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Die Lehre von der Prädestination
Predigt zu Römer 8, 26-39
Liebe Gemeinde,
die reformierte Lehre von der Prädestination soll in der Predigtreihe bedeutender reformierter Themen heute das Thema des Gottesdienstes sein. Sowohl Freunden als Feinden reformierter Theologie gilt die Prädestinationslehre als eines der zentralen Lehrstücke reformierter Theologie. Wie dem auch sei, sie ist wohl gleichzeitig ein besonders sperriges und widerständiges und dann auch ein wunderbares und strahlendes Lehrstück reformierter Theologie. Es kann heute nicht darum gehen, die vielen Gestalten und Abwandlungen und Reformulierungen im Laufe der 450 Jahre reformierter Theologiegeschichte nachzuvollziehen. Das wäre Sache einer Dogmatikvorlesung über mehrere Semester. Wir suchen den biblischen Grund auf, den jedes evangelische Lehrstück hat. Und wir versuchen von dort aus die Überzeugung vieler reformierter Prediger, Seelsorger und theologischen Lehrer zu verstehen, die sich auch wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte zieht:
Die Lehre von der Prädestination ist die Summe des Evangeliums. Sie ist in einer lauten und aufgeregten theologischen Debatte über die Jahrhunderte hinweg vielleicht eine besonders freche Summe, die da aus dem Evangelium gezogen wird, aber danach ist erst einmal Ruhe - himmlische Ruhe. Keine hektische Betriebsamkeit mehr, kein Aktivismus, sondern eine seelsorgerlich indizierte Ruhe...
Worum geht es?
Calvins berühmte Definition im 3. Buch der Institutio, Kap 21, Abschnitt 5:
„Unter Vorherbestimmung (praedestinatio), verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den andern die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so – sagen wir – ist er zum Leben oder zum Tod „vorherbestimmt“.“(Inst.,III,21,5)
Calvin fährt dann fort, dass es also bei der Vorherbestimmung, Prädestination, um die Erwählung des Menschen geht, aber nicht nur jedes einzelnen Menschen, sondern der ganzen Nachkommenschaft Abrahams, um die Erwählung des Volkes Israel, dann um Gottes Bund mit den Erwählten in zweierlei Gestalt, um Israel und die Kirche, und schließlich wieder um den einzelnen, der inkorporiert ist in Jesus Christus und in ihm von Gott erwählt. Das ist der biblische Horizont der Erwählungslehre, den in einer Predigt abschreiten zu wollen ebenso vermessen wäre wie die reformierte Dogmengeschichte.
Wir müssen uns begrenzen und fragen nach dem biblischen Kern, insofern es um die Erwählung des einzelnen geht: Lesung Römer 8, 26-39
In der kirchlichen Tradition wurde dieser biblische Text aus dem Römerbrief dem Sonntag Exaudi zugeordnet. Das ist der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Nach der Logik des Kirchenjahres ein wahrhaft gottverlassener Sonntag: Jesus ist weg. Die 40 Tage, in denen er als Auferstandener bei seiner Anhängerschar physisch präsent war, sind vorbei. „Aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters“. Das hört sich an, als ob es ziemlich weit weg wäre. Und der Heilige Geist, der angekündigte Tröster, ist noch nicht da. Er kommt zu Pfingsten. Also ist der von Jesus angerührte Mensch auf sich allein gestellt, und es ist nicht schwer zu erraten, was dieser Sonntag Exaudi für ein Thema, für einen Charakter und für eine Stimmung hat:
Exaudi! Höre, HERR, mein lautes Rufen,
sei mir gnädig und erhöre mich. (Ps. 27,7)
Ein Bittruf, der verzweifelt klingt, aus der Grube ein Rufen und Schreien. Ein Ort der Einsamkeit, der Verzweiflung und Qual und Angst, ein verlassener Ort. Und das finden wir auch in unserem Predigttext im 8. Kapitel des Römerbriefs wieder. Seufzen, Stöhnen und Klagen. Für den „Exaudi-Menschen“ hat sich die Situation gegenüber dem Psalmbeter vielleicht sogar verschärft. Der Psalmbeter konnte noch die passenden poetischen Worte aus der Grube rufen:
Höre, HERR, mein lautes Rufen,
sei mir gnädig und erhöre mich.
Selbst dazu fehlt hier noch die Kraft. Es gibt ein sprachloses Elend, das nicht einmal mehr zu Gott rufen kann. Es gibt einen stummen Schrei, wo der Mund aufgerissen ist, aber nichts hörbar wird. Wie in Edvard Munchs Bild „Der Schrei“. Was dann, wenn nichts nach außen dringen kann, wenn das Elend wortlos wird und abrutscht ins Herz, in die Seele? Das darf nicht sein, es muss hinaus zu Gott, und wenn nicht als Psalmwort, dann wenigstens als Seufzen. Und wenn wir nicht mehr seufzen können, dann tritt der Geist für uns ein und seufzt für uns vor Gott. Noch kein sprechender Pfingstgeist in allen Sprachen und Dialekten, verständlich für alle Ohren an allen Orten. Vielmehr ein stammelnder und seufzender Exaudi-Geist.
Wir kennen solche Situationen im Leben, im Elend, bei anderen und bei uns selbst, wenn uns nicht einmal mehr der kleinste Ruf nach Gott einfallen will; wenn wir nicht einmal mehr wissen, was wir sagen, geschweige denn was wir beten sollen. Wie gut, wenn man sich dann Worte leihen, wenn man andere für sich sprechen und beten lassen kann.
So sind oft auch die Christenmenschen dran, meint Paulus. Auch sie sitzen trotz ihres Glaubens im Elend fest, sie sind zwar gerettet – aber auf Hoffnung hin. Dass man an Gott glaubt, das ist keine Garantie für weltliches Wohlergehen. Gott ist kein Versicherungsunternehmen gegen Schadensfälle, und der Glaube an ihn kein Rundum-Sorglos-Paket. Dennoch gibt er eine Gewissheit, die viel tiefer geht und über das Elend hinausgreift. Um diese tiefe Gewissheit geht es, um das Wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, wie es hier bei Paulus heißt.
Woher diese Gewissheit gegen den Augenschein, gegen Elend und Seufzen? Woher diese Gewissheit, dass ich nicht ein gottverlassener Mensch bin? An dieser Stelle entfaltet Paulus die Lehre von der Prädestination als Antwort. Jeder Mensch ist schon vor aller Zeit durch Gottes Ratschluss entweder erwählt oder verworfen. Gott hat von Ur-Anbeginn festgelegt, welcher Mensch zum Glauben findet und also errettet wird und welcher nicht. Wir hören, dass nur denen alle Dinge zum Besten dienen, die nach Gottes Ratschluss berufen sind. Die er dazu ausersehen hat, die hat er vorherbestimmt, und die er vorherbestimmt hat, die hat er berufen; und die er berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, und die er gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.
Es sind also nicht alle, die erlöst werden, es sind nur einige. Selbst kann man da nichts tun. Gott hat dies vor aller Zeit für jeden Menschen vorbestimmt.
Liebe Gemeinde,
es ist klar, dass eine solche Lehre dem Menschen und seinem Stolz voll ins Gesicht schlägt. Es ist ja zuerst ein Angriff auf sein Selbstbild, auf seine Freiheit, sich so oder auch anders entscheiden zu können, für oder gegen den Glauben. Es ist weiter ein Angriff auf sein Selbstbild als entwicklungsfähiges Wesen, das viele Möglichkeiten in sich hat und viele Wege gehen kann und dass durch Erziehung und Beratung auf einen guten oder bösern Weg gebracht werden kann. Es ist weiter ein Frontalangriff auf unser Gerechtigkeitsempfinden: Es ist ungerecht und verstößt gegen die Chancengleichheit aller Menschen und gegen viele humanen Werte, die uns heute hoch und heilig sind.
Diese Einwände und Bedenken sind alle richtig. Sie sind übrigens viel weniger modern als wir meinen. Der Kirchenvater Augustin hat sich im 5. Jahrhundert schon ebenso mit ihnen herumgeschlagen wie Calvin im 16. Jahrhundert. Und bei Calvin können wir lesen, dass die Lehr von der Prädestination ein schwieriges Labyrinth ist, in dem man sich leicht verirren kann. Und wie man aus einem Labyrinth nur herausfindet mit einem Leitfaden, so wird man hier auch nur durchkommen, wenn man den Leitfaden nicht aus dem Auge verliert.
Was ist der Leitfaden?
Die Lehre von der Vorsehung ist nötig zu wissen für diejenigen, die dazu gehören. Es ist keine allgemeine Theorie für Zuschauer, die draußen stehen und sich aus sicherer Distanz mal anschauen wollen, was da drinnen so vor sich geht im Glauben und Denken. Die Lehre von der Prädestination ist also keine allgemeine Philosophie und Weltanschauung für den Marktplatz. Sie betrifft diejenigen, die hier und heute da sind, in dieser Kirche, an diesem Sonntag.
Weiter: Sie soll die, die da sind, nicht erschrecken, sondern trösten. Sie soll denen, die zweifeln, Halt geben und Gewissheit. Es geht dabei besonders um diejenigen unter uns, die ganz elend dran sind, die keine Worte mehr finden, die keine Sprache mehr haben, um zu Gott zu rufen. Es geht um diejenigen, die in der Grube sind, ohne Worte und Sprache zu Gott hin und für die dann stellvertretend der Geist seufzen muss. Für diese Menschen, denen ihr Glaube abhanden gekommen ist in ihrer Verzweiflung und Einsamkeit – und die sich dennoch „irgendwie“ vor Gott wissen und mit ihm in Beziehung sind, wenn auch sprachlos, für diese Menschen ist die Lehre von der Prädestination bestimmt:
Du gehörst zu den Erwählten, Du bist Kind und Ebenbild Gottes auch mit den schrecklichsten und stinkendsten Krankheiten und Verletzungen, die Dich befallen mögen. Und auch wenn Du Dir selbst noch so klein und mickrig vorkommst und Dein Selbstbewusstsein und Stolz gerade mal wieder die Größe eines Stecknadelkopfes hat und Du selber in Dir nicht die geringste Spur von Glauben und Gottvertrauen mehr findest – Du bist von Gott erwählt von Ewigkeit her, bist gerecht gesprochen und wirst verherrlicht werden. Und das nur, weil Gott selber Dich dazu ausersehen hat vor aller Zeit. Dein Heil ist allein in Gottes Wille und Ratschluss begründet und nirgendwo sonst. Und das ist vor aller Zeit und bis in alle Ewigkeit gültig und kann durch nichts erschüttert werden. Auch nicht durch die Erfahrung von Seufzen und Elend, nicht durch Alleinsein und das Gefühl von Gottverlassenheit.
Die Lehre von der Prädestination ist also eine Lehre gegen den Augenschein, gegen den Spott derer, die als Zuschauer draußen stehen und sich darüber lustig machen, dass es denjenigen, die sich zu Gott und zur Kirche halten, ganz offensichtlich nicht besser geht als den vielen andern, die sich von Gott abgewendet haben, weil das ja eh nichts bringt. Nein, es bringt nichts, und wir sind auch nur hier, weil Gott uns auserwählt und dazu berufen hat, ihn zu ehren.
Calvin fasst den ganzen Sinn der so frechen und skandalösen Lehre von der Prädestination zusammen in einem wunderbaren Satz:
„Wer nicht weiß, dass er Gottes besonderes Eigentum ist, der muss jämmerlich dran sein und aus dem Zittern nicht herauskommen.“ (Inst.,III,21,1)
Und Paulus bringt es in diesen Satz, den man nicht oft genug hören kann, weil er die frohe Botschaft als Kettenreaktion schildert: die er ausersehen hat, die hat er vorherbestimmt, die er vorherbestimmt hat, die hat er berufen, die er berufen hat, die hat er gerecht gemacht, und die er gerecht gemacht hat, die verherrlicht er.
Und als ob er selber ganz überrascht und verblüfft von dieser Kettenreaktion ist, fährt Paulus fort: Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Darum geht es, liebe Gemeinde, um die unerschütterbare Gewissheit, um die Summe des Evangeliums, dass Gott für uns ist. Unerschütterbar durch unsere Erfahrung, unerschütterbar durch den sichtbaren Erfolg oder Misserfolg oder den Spott der anderen, unerschütterbar auch durch unser eigenes Selbstwertgefühl. Unerschütterbar ist etwas nur, wenn es von Ewigkeit her durch und in Gott verankert ist und nicht in uns und unserer Erfahrung. Wir sind nicht allein, wir sind nicht verlassen, Gott ist mit uns und für uns, und das alles nicht aus einer zufälligen Laune heraus, sondern von Ewigkeit her.
Nach Calvin soll diese Lehre nicht dazu führen, dass wir Gott in seiner Weisheit besser begreifen, sondern dass wir ihn anbeten, weil ihm allein alle Ehre gebührt.
Wir kommen nicht umhin, ein kurzes Schlaglicht darauf zu werfen, was passiert, wenn man diesen Kontext der Prädestinationslehre, diesen Exaudi-Kontext der Verzweiflung, ganz vergisst. Nimmt man diese Lehre aus dem Kontext der Elenden und Verzweifelten heraus, trägt man sie hinüber auf die Seite der Herren und Machthaber, bringt man sie gar in koloniale Zusammenhänge von Herren und Sklaven, von Weiß und Schwarz, und wendet sie dann noch ins Kollektive, dann wird dieses trostreiche Lehrstück zur Fratze, dann wird die Erwählungslehre zum Erwählungsrassismus, wie wir das im letzten Jahrhundert bei den reformierten Buren in Südafrika gesehen haben. Das hat viele reformierte Gemeinden zerrissen und für viele andere Christen die reformierte Erwählungslehre endgültig verbrannt.
Werfen wir noch einen Blick auf die Schattenseite der Erwählungslehre. Das ist die Seite, wo es nicht um die sprachlos Elenden geht, sondern um die, die von Ewigkeit her zur Verdammnis bestimmt sind. Noch einmal: Sie stehen nicht im Lichtstrahl der Erwählungslehre, sie stehen am Rande des Lichtkegels, im Schatten. Aber da gehören sie auch hin. Dass die Elenden aller Elenden, die in der Grube, keine Worte zu Gott hin mehr finden, ist das Eine.
Das heißt nicht, dass sie keine Gefühle und Worte mehr finden für ihre Folterer und Schinder und Verfolger und Unterdrücker, für diejenigen also, die sie in diese Grube hineingestoßen haben. Sie haben Worte gefunden, sie zu verfluchen. Unser geliebter und geschätzter Psalter ist geradezu ein Sprachlehrbuch, wie man dieser folternden Canaille poetisch gekonnt alles Unheil dieser Welt an den Hals wünschen kann. Auf dieser Linie liegt auch die Lehre über die, die zur Verdammnis vorherbestimmt sind. Keine Lehre im eigentlichen Sinne, keine allgemeine Theorie am grünen Tisch, die die Menschen in Erwählte und Verdammte einteilen könnte. Eher ein Wutschrei von denen in der Grube in das Angesicht ihrer Peiniger.
Dürfen wir, denen es gut geht, diesen Verzweifelten die Sprache und Worte rauben? Aus moralischen, sprachökologischen Gründen? Wir tun es unaufhörlich. Nur ein Beispiel. Als Psalmlied haben wir den 137. Psalm gesungen: An den Wassern von Babel. In unserem jetzigen Gesangbuch hat er 4 Verse, von Alfred Rauhaus 1989 in diese Form gebracht. Im Psalter vor der Gesangbuchreform hatte er 5 Verse, das war die Fassung von Matthias Jorissen. Der 5. Vers lautet:
O Babel, sieh, der Rächer steht gerüstet.
Bald liegst du da von Grunde aus verwüstet;
Dein Bosheitsmaß ist nun an uns erfüllt.
Glück dem, der dir, was du verdienst, vergilt,
der deinem Arm den Säugling wird entreißen
und mit Gewalt ihn an dem Fels zerschmeißen.
Ja, so schrecklich steht es da, dass einem die Haare zu Berge stehen, bei Jorissen und im Psalter selbst. Das soll uns also nicht mehr zugemutet werden seit der Gesangbuchreform, und das meinen wir andern nicht mehr zumuten zu können.
Das ist in meinen Augen ein sehr bedenkliches und bedauerliches Zeichen der Verbürgerlichung unserer reformierten Theologie. Nichts gegen gute und fleißige und rechtschaffene Bürger im besten Sinne des Wortes. Aber wir haben nicht das Recht, unsere Perspektive zur allein maßgeblichen zu machen, uns gar moralisch zu erheben und zu zensieren und aus dieser bürgerlichen moralischen Überheblichkeit heraus die Psalmen zu beschneiden und einfach wegzulassen, was uns nicht in unseren wohlgesitteten Kram passt.
Es könnte nämlich sein, dass da vom Psalter allzu wenig übrig bleibt. Wir teilen vielleicht die Erfahrungswelt von Menschen nicht mehr, die solche Gefühle haben wie am Ende des Exilspsalms 137 und die ihren Gefühlen in solchen Wünschen und Bildern Ausdruck geben. Wenn wir nur wollen, können wir ihre Erfahrungswelt teilen. Dafür brauchen wir nicht einmal in die Ferne schweifen, ins amerikanisch verantwortete Guantanamo in aller Munde. Es reicht hier unser deutsch verantwortetes Mini-Guantanamo vor unserer Haustür, am Frankfurter Flughafen: die Flüchtlingsunterkünfte im rechtsstaatlichen Niemandsland. Da leben Dutzende und Aberdutzende ziemlich erbärmlich eingesperrt. Keinen Schritt dürfen sie heraus aus dem abgesperrten, eingezäunten, bewachten Gelände. Viele sind länger als ein Jahr da. Sie sind gelandet und doch nirgendwo angekommen.
Viele von ihnen in ihrer entwurzelten Sprachlosigkeit und ihrem Elend sind gewiss reif für die reformierte Erwählungstheologie in ihrer doppelten Gestalt. Wir sollten ihnen ihre Sprache nicht nehmen, nicht den Psalm 137 und nicht die Prädestinationslehre. Das ist Flüchtlingstheologie, von Flüchtlingen für Flüchtlinge. Und diese Flüchtlingstheologie stand am Anfang der Geschichte auch dieser Gemeinde und hat sie lebendig gehalten bis heute.
Die Prädestinationslehre, die Lehre von der Erwählung, von Gottes freier Gnadenwahl mit ihrem strahlenden Licht und ihrer zwielichtigen Schattenseite. Wir sollten sie einfach so stehen lassen in unserer theologischen Mitte als Summe des Evangeliums, als freche und trotzige Summe. Sie soll uns demütig machen und nicht hochmütig. Sie soll uns dankbar machen und nicht unzufrieden und griesgrämig. Sie soll nicht zur Besserwisserei führen, sondern zur Anbetung Gottes. Sie soll uns aus einem hektischen Aktionismus, der den Zweifel zur Triebfeder hat, zur Ruhe führen. Wir haben ihrem politischen Missbrauch zu wehren, und wir haben sie als Trost bereit zu halten für die Sprachlosen und Entwurzelten, die sie brauchen, um wieder aufrecht zu gehen. Das sind wir unserer Tradition als Flüchtlingsgemeinde schuldig. Die Prädestinationslehre: auch ein Stück Kirche und Theologie für andere.
Amen.
Dr. Dietrich Neuhaus
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