vergewisserung unserer Erwählung – mit dem ausdrücklichen Zusatz: »doch so, dass die Gläubigen ihr festes Fundament anderswo haben«, gemeint ist: nicht an ihren Werken, sondern am Heilswerk Christi im Glauben daran. Weil 2. Petr 1,10 hierzu nicht präzise genug differenziert und den klärenden Zeichenbegriff nicht verwendet, hatte Calvin Hemmungen, diese Stelle unbefangen zu zitieren.
Am Rande sei erwähnt: Es bestand eine Differenz zwischen Karl Barth und Wilhelm Niesel darüber, ob der Syllogismus practicus bei Calvin vorkommt oder nicht. Ich meine, dass beide Recht hatten: Barth darin, dass die Sache des Syllogismus practicus in der Tat von Calvin vertreten wird, Niesel darin, dass dies nicht innerhalb der Prädestinationslehre geschieht. Die Abhängigkeit von Luther hatten beide nicht gesehen, ebenso wenig die Bedeutung und zugleich Problematik von 2. Petr 1,10.
Aus Katechismen der Reformationszeit ist zu berichten, dass unter der ersten von Luthers Fragestellungen (Was nützen gute Werke dem, der sie tut?) der Gedanke des Syllogismus practicus vom späteren, kürzeren Katechismus des Leo Jud (Zürich 1541) und vom Heidelberger Katechismus (1563) gelehrt wird. Beide Male als Nebengedanke zur Begründung der Notwendigkeit guter Werke unter dem Gesichtspunkt des Gewiss-Werdens und mit Berufung auf 2. Petr 1,10. (55) Beide Male allerdings unter Auslassung des für Luther und Calvin entscheidenden und klärenden Zeichenbegriffs! (56) In den beiden von Calvin für Genf verfassten Katechismen (1537 und 1542) wird – wie in Luthers Großem Katechismus – der Syllogismus practicus bei der Unservaterauslegung gelehrt, und nur da. Der Begriff des Zeichens ist dabei in mannigfachen Ausdrücken konstitutiv. (57)
VII.
Hundert Jahre später entstehen die Dokumente der Westminster-Synode. Da Max Weber die Westminster-Confession bemüht, sei darauf noch eingegangen. In den beiden Westminster-Katechismen wird bei der Erklärung der 5. Bitte des Herrengebetes ebenso wenig wie im Heidelberger Katechismus vom Syllogismus practicus Gebrauch gemacht. Es ist merkwürdig, dass Luthers Erklärung dieser Stelle so wenig Eindruck gemacht zu haben scheint – außer auf Calvin! Zur Frage, was gute Werke dem nutzen, der sie tut, wird in der Westminster-Confession (nicht in den Westminster-Katechismen) genau wie im Heidelberger Katechismus bei der Begründung der Forderung nach guten Werken auf den Syllogismus practicus als Nebenargument zurückgegriffen, (58) wieder unter Verweis auf 2. Petr 1,10 und wieder unter Ignorierung des Zeichenbegriffs. Darüber hinaus kommt der Syllogismus practicus in der Confession auch im Kapitel über das ewige Dekret Gottes vor – eine Neuerung gegenüber Calvin. Doch Max Weber hat diese Stelle nicht für sich angeführt - sie passt auch schlecht zu seiner These von der Prädestinationsverzweiflung und deren Bekämpfung mittels methodischen Berufseifers und Geldscheffelns. Der Zusammenhang nämlich ist die Mahnung, das hohe Geheimnis der Prädestination mit äußerster Umsicht und Vorsicht zu behandeln, und das heißt: in strenger Bindung an das offenbarte Wort Gottes und im schuldigen Gehorsam gegenüber Gottes Wort, durch den man der Berufung gewisser werde – wieder mit Verweis auf 2. Petr 1,10. (59) Dahinter scheinen mir die Dordrechter Beschlüsse von 1618/19 zu stehen, die im Kap. 1,12 von »unfehlbaren Früchten der Erwählung« sprechen, »als da sind: wahrer Glaube an Christus, kindliche Furcht Gottes, gottgemäßer Schmerz über die Sünden, Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit.« (60)
Schließlich ist noch Kap. 18 der Westminster-Confession zu nennen mit der Überschrift: »Von der Gewissheit der Gnade und des Heils«. (61) Gewissheit/certitudo/assurance – das ist das Stichwort, um das es geht. Und mit dem Ausdruck »Bewährung« meinte Weber vermutlich ein solches Verhalten, das zur Gewissheit über das eigene Erwähltsein führt. Das Ausgangsproblem für die Westminster-Confession ist aber auch hier nicht die Unsicherheit der vereinzelten Gläubigen über ihr Erwähltsein, vielmehr ist es in diesem Fall das praktische Kirchen-Problem: dass der christlichen Gemeinde auch Heuchler angehören, die sich fälschlich anmaßen, dazuzugehören und in der Gnade Gottes zu stehen. Demgegenüber charakterisiert Abschn. 1 die Nicht-Heuchler so: »Die aber wahrhaft an den Herrn Jesus glauben und ihn aufrichtig lieben, indem sie bestrebt sind, vor ihm in jedem guten Gewissen zu wandeln, die können in diesem Leben gewiss werden, dass sie sich im Stande der Gnade befinden, so dass sie auch fröhlich sein können in der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes, welche Hoffnung sie nie beschämen wird.« (62)
Deutlicher wird dieser Text durch die beigegebenen Verweise auf Bibelstellen, vor allem aus dem 1. Johannesbrief (2,3-6; 3,13-24), worin es heißt: »Daran merken wir, dass wir ihn [Jesus Christus] kennen, wenn wir seine Gebote halten. Wer da sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in solchem ist die Wahrheit nicht« (2,3f), oder: »Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer nicht liebt, der bleibt im Tode« (3,14). An der Liebe zu den Mitchristen als der Erfüllung der Gebote zeigt sich die Jesusliebe, und daran unterscheidet sich der aufrichtig Glaubende vom Heuchler. Insofern hilft das ethische Verhalten zur Gewinnung von Unterscheidungs-Gewissheit. (Diese Stellen aus dem 1. Johannesbrief bekamen ähnlichen Rang wie 2. Petr 1,10.) Es sei aber unterstrichen, dass es um die »Liebe zum Bruder« geht – der Gedanke an den »Beruf« oder gar den »Beruf an sich« ist auch hier durch nichts nahegelegt.
Außerdem muss man beachten, dass der nächste Abschnitt die Gewissheit aus dem »Streben nach einem Leben in gutem Gewissen« ausdrücklich der Gewissheit aus dem Glauben an die Verheißung Gottes unterordnet: Die Heilsgewissheit ruht nicht auf den eigenen Bestrebungen oder Taten, sondern auf der Gnadenverheißung Gottes, die die unumstößliche Wahrheit ist. Auch die aktive Existenz in dieser Gnade ist erzeugt und gespeist aus dem göttlichen Wort der Wahrheit und dem Glauben daran. Und auch die Gewissheit aus der Bruderliebe ist Glaubenserkenntnis aus dem heiligen Geist. (63) Dementsprechend bezeichnet die Confession im 3. Abschnitt als »Früchte der Gewissheit«, was man nach dem 1. Abschnitt als Mittel zur Gewissheit ansehen könnte: dass »das Herz weit wird in Friede und Freude im heiligen Geist, in Liebe und Dankbarkeit zu Gott und in Strenge und freudigem Eifer in Gehorsamstaten«. Als wichtigste Bibelstelle wird jetzt wieder 2. Petr 1,10 genannt, welche Stelle auch in den Wortlaut der Confession eingeht: »Daher ist jeder gehalten, allen Fleiß darauf zu richten, dass er sich seine Berufung und Erwählung gewiss mache« (quo vocationem suam sibi et electionem certam faciat / to make his Calling and Election sure).
»Berufung« (vocatio/calling) meint hier nicht den bürgerlichen Beruf, sondern die Berufung zum glaubenden Kind Gottes, zum Mitglied der Schar der Erwählten. Der entscheidende Gesichtspunkt ist dabei der des Gehorsams gegenüber Gott, und für den gilt als Maßstab – wie wir sahen – das Gesetz der Nächstenliebe, vor allem gegenüber den Mitgliedern der eigenen Gemeinde. Und schließlich: Die Gewissheit gibt der heilige Geist durch die Verheißung Gottes – man darf vielleicht sagen: im Prozess der praktizierten Nächstenliebe. Den Prozesscharakter der Gewissheitsfindung betont die Confession zu Beginn des 3. Abschnitts ausdrücklich, indem sie erklärt, dass die Substanz (Essenz) des christlichen Glaubens nicht vom Grad der Gewissheit abhänge.
Sicher: Die Verlautbarungen der Westminster-Synode waren nicht die Messlatte, an der entlang sich das Frömmigkeitsbewusstsein und das Ethos der evangelischen Gemeinden in England und Nordamerika entwickelt haben. Nur: Falls sie sich wirklich im Sinne von Webers Darstellung entwickelt haben sollten, müsste dafür eben anderes aufgeboten werden als Theologie, müssten die Weichenstellungen gezeigt und die Verbreitung des von Weber Behaupteten nachgewiesen werden können. Und das suche ich bei Weber vergebens. Mehr kann ich nicht sagen.
Was schließlich Schneckenburgers Darstellung betrifft, so hat schon Alexander Schweizer die Richtung gewiesen (wenn auch etwas kompliziert), in der man sich das Zustandekommen dieser schiefen Sicht wird erklären können. Schweizer schreibt: »Schneckenburgers Ausgangspunkt zur Charakterisierung der reformierten Besonderheit, ‚dass dem Reformierten der Glaube noch nicht die volle Zuversicht des Seligwerdens einflösse, und darum sofort auf die Zeichen des ächten Glaubens, die Werke usw. gesehen werden müsse,’ mag einem mehr lutherisch bewaffneten Auge einleuchten«. (64) Und was das Lutherische ausmacht, von dem Schneckenburgers Blick bestimmt war, das hat Schweizer am Ende des 1. Bandes dargestellt: »Die lutherische Richtung weist alle Heilszuversicht an die ächten kirchlichen Gnadenmittel und allgemein evangelische Verheißung, welchen gegenüber der Mensch schlechthin nur abhängig bleiben kann.« (65) Das habe zu einer anderen Interpretation der Prädestination geführt als im Reformiertentum, vor allem aber werde von da aus unter lutherischer Prägung die reformierte Heilszuversicht, die an den »über aller Wirksamkeit der Gnadenmittel« stehenden »Rathschluss der gnädigen Erwählung« gewiesen ist, als Stochern im Nebel angesehen, das keine wirkliche Zuversicht geben könne, weshalb dieselbe in den eigenen Werken gesucht werden müsse. Die lutherische Theologie orientiert sich »an der in Wort und Sakrament objektiv immer und für jeden sicher vorhandenen Heilskraft« (66), und von da aus kann sie die reformierte, »sofern sie auf Gott abstellt, der die Heilsanstalt mit ihren Gnadenmitteln wirksam macht wo er will«, nicht sachgerecht würdigen, kann sie in ihr keine Objektivität als Haltpunkt finden und muss diesen bei den Reformierten dann anderswo vermuten, etwa eben in den eigenen Werken der Glaubenden.
Weshalb in der reformierten Lehrtradition von der Prädestination die Sache des Syllogismus practicus eine – wenn auch begrenzte – Bedeutung hat bekommen können, erklärt Schweizer mit der Abwehr von Missbräuchen der Botschaft von der Gnadenwahl durch bequeme und unethische Selbstzufriedenheit; dem habe man »durch sorgfältige Hinweisung auf die Werke, in denen die Erwählung sich betätige«, steuern wollen. (67)
VIII.
Abschließend – und von der Westminister-Confession aus auch inhaltlich sinnvoll (wie sich gleich zeigen wird) – möchte ich den Bogen zurück zu Calvins Prädestinationslehre schlagen, nun unter Beachtung der Barthschen Calvin-Vorlesung von 1922. Barth nimmt ernst, dass Calvins Prädestinationslehre in der ersten Institutio Teil der Lehre von der Kirche ist. Der erste Katechismus Calvins verselbständigte dann zwar die Prädestinationslehre zu einem eigenen Abschnitt, beließ sie aber weiterhin als Teil der Kirchenfrage, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Verschiedenheit der Menschen: Einige Menschen nehmen den Samen des göttlichen Wortes auf, andere nicht. (68) Hinzuzufügen bleibt, dass das Prädestinationskapitel der zweiten, der Straßburger Institutio (1539) diesen Ansatz aus dem ersten Katechismus übernimmt - und ihn so bis in die Letztfassung festhält (Inst III,21,1), obwohl der Abschnitt über die Prädestination 1559 erheblich überarbeitet und erweitert worden ist. Das bestätigt Barths Sicht, dass die Prädestinationslehre bei Calvin wesentlich mit dem Thema der sichtbaren Kirche und ihrer Probleme verknüpft ist.
Bei dieser von Barth treffend charakterisierten Grundintention, die so nicht von Luther stammt, könnte das, was man den Syllogismus practicus nennt, ein Teilbereich sein, und zwar ein eigentlich selbstverständlicher Teilbereich einer Prädestinationslehre, die ab ovo die sichtbare und die verborgene Kirche miteinander verknüpft. Calvin hätte also m.E. auch in der Erwählungslehre den Syllogismus practicus lehren können – wenn er nicht zu sehr befürchtet hätte, dass dadurch das Vertrauen der Gläubigen von der Verheißung Gottes abgezogen und auf das eigene Tun gelenkt werde. Wie stark bei ihm diese Sorge war, sieht man daran. dass er auch die Stellen aus 1. Joh 2 und 3, die den Syllogismus practicus stützen, nicht in diesem Sinne heranzuziehen vermochte. Im Kommentar stellt er sowohl zu 1. Joh 2,3 als auch zu 3,14 nachdrücklich klar. dass ein entscheidender Unterschied bestehe zwischen der Ursache des Heils im Erbarmen Gottes und den Früchten, die als hinzukommende Zeichen den Glauben an Gottes Erbarmen unterstützen können. Im Schluss der Auslegung von 1. Joh 2,3 heißt es: »Denn obwohl ein jeder an den Werken ein Zeugnis (testimonium) seines Glaubens hat, folgt daraus doch nicht, dass der Glaube darauf gründet, vielmehr kommt hernach dieser Beweis (probatio) als ein Zeichen (signum) hinzu. (70) Die Gewissheit des Glaubens ruht deshalb allein auf der Gnade Christi, doch Frömmigkeit und Heiligkeit des Lebens unterscheiden den wahren Glauben von eingebildeter und toter Gotteserkenntnis.« (71) Hier stehen wir an einem springenden Punkt der Erwählungslehre. Diese redet vom gnadenhaften Erbarmen Gottes, das im Glauben an Christus angenommen wird. Dementsprechend kann sie nur im Glauben an die Gnade Christi sinnvoll zur Sprache gebracht werden. Dieser Glaube ist aber nur dann nicht fiktiv oder tot, wenn er eine heilige Lebensführung mit sich bringt. Insofern ist die Prädestinationslehre als menschliche Theologie untrennbar mit der praxis pietatis (wenn ich so sagen darf) verknüpft. Barth konnte sagen: mit der Kirchenzucht.
Aber wir müssen noch einen Schritt weiter gehen: Das ist nicht nur um des Ineinanders von Glauben und Lebensführung willen so, sondern noch stärker deshalb, weil Calvin die Heiligung als Ziel und Zweck der Erwählung ansah. (72) Ich zitiere aus Calvins Auslegung von 2. Petr 1,10: »Die Hauptsache ist, dass sich die Kinder Gottes durch dies Zeichen von den Verworfenen unterscheiden, indem sie fromm und heilig leben; denn dies ist der Zweck der göttlichen Erwählung (divinae electionis scopus).« (73) Ich finde deshalb die von Herrn Klappert vorgelegte Bestimmung zutreffend: »Die Erwählung der Gemeinde zur Heiligung«. Und die Heiligung, die Askese und Opfer fordert, bedarf der Verankerung in Gottes Wahl, die das einzige ist, das über das Erleben und Erfahren hinausgeht und beständig und unanfechtbar gültig ist. Nur von daher können Menschen ihr Leben der Heiligung weihen.
Dass damit zwei Gruppen von Menschen im Blick sind: die, die sich zur Heiligung rufen lassen, und die, die sich diesem Ruf mehr oder weniger verweigern (in direkter Ablehnung oder als Heuchler), ist unausweichlich. Jedenfalls war es unausweichlich in der Zeit der Leiden und Kämpfe der Gegenreformation, aber auch im Kirchenkampf zu Barths Zeit. Und doch meldete Barth hartnäckig Bedenken dagegen an. In der Vorlesung von 1922 lauten sie so: »Ob Calvin recht hat, wenn er Glauben und Unglauben auf zwei getrennte Menschengruppen verteilt, das ist eine andere Frage. Ich meinerseits verneine sie. Konsequent in der Linie würde es m.E. liegen, laut und kräftig von Gottes freiem Erwählen und Verwerfen zu reden, von den Erwählten und Verworfenen aber kräftig und bedeutsam zu schweigen. Doch es würde zu weit führen, hier darauf einzutreten.« (74)
Was 1922 zu weit geführt hätte, wurde von Barth, wenn ich recht sehe, erst etwa 35 Jahre später in KD IV/3 unter der Überschrift »Die Verheißung des Geistes« konstruktiv durchgearbeitet. Fast abrupt führt er dort am Ende von § 69,4 die beiden Arten von Menschen ein, deren Verschiedenheit Calvin so beschäftigt hat und um die dessen prädestinatianisches Denken kreiste. Die drohende und von Barth abgelehnte Petrifizierung, also die Festlegung von Menschen auf das Erwähltsein oder Verworfensein auf Grund ihrer Erscheinung und der Erfahrung – diese drohende Petrifizierung der doppelten Prädestination verflüssigt und vermeidet Barth, indem er auf die Verheißung des Geistes pocht: Diese Verheißung macht uns offen dafür, dass der Geist Neues schaffen und auch unsere – immer unsicheren – Erfahrungen von Verwerfung gründlich überholen und zu etwas ganz Neuem bringen wird. Das sagt Barth unter dem Leitgedanken der Prophetie Jesu Christi. Wegen der von ihm gelehrten Universalität des Versöhnungswerkes Christi kann, ja muss er die Verheißung des Geistes in dieser Weise als überschwänglich annehmen und die Festlegungen der calvinischen Prädestinationslehre verflüssigen. (Das ist auch ein Beitrag zur Lehre vom Heiligen Geist bei Calvin und Barth, bei dem Barth die größere Offenheit und Weite zeigt – von der Christologie her!)
Inhaltlich wird man registrieren müssen, dass Barth hiermit Abschied nimmt von der langen Tradition des von Nietzsche verhöhnten und gegeißelten christlichen Bedürfnisses nach Rache, nach ewiger Rache an den Heuchlern und an den Feinden der Kirche.
Ich muss es bei diesem Hinweis jetzt belassen. Der Hinweis jedoch war mir wichtig, weil ich der Meinung bin, dass Barths Antwort auf Calvins Prädestinationslehre und ihre Probleme sich nicht in KD II/2 (seiner Lehre von Gottes Gnadenwahl) erschöpft, sondern noch weiterführend auch im weiteren Werk zu finden ist.
Vom Autor Dieter Schellong für die online-Veröffentlichung auf www.reformiert-info.de überarbeitete Fassung seines Beitrags in: Karl Barth und Johannes Calvin. Karl Barths Göttinger Calvin-Vorlesung von 1922, hrsg. von Hans Scholl, Neukirchen-Vluyn 1995, 74–101.
Weitere Aufsätze von Dieter Schellong zum Thema:
1.) Wie steht es um die "These" vom Zusammenhang von Protestantismus und "Geist des Kapitalismus"?, Paderborner Universitätsreden, hg. v. P. Frese, H.47, 1995 (der ausführlichste Text Dieter Schellongs zum Thema), und:
2.) Der "Geist" des Kapitalismus und der Protestantismus. Eine Max-Weber-Kritik, in: R. Faber u. G. Palmer (Hg.), Der Protestantismus - Ideologie, Konfession oder Kultur?, Würzburg 2003, S.231-253.
Anmerkungen
1 In: J.THIELE (Hrsg.): Berlin `89. Impulse für den Kirchentag, Stuttgart 1989, 56f.
2 Erschienen in Tübingen [im folgenden abgekürzt mit Weber I]. Ich benutze die 9. Aufl. 1988, die Seitenzahlen sind in allen Auflagen gleich.
3 Im »Resultat« der 1915-19 erschienenen »Wirtschaftsethik der Weltreligionen«, das einen Vergleich zwischen »Konfuzianisinus und Puritanismus« wagt, Weber I 530 und 532, gelesen auf dem Hintergrund von 526.
4 Vgl. zB. WEBER I 117 Anm.2. 159. 163. 535.
5 E.F.K.MÜLLER (Hrsg.): Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, Leipzig 1903, 574. Übersetzung (wo nicht anders angegeben) von mir.
6 Vgl. meinen Art. »Ethik B. Aus evangelischer Sicht«, in: P.EICHLER (Hrsg.): Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe, erweiterte Neuausgabe Bd. 1, München 1991, 408ff.
7 Vgl. M.LUTHER: Welche Personen verboten sind zu ehelichen. Vom ehelichen Leben, Das dritte Teil, WA 10.II 292ff.
8 WEBER I 42 Anm.1.
9 WEBER I 51ff.
10 Darauf bin ich an anderer Stelle eingegangen: s.o. unter 1.).
11 WEBER I 204f und 14.
12 Vgl. WEBER I 15. 21ff. 34 Anm.1. 53. 82. 193 Anm.2 (von 192). 200 Anm.3. 234. 197. 199. 202f. 188. 86. 128. 89. 119 Anm.1. 160-162. 218. 183. 190.
13 Gemeint sein dürfte entweder »auf der Grundlage« oder »auf Grund« der Berufsidee.
14 WEBER I 202.
15 Vgl. WEBER I 49. 83. 192 Anm.l; 205f. Häufig in WEBER II (s. Anm.17).
16 WEBER I 83. Vgl. auch 145.
17 Abgedruckt in: M.WEBER: Die protestantische Ethik II. Kritiken und Antikritiken, hrsg. von J.WINCKELMANN, München und Hamburg 1968 [im folgenden abgekürzt mit WEBER II], 305. 322.
18 WEBER I 235.
19 WEBER I 195.
20 WEBER I 17-30.
21 WEBER II 317.
22 WEBER I 165 Anm.3.
23 Wobei er mit sonderbaren Alternativen arbeiten kann, wie: »Nicht die ethische Lehre einer Religion, sondern dasjenige ethische Verhalten, auf welches durch die Art und Bedingtheit ihrer Heilsgüter Prämien gesetzt sind, ist im soziologischen Sinn des Wortes ‚ihr’ spezifisches 'Ethos'« (WEBER I 234f, Hervorhebung von Weber). Als ob die religiösen »Prämien« samt der Bestimmung, auf welches »ethische Verhalten« sie bezogen sind, anders denn durch »Lehre« »gesetzt« würden!
24 WEBER I 123. Der Ausdruck »sich den Puls fühlen« wird von Weber ohne weitere Angabe in Anführungsstriche gesetzt. Darauf komme ich im übernächsten Abschnitt zurück.
25 WEBER I 203.
26 WEBER I 87.
27 Auch WEBER I 51 Anm.l und 113 Anm.l wird das im Text Behauptete durch die Erklärung, es handele sich nur um »Idealtypen«, faktisch als nicht belegbar zugestanden. Auch gegen Rachfahl meinte Weber, mit dem Verweis auf die »idealtypische« Begriffsbildung den historischen Rückfragen entkommen zu können (WEBER II 304).
28 Man achte einmal bei der Weber-Lektüre darauf, wie oft sich Weber »psychologisch« über die Träger irgendwelcher Auffassungen äußern zu können meint. Und wie erbost er reagiert, wenn seine Kritiker dasselbe tun (zB. WEBER II 31f)!
29 WEBER I 93. 103f.
30 WEBER I 143 Anm.2.
31 Auch da, wo Weber genauere Belege anzugeben scheint, müssten noch Nachprüfungen erfolgen. So ist eine für seine ganze Kombination wesentliche sprachgeschichtliche Behauptung zu »calling« (WEBER I 68f Anm.l von 65) inzwischen als haltlos nachgewiesen: Tatsuro HANYU: Max Webers Quellenbehandlung in der »Protestantischen Ethik«. Der Begriff »Calling«, ZfS 22 (1993) 65-75. – TROELTSCHS Verteidigung Webers gegen RACHFAHL (vgl. WEBER II 188-215) ist ein reiner Freundschaftsdienst: Zur historischen und sprachlichen Sache sagt Troeltsch nichts, statt dessen erklärt er Weber zum nationalökonomischen Fachmann (obwohl in den zur Debatte stehenden Aufsätzen nichts Nationalökonomisches vorkommt) und verzerrt RACHFAHLS Einwände, um sie so von Weber fernhalten zu helfen.
32 WEBER I 88 Anm.1.
33 Zitiert nach dem Wiederabdruck in: E.TROELTSCH: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, hrsg. von H.BARON, Tübingen 1925, 393.
34 WEBER I 56 Anm.l.
35 Verwiesen sei auf den bisher in seiner Wichtigkeit kaum erkannten Aufsatz von Max GEIGER: Calvin, Calvinismus, Kapitalismus, in: M.GEIGER (Hrsg.): Gottesreich und Menschenreich. Ernst STAEHELIN zum 80. Geburtstag, Basel und Stuttgart 1969, 231-286.
36 A.SCHWEIZER: Die Centraldogmen der reformierten Kirche, 2 Bde., Zürich 1854 und 1856.
37 WEBER verweist darauf I 75 Anm.2; 88 Anm.l und 105 Anm.l. Auf 147f nennt er noch einen Ergänzungsband dazu. SCHNECKENBURGER wird in TROELTSCHS o.g. RE-Artikel erwähnt, doch ohne dass er inhaltlich ausgewertet würde. Diese Vorsicht von Troeltsch halte ich für richtig.
38 SCHNECKENBURGER aa0 48. Zu Weber siehe Anm. 24. Schneckenburger verweist für die Tagebücher auf Haller und Lavater, womit er ins 18. Jahrhundert und in die Schweiz geht. Das konnte Weber nicht gebrauchen, andere reformierte Tagebuchschreiber konnte er aber offensichtlich nicht nennen.
39 SCHNECKENBURGER aa0 38ff. Der Ausdruck »Selbstgewissheit« auch bei Weber (zB. I 105).
40 SCHNECKENBURGER aa0 69. Daher wird Weber das Recht abgeleitet haben, sich auch auf Spener zu berufen, obwohl er ungeklärt ließ, ob Spener stärker angeblich reformierte Auffassung teilt (so 1910 gegenüber Rachfahl) oder stärker von ihr abweicht (so in den Fußnoten von 1904/05).
41 Vgl. die prinzipielle Erklärung, 16: »Hienach ist unsere Aufgabe die, eine in’s Einzelne gehende Nachweisung der Differenzen zu geben, welche in der ursprünglichen Auffassung des religiösen Inhalts zwischen beiden Confessionen liegen, um diese Verschiedenheit auf psychologische Gesetze zu reduzieren und daraus zu begreifen. Dadurch wird unser Geschäft irenisch.« Vgl. auch 36 und dann die Einzelausführungen.
42 Wie Weber zufrieden feststellte (WEBER II 345).
43 Aa0 39.
44 Ich zitiere die Bestimmung aus dem Christianae Theologiae Compendium von Joh. WOLLEB (1626): »Bei der Erforschung unserer Erwählung sollen wir nach analytischer Methode von den Mitteln der Ausführung zum Ratschluss vorwärts gehen und den Anfang nehmen bei unserer Heiligung. Und zwar nach folgendem Syllogismus: Wer in sich die Gabe der Heiligung, dadurch wir der Sünde sterben und der Gerechtigkeit leben, wahrnimmt (sentit), der ist gerechtfertigt, berufen oder mit dem wahren Glauben beschenkt und erwählt. Aber durch Gottes Gnade nehme ich das wahr (sentio). Mithin (ergo) bin ich gerechtfertigt, berufen und erwählt.« (Lib. 1, Cap. IV, § 2, XV. Neudruck hrsg. von E.BIZER, Neukirchen 1935, 24. Übersetzung von E.HIRSCH: Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, 4. Aufl. Berlin 1964, 400f).
45 WA 10/I 4421 (Modernisierung der Schreibweise nach der Münchner Ausgabe, Ergänzungsband 4, 35).
46 Aa0 452.
47 Aa0 4428.
48 Es ist die Lehre von den »signa praedestinationis«, jener im Leben erfahrbaren Zeichen, aufgrund derer der Mensch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit seine Prädestination erhoffen durfte. Darauf machte mich Herr Kollege Manfred SCHULZE aufmerksam, und er war freundlicherweise bereit, erläuterndes Material für diesen Band beizusteuern. S.102-106.
49 BSLK 68431-68537.
50 BSLK 21452: »Ut igitur baptismus, ut coena Domini sunt signa, quae subinde admonent, erigunt et confirmant pavidas mentes, ut credant firmius remitti peccata: ita scripta et picta est eadem promissio in bonis operibus, ut haec opera admoneant nos, ut firmius credamus. Et qui non benefaciunt, non excitant se ad credendum, sed contemnunt promissiones illas. Sed pii amplectuntur eas et gaudent habere signa et testimonia tantae promissionis. Ideo exercent se in illis signis et testimoniis.« Vgl. den ganzen Abschnitt ab 21430. Die deutsche Übersetzung von Justus Jonas dazu ist ziemlich frei: 21315-35.
51 M.Lutherus: Primus tomus Enarrationum in Epistolas & Euangelia etc., Argentorati 1525, mit Vorrede von M.Bucer (siehe R.STUPPERICH: Bibliographia Bucerana, Gütersloh 1952, Nr.10), p.38A. Ob sich für Melanchthon von daher aa0. »testimonia« als Wechselbegriff zu »signa« nahelegte?
52 BSLK ebd.; zur Geschichte der lateinischen Übersetzung vgl. dort XXIX. A.LANG (Die Quellen der Institutio von 1536, EvTh 3 [1936] 109) geht auch hinsichtlich der Auslegung der 5. Vaterunserbitte auf das Verhältnis Bucer-Calvin ein, übersieht aber die Abhängigkeit beider von Luther.
53 Inst III,14,20: »non aliter quam vocationis signa unde electionem reputent« (OS IV 23810). Die Reihenfolge von »vocatio« und »electio« zeigt, daß hier 2.Petr 1,10 mitschwingt.
54 CO 55, 449f.
55 Im Heidelberger allerdings erst in späterer Korrektur von 1.Petr l,6f.
56 A.LANG: Der Heidelberger Katechismus und vier verwandte Katechismen. Mit einer historisch-theologischen Einleitung, Leipzig 1907, reprogr. Nachdruck Darmstadt 1967, 80: der Text von Leo Jud, vgl. XCIV zur Erklärung. Im Heidelberger Katechismus: Fr. 86, oft gedruckt.
57 Der 1. Katechismus: OS I 409; die lat. Fassung CO 33,348; der französische Text des 2. Katechismus: W.NIESEL (Hrsg.): Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, 2.Aufl. Zollikon-Zürich 1938, 32 (Frage 285); der lateinische Text: MÜLLER aa0 143f und OS II 125.
58 MÜLLER 57428.
59 MÜLLER 552, Abschnitt 8 von Kap. III. Man achte auch hier auf den vorsichtigen Komparativ.
60 MÜLLER 845.
61 De certitudine gratiae et salutis / Of Assurance of Grace and Salvation. Weber erwähnt die Stelle unter dem Gesichtspunkt der erreichbaren Grade der Gewissheit (WEBER I 104, Anm. 1).
62 MÜLLER 579f. Der Ausdruck »gutes Gewissen« für den Wandel in der Heiligung ist von 1.Petr 3,16 abhängig und findet sich auch in den Dordrechter Canones V,10 (MÜLLER 8589) und zu Beginn von Calvins schon genannter Auslegung von 2.Petr 1,10 (CO 55,449).
63 Vgl. dieselbe Sicherstellung in der Conclusio bei WOLLEB, s.o. Anm.44.
64 A.SCHWEIZER: Centraldogmen, 2. Hälfte, 20.
65 A.SCHWEIZER: Centraldogmen, 1. Hälfte, 582f.
66 Aa0 577.
67 A.SCHWEIZER: Centraldogmen, 2. Hälfte, VIII. Vgl. auch u. Anm.73 und bei WOLLEB den (auf die in Anm.44 zitierte Stelle folgenden) Abschn. XVI. - In diesem Sinne sind wohl die einschlägigen Stellen der Beschlüsse der Dordrechter Synode 1618/19 zu verstehen (I,12; V,10 mit der Reiectio errorum V,5: MÜLLER 845. 858 und 860). Die letzte Stelle zeigt: Man hatte sich dort gleichzeitig gegen die Behauptung abzusetzen, es gebe keine wirkliche Erwählungsgewissheit außer durch spezielle Gottesoffenbarung. Dem stellte die Synode die Genugsamkeit der Christusverheißung entgegen und setzte hinzu (zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend): Ferner (denique) gebe es Gewissheit aus einem ernstlichen und heiligen Streben nach einem guten Gewissen und nach guten Werken. Theologisch anzukreiden bleibt diesen Stellen, dass nur in der Reiectio errorum V,5 der Zeichenbegriff auftaucht (MÜLLER 86023). Dafür passiert da das Unglück, dass die signa vor der Verheißung Gottes genannt werden.
68 BARTH: Calvin 371f.
69 BARTH: Calvin 240. 243. 249f.
70 Hier ist das Wort »probatio« aus Butzers Übersetzung der einschlägigen Stelle von Luthers Wartburgpostille übernommen. Mit »probare« und »testari« gibt Butzer (aa0.) Luthers Ausdruck wieder, dass die Liebe den Glauben »beweist und bewährt«. Der von Max Weber so geliebte Ausdruck »Bewährung« müsste also als probatio/probare (proof/to prove) im Sinne des Beweises verstanden werden, womit theologie- und frömmigkeitsgeschichtlich aber nicht mehr zu holen ist, als ich hier angeführt habe.
71 CO 55,311.
72 Die besondere Stellung der Heiligung bei Calvin hat BARTH in KD IV/2 567–578 (§66,1) diskutiert.
73 CO 55,450. Mit der Fortsetzung: Unde palam fit, quam indigne Deo oblatrent (anbellen) impuri quidam canes, dum gratuitam eius electionem praetextum faciunt omnis licentiae, quasi vero impune ideo peccare fas sit, quia ad iustitiam et sanctitatem praedestinati sumus.
74 BARTH: Calvin 372f.
Vom Autor Dieter Schellong für die online-Veröffentlichung auf www.reformiert-info.de überarbeitete Fassung seines Beitrags in: Karl Barth und Johannes Calvin. Karl Barths Göttinger Calvin-Vorlesung von 1922, hrsg. von Hans Scholl, Neukirchen-Vluyn 1995, 74–101.
Zitierempfehlung für die online Version des Textes:
Dieter Schellong, Calvinismus und Kapitalismus. Anmerkungen zur Prädestinationslehre Calvins (2008), online auf reformiert-info.de, URL: http://www.reformiert-info.de/2851-0-105-16.html (Abrufdatum), überarbeitete Fassung des gleichnamigen Beitrags in: Karl Barth und Johannes Calvin. Karl Barths Göttinger Calvin-Vorlesung von 1922, hrsg. von Hans Scholl, Neukirchen-Vluyn 1995, 74–101.
Prof. Dr. Dieter Schellong, Münster
Dieter Schellong, Calvinismus und Kapitalismus. Anmerkungen zur Prädestinationslehre Calvins.pdf
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