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Judika: Markus 10, 35-40 – das geistliche Reich Christi und menschliche Luftschlösser
von Johannes Calvin
Markus 10, 35-40
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus , und sprachen: Meister, wir wollen, daß du uns tuest, was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten und zu meiner Linken steht mir nicht zu euch zu geben, sondern welchen es bereitet ist.
Diese Geschichte ist ein wunderbarer Spiegel menschlicher Eitelkeit. Sie zeigt, daß auch in rechtem, frommem Eifer oft Ehrgeiz oder ein anderer Fehler des Fleisches stecken kann, so daß die Nachfolger Christi ganz anderswohin schauen, als sie sollten. Wir irren völlig vom Ziel ab, wenn wir uns nicht an ihm, dem Einen, genügen lassen und außer ihm und seinen Verheißungen nach diesem und jenem suchen. Es genügt nicht, wenn wir nur am Anfang unser Herz in Einfalt Christus anheimgeben, wenn diese Lauterkeit nicht bleibt, da uns oft mitten auf dem Wege böse Neigungen entgegentreten und uns auf Abwege führen. Man kann bestimmt annehmen, daß die beiden Zebedaiden Christus am Anfang mit aufrichtigem Herzen anhingen; aber sobald sie merkten, daß sie bei ihm eine besondere Gunst genossen, und von der nahen Herrschaft hörten, lassen sie sich sofort zu verkehrten Wünschen hinreißen und wollen nicht mehr bei ihrer Pflicht bleiben. Wenn das aber schon bei diesen zwei besten Jüngern vorkommt, wie sorgfältig müssen dann wir erst auf unseren Weg achten, wenn wir nicht aus der Richtung kommen wollen. Wir müssen bei jeder sich bietenden entsprechenden Gelegenheit uns davor hüten, daß nicht die Suche nach Ruhm unsere fromme Gesinnung beeinträchtigt. Obgleich Matthäus und Markus den Worten nach in manchem auseinanderweichen, stimmen sie doch in dem Hauptgedanken überein. Matthäus erzählt, die Frau des Zebedäus sei gekommen und habe für ihre Söhne gebeten, im Reich Christi die ersten Plätze einnehmen zu dürfen. Markus läßt die beiden Jünger selber fragen. Wahrscheinlich haben sie klugerweise ihre Mutter vorgeschoben, da diese kühner zu bitten wagte, während sie selbst die Scheu zurückhielt. Daß die Bitte jedoch von ihnen ausging, zeigt sich daran, daß Christus ihnen und nicht ihrer Mutter antwortet. Indem die Mutter durch ihren Kniefall zu verstehen gibt, daß sie etwas erbitten wolle, bevor sie noch ihr Anliegen ausspricht, oder, nach der Version des Markus, indem die Jünger selbst Christus ganz allgemein zu bewegen suchen, er möge ihnen alles erfüllen, was sie von ihm erbitten würden, zeigen sie an dieser zurückhaltenden Einleitung ihr schlechtcs Gewissen.
Matth. 20, 21. „Laß diese meine zwei Söhne sitzen in deinem Reich.“ Immerhin ist an den Zebedaiden zu loben, daß sie auf ein Reich Christi hoffen, obwohl sich damals nicht einmal der geringste Schatten davon abzeichnete. Sic sehen ihn nur als Verachteten, als den Menschen in der niedrigen Knechtsgestalt, sie beobachten auch, wie die Welt auf ihn herabsieht und ihn schmäht. Trotzdem sind sie davon überzeugt, daß Christus in kurzer Zeit ein herrliches Reich aufrichten werde, weil er es sie so gelehrt hatte. Es ist ein eindrückliches Beispiel für Glauben, und doch sehen wir hier, wie leicht der gute Same, sobald er in unsere Herzen gesät ist, verdirbt; sie stellten sich nämlich ein vergängliches Königreich vor und ließen sich bald von ihrer Torheit dahin bringen, daß sie dort die ersten Plätze für sich beanspruchten. Auf dem Untergrund eines recht lobenswerten Glaubens war also diese falsche Begierde entstanden; darum müssen wir den Herrn nicht nur bitten, daß er uns die Augen öffnet, sondern auch, daß er uns beständig leitet und unsere Augen auf das rechte Ziel gerichtet hält. Wir müssen ihn nicht nur um Glauben bitten, sondern auch, daß er ihn von allem rein erhält, was nicht zu ihm paßt.
Matth. 20, 22. „Ihr wißt nicht, was ihr bittet.“ Aus einem doppelten Grund war ihre Unwissenheit zu verurteilen. Einmal erstrebten sie in ihrem Ehrgeiz mehr, als ihnen zustand; und zum andern hatten sie sich aus dem himmlischen Reich Christi ein Luftschloß gebaut. Was das erste angeht, so überschreitet jeder seine Grenzen, der nicht damit zufrieden ist, daß Gott ihn aus Gnade zu seinem Kind angenommen hat, und noch höher hinaus will; er ist in seiner Unbescheidenheit undankbar gegen Gott. Schon das ist völlig unangemessen, das geistliche Reich Christi nach dem Maß unseres Fleisches einzuschätzen. Und je mehr solche müßigen Hirngespinste dem menschlichen Geist behagen, um so mehr müssen wir uns davor hüten. Wir sehen ja auch, daß die Bücher der Scholastiker voll sind von solchen trügerischen Gaukeleien.
„Könnt ihr den Kelch trinken?“ Um den Ehrgeiz der beiden Jünger zurechtzuweisen und sie von ihrem verkehrten Wunsch abzubringen, stellt Christus ihnen das Kreuz und alle Drangsale vor Augen, die die Kinder Gottes auf sich nehmen müssen. Er wollte sagen: Habt ihr etwa schon soviel freie Zeit von dem gegenwärtigen Kriegsdienst, daß ihr euch jetzt schon mit der Ordnung des Triumphzuges befassen könnt? Wenn sie nämlich den Aufgaben ihrer Berufung nachgekommen wären, hätten sie nie auf solch einen verschrobenen Einfall kommen können. Christus will also mit diesem Satz alle, die vor der Zeit nach der Siegespalme greifen, zum Nachdenken über die Pflichten ihrer Frömmigkeit bringen. Und mit diesem Zügel wird unsere Ehrsucht sicherlich am besten gezähmt; denn solange wir in der Welt als Fremdlinge leben, ist unsere Lage so, daß dauernd leere Verlockungen auf uns eindringen. Tausend Gefahren umgehen uns; bald greift uns der Feind durch die verschiedensten Hinterhalte an, bald geht er mit offener Gewalt gegen uns vor. Ist ein Mensch nicht mehr als töricht, der sich inmitten so vieler Todesgefahren in scheinbarer Sicherheit mit Genuß einen Triumphzug ausmalt? Der Herr befiehlt zwar den Seinen, sie sollten des Sieges gewiß sein und noch mitten im Tode Triumphlieder singen, da sie sonst keinen Mut hätten, mit Ausdauer zu kämpfen. Aber es ist doch etwas anderes, sich in der von Gott geschenkten Hoffnung auf Belohnung eifrig zum Kampf zu lösten und ihm alle seine Anstrengungen zu widmen, oder den Kampf außer Acht zu lassen und, unbekümmert um den Feind und die Gefahren, sogleich zum Sieg schreiten zu wollen, den wir doch erst zur gegebenen Zeit erwarten sollen. Hinzu kommt, daß diese falsche Voreiligkeit die Menschen meistens von ihrer Berufung ablenkt. Denn je feiger einer im Krieg ist, desto gieriger stürzt er sich auf die Beute; genauso strebt im Reich Christi der am meisten auf den ersten Platz, der hier aller Mühsal und Arbeit aus dem Weg geht. Mit Recht weist Christus also alle, die von eitlem Ruhm erfüllt sind, in ihre Schranken. Die Krone liegt für niemanden bereit, der nicht ehrlich gekämpft hat; und vor allem wird niemand am Leben und an der Herrschaft Christi teilhaben, der nicht vorher auch ein Genosse seiner Leiden und seines Todes gewesen ist. Das Bild von der Taufe ist hier sehr geeignet. Denn durch die Taufe sollen die Gläubigen ja /ur Verleugnung ihrer selbst, zur Kreuzigung des alten Menschen und schließlich zum Tragen des Kreuzes gebracht werden. Bei dem Wort „Kelch“ ist es unsicher, ob der Herr damit auf das Geheimnis des heiligen Mahles angespielt hat; da das Mahl jedoch noch gar nicht eingesetzt war, ist es einfacher, an das Maß der Leiden zu denken, das Gott einem jeden bestimmt hat. Denn da es in seinem Ermessen liegt, jedem einzelnen seine Last aufzuerlegen, so wie ein Hausvater jedem seine Portion zuweist und austeilt, heißt es hier, Gott gebe einen Kelch zu trinken. In diesen Worten liegt übrigens auch ein ungemeiner Trost, der die Bitterkeit des Kreuzes lindern kann, da sich Christus im Leiden mit uns zusammenschließt. Was kann man mehr wünschen, als alles mit dem Sohn Gottes gemeinsam zu haben? Was auf den ersten Blick zum Tod zu führen scheint, muß uns dann zum Heil und zum Leben ausschlagen. Wer also völlig vom Kreuz verschont zu bleiben wünscht und sich sogar seiner Taufe entzieht, wie kann man den noch zu Christi Jüngern rechnen? Denn das bedeutet nichts anderes, als schon die ersten Grundbedingungen des Christseins nicht zu erfüllen. Sooft die Taufe erwähnt wird, sollen wir daran denken, daß wir mit der Bestimmung und dem Ziel getauft sind, daß das Kreuz auf unseren Schultern liege. Wenn Johannes und Jakobus sich so sicher damit großtun, sie seien bereit, den Kelch zu trinken, so zeigen sie damit nur das Selbstvertrauen des Fleisches. Denn solange wir außer Schußweite sind, glauben wir alles zu können. Nicht lange danach hat das klägliche Ende ihre Unbesonnenheit gezeigt. Doch ein Gutes hatten sie an sich, daß sie, als sie vor die Wahl gestellt wurden, sich zum Tragen des Kreuzes bereit erklärten.
Matth. 20, 23. „Meinen Kelch sollt ihr zwar trinken.“ Da sie Jünger waren, mußten sie dem Bild des Meisters ähnlich werden. So kündigt Christus ihnen an, was sie erwarten würde, um sie zur Geduld zu rüsten: und zwar spricht er in der Person der beiden Jünger alle an. Denn wenn auch das Geschick vieler Gläubigen nicht auf Gewalt und blutigen Tod hinausläuft, so ist doch allen gemeinsam, daß sie dem Bild Christi gleich werden müssen (vgl. Paulus in Röm. 8, 29). Darum sind sie ihr Leben lang wie Schafe, die zur Schlachtung bestimmt sind.
Das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben steht mir nicht zu. Mit dieser Antwort verringert Christus seine Macht nicht, sondern er erinnert nur daran, daß ihm das Amt vom Vater überhaupt nicht übertragen sei, jedem seinen eigenen, bestimmten Platz im Himmelreich zuzuweisen. Er kam zwar, um all die Seinen zum ewigen Leben zu sammeln; aber es muß uns genügen, daß das durch sein Blut erworbene Erbe auf uns wartet. Inwiefern aber die einen höher stehen als die andern, kommt uns nicht zu zu fragen, und Gott wollte es uns durch Christus auch nicht kundtun, sondern es sollte aufgeschoben bleiben bis zur letzten Offenbarung. Nun verstehen wir, was Christus sagen will. Er spricht hier also gar nicht über seine Macht, sondern möchte nur, daß wir bedenken, wozu er vom Vater gesandt wurde und was in seiner Befugnis Hege. Er unterscheidet also seinen Auftrag zu lehren genau von dem geheimen Ratschluß Gottes. Eine nützliche Ermahnung, damit wir lernen, nüchtern zu sein, und nicht versuchen, in die verborgenen Geheimnisse Gottes einzudringen. Vor allem sollen wir nicht übermäßig neugierig sein, den Zustand im zukünftigen Leben zu erforschen; denn es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, wenn uns Gott seinem Bild ähnlich machen wird (vgl. 1. Joh. 3, 2). Auf der anderen Seite ist zu beachten, daß diese Stelle nicht eine Gleichheit unter den Kindern Gottes behauptet, nachdem sie in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen sind; vielmehr wird jedem einzelnen der Grad an Ehren verheißen, der ihm durch Gottes ewigen Ratschluß bestimmt ist.
Markus 10, 41-45
41 Und da das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wißt, daß die weltlichen Fürsten ihre Völker niederhalten, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt. 43 Aber so soll es nicht sein unter euch; sondern wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener; 44 und wer unter euch will der Erste sein, der sei aller Knecht. 45 Denn auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele.
Matth. 20, 24. „Da das die Zehn hörten.“ Lukas scheint diesen Streit in eine andere Zeit zu verlegen. Doch wer sein 22. Kapitel sorgfältig betrachtet, wird deutlich sehen, daß dort zu verschiedenen Zeiten gehaltene Redestücke ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Reihenfolge zusammengestellt wurden. Der Streit um den Vorrang, den Lukas erwähnt, kann also durchaus auch dadurch entstanden sein, daß die Zebedaiden die ersten Plätze im Reich Christi beanspruchen. Und trotzdem war die Entrüstung der anderen in keiner Weise gerechtfertigt. Denn da Christus bereits die törichte Ehrsucht der beiden scharf getadelt hatte, so daß sie beschämt von ihm weggingen, schadete es ja den übrigen Zehn nicht mehr, daß die beiden sich in ihrer Torheit etwas gewünscht hatten, was sie nicht bekommen konnten. Denn obwohl sie sich zu Recht über den Ehrgeiz der beiden ärgerten hätte ihnen doch ihre Zurückweisung genügen müssen. Aber der Herr will bei dieser Gelegenheit auch die in ihnen verborgene Krankheit aufdecken Keiner von ihnen trat nämlich gern vor einem andern zurück; jeder hegte heimlich bei sich die Hoffnung auf den ersten Platz. So beneideten sie sich untereinander und stritten sich, und eine böse Gier herrschte in allen. Wenn nun schon einfache, geringe Leute diesen Fehler an sich hatten, der bei der geringsten Gelegenheit hervorbrach, wie sehr müssen wir uns dann hüten, wo bei uns genügend Brennstoff vorhanden ist, um das verborgene Feuer zu nähren! So sehen wir wie unter den Mächtigen und Geehrten der Ehrgeiz wuchert und zu hellen Flammen ausschlägt, wenn nicht der Geist der Demut, der aus dem Himmel kommt, den von Natur im Menschen wohnenden Stolz vernichtet.
Matth. 20, 25. „Ihr wißt: Die Fürsten ballen ihre Völker nieder.“ Zuerst wird uns gesagt, daß Christus die Jünger zu sich rief, um ihnen unter Ausschluß der Öffentlichkeit Vorhaltungen zu machen. Daraus schließen wir, daß sie sich über ihre Gier schämten und sich darum nicht offen über ihre beiden Gefährten beklagten; jeder knurrte dafür etwas in sich hinein und erhob sich heimlich über den andern. Übrigens redet Christus nicht allgemein darüber, was für eine tödliche Krankheit die Ehrsucht ist, sondern er erinnert einfach daran, daß nichts törichter sei als sich über nichts zu zanken. Denn er zeigt, daß eine Vorrangstellung, wie sie zur Ursache des Streites unter ihnen geworden war, in seinem Reich gar nicht besteht. Darum täuscht sich jeder, der dieses Wort auf alle Frommen ohne Unterschied ausdehnt; denn Christus lehrt bloß, aufgrund des vorliegenden Falles, daß sich die Apostel nur lächerlich machen, wenn sie sich in der Stellung, die sie haben, über den Grad ihrer Macht oder Ehre streiten, da doch das Lehramt, zu dem sie bestimmt waren, gar nicht mit weltlicher Herrschaft zu vergleichen ist. Ich muß allerdings sagen, daß diese Lehre sowohl für Privatleute wie für Könige und Behörden wichtig ist; denn niemand verdient zur Herde Christ! gezahlt zu werden, der nicht bei dem Meister der Demut soviel gelernt hat, daß er für sich selbst nichts in Anspruch nimmt, sondern sich unterordnet, damit brüderliche Liebe gepflegt werden kann. Die eigentliche Absicht Christi an dieser Stelle ist jedoch, wie schon gesagt, die geistliche Leitung seiner Gemeinde von den weltlichen Herrschaften zu unterscheiden, damit die Apostel nicht auf den Gedanken kämen, Gunsterweisungen, wie sie bei Hof üblich waren, zu verteilen. Denn unter den Vornehmen steigt jeder zu Macht und Einfluß empor, der beim König in Gunst steht. Christus jedoch stellt Hirten über seine Gemeinde, damit sie dienen, nicht damit sie herrschen. So widerlegt sich auch der Irrtum der Wiedertäufer, die die Könige und öffentliche Beamte nicht zu Gottes Gemeinde rechnen, weil Christus behauptet habe, seine Jünger seien anders als sie. Denn wenn hier schon ein Vergleich gezogen wird, dann nicht zwischen Christen und Nichtchristen, sondern zwischen Ämtern. Außerdem hat Christus gar nicht so sehr bestimmte Persönlichkeiten im Auge als die allgemeine Verfassung der Gemeinde. Denn es könnte doch sein, daß ein Besitzer von Ländereien oder ein Herr einer Stadt aufgrund dringender Notwendigkeit zugleich auch ein Lehramt übernimmt. Christus genügte es einfach, hier darüber zu sprechen, was das Apostelamt mit sich bringe und was nicht zu ihm passe. Doch fragt es sich, warum Christus, der doch verschiedene Ordnungen in seiner Gemeinde eingerichtet hat, an dieser Stelle alle Rangunterschiede zurückweist. Denn es sieht hier doch so aus, als wolle er alle herabdrücken oder wenigstens einander gleichstellen, so daß keiner den andern überragt, während die natürlichen Verhältnisse etwas ganz anderes fordern. Wenn Paulus die Leitung der Gemeinde darstellt, so beurteilt er die verschiedenen Ämter so, daß er das Apostelamt dem Hirtenamt voranstellt (vgl. 1. Kor. 12, 28); und ebenso weist er Timotheus und Titus aufgrund ihres klaren göttlichen Auftrages an, gegenüber den andern die führende Stellung zu ergreifen (vgl. z. B. 1. Tim. 5, 19; Tit. 1, 5). Ich meine dazu, daß, genau betrachtet, auch die Könige eigentlich nach Recht und Gesetz nicht herrschen, sondern nur dienen dürften. Doch darin unterscheidet sich gerade das Apostelamt von irdischer Herrschaft, daß Könige und Behörden trotz ihres Dienens nicht daran gehindert werden, auch zu herrschen und mit prächtigem Glanz und Pomp über ihre Untertanen erhaben zu sein. So waren David, Hiskia und andere ihnen ähnliche Könige zwar gern die Diener von jedermann, und doch waren sie mit Zepter, Diadem, Throneswürde und anderen Ehrenzeichen geschmückt. Mit der Leitung der Gemeinde verträgt sich allerdings nichts Derartiges, weil den Hirten von Christus nur aufgetragen ist, daß sie Diener sein sollen, während sie sich des Herrschens zu enthalten haben. Auch das ist bemerkenswert, daß hier weniger von der Gesinnung der Herrschenden als von der Sache selbst die Rede ist. Christus unterscheidet die Apostel vom Stand der Könige, nicht etwa, weil es den Königen erlaubt wäre, sich zu überheben, sondern weil die Stellung der Könige eine ganz andere ist, als sie das Apostelamt mit sich bringt. Während nun also beide Stände demütig sein sollen, müssen die Apostel besonders auf die Form achten, die der Herr für die Leitung seiner Gemeinde gewählt hat. Was den Wortlaut betrifft, so bedeutet der Ausdruck des Matthäus: „Die Mächtigen tun ihren Völkern Gewalt“ dasselbe wie die Worte des Lukas: „Sie werden gnädige Herren genannt“. Christus hätte auch sagen können: Die Könige leben im Überfluß und verfügen über großen Reichtum, so daß sie freigebig damit umgehen können. Denn wenn die Könige auch ihre Macht genießen und sie sie doch lieber auf Schrecken als auf Zustimmung des Volkes gründen, umgeben sie sich gern mit dem Ruhm der Großzügigkeit. Von dieser Gepflogenheit des Wiederausteilens bekamen sie im Hebräischen ihren Namen (Nedibim), denn Steuern und Abgaben bezogen sie nur dazu, um den notwendigen Aufwand für die höfischen Gunsterweisungen zu bestreiten.
Matth. 20, 26. „So soll es nicht sein unter euch.“ Ganz offenbar tadelt Christus mit diesem Wort den törichten Wahn, von dem die Apostel befangen waren. Töricht und falsch träumt ihr von einem Reich, sagt er, vor dem ich nur Abscheu empfinde. Wenn ihr also wirklich mir treue Dienste leisten wollt, dann müßt ihr euch völlig umstellen; jeder von euch soll wetteifern, wie er dem andern dienen kann. Übrigens ist der Befehl Jesu, jeder, der groß sein wolle, müsse ein Diener werden, im übertragenen Sinn zu verstehen. Denn der Ehrgeiz duldet es gar nicht, daß man sich den Brüdern hingibt, geschweige denn sich ihnen unterstellt. Wer nach Ehren strebt, mag zwar knechtisch schmeicheln; aber er hat nichts weniger im Sinn als zu dienen. Die Meinung Christi ist deutlich: Da jeder Mensch in Liebe zu sich selbst gefangen ist, muß dieses Gefühl in eine andere Richtung gelenkt werden. Christus wollte sagen: Eure einzige Größe, Auszeichnung und Würde sei die Unterordnung unter eure Brüder; das soll euer Vorrang sein, daß ihr allen dient.
Matth. 20, 28. „Gleichwie des Menschen Sohn.“ An seinem eigenen Beispiel bestätigt Christus das gerade Gesagte: Er nahm freiwillig Knechtsgcstalt an und erniedrigte sich selbst, wie es auch bei Paulus steht (vgl. Phil. 2, 7). Um noch deutlicher zu zeigen, wie weit er selbst von Größe entfernt ist, erinnert er sie an seinen Tod. Er hätte auch sagen können: Euch, die ich mir auserwählt habe, damit ihr mir die an Ehre Nächsten seid, treibt eine schlimme Herrschsucht. Ich aber, nach dessen Beispiel ihr euer Leben formen sollt, bin nicht gekommen, um mich zu überheben oder mir irgend etwas Königliches anzueignen; vielmehr habe ich zusammen mit der niedrigen, verachteten Gestalt des Fleisches noch die Schmach des Kreuzes auf midi genommen. Man mag einwenden, Christus sei dann vom Vater dazu erhöht worden, damit sich vor ihm jedes Knie beuge. Aber er spricht im Augenblick nur von der Zeit seiner Erniedrigung. Darum wird bei Lukas noch hinzugefügt, er habe unter den Jüngern die Rolle eines Dieners gespielt (vgl. Luk. 22, 27). Damit ist nicht gemeint, daß er ihnen an Aussehen, Rang oder der Sache selbst nach unterlegen war; denn er wollte immer als Meister und Herr von ihnen angesehen werden, sondern daß er aus der himmlischen Herrlichkeit zu einer solchen Bescheidenheit herabgestiegen ist, damit er ihre Schwachheit auf sich nehme. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß hier ein Schluß von einem Größeren auf ein Kleineres vorliegt, wie es bei Johannes heißt (13, 14): „Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen."
„Und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ Seinen Tod erwähnt Christus dazu, um die Jünger aus ihrem falschen Traum von einer irdischen Herrschaft aufzuwecken. Zugleich wird klar und richtig die Bedeutung und Frucht dieses Sterbens herausgestellt, wenn Christus erklärt, daß sein Leben der Kaufpreis für unsere Erlösung sei. Daraus folgt, daß unsere Versöhnung mit Gott umsonst geschieht und der Preis dafür nur in Christi Tod zu finden ist. Damit wird mit einem Wort das unsinnige Gerede der Papisten von ihren Genugtuungen abgetan. Da Christus uns durch seinen Tod zum Eigentum erworben hat, nimmt ihm diese seine Erniedrigung nichts von seiner unermeßlichen Herrlichkeit, sondern sie zeigt sie gerade besonders deutlich. Das Wort viele meint nicht eine bestimmte Zahl, sondern die große Menge all derer, denen Christus allein gegenübersteht. So ist das Wort „viele" auch in Röm. 5, 15 zu verstehen, wo Paulus nicht an einen bestimmten Teil der Menschheit, sondern an alle Menschen zusammen denkt.
Aus: Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Die Evangelienharmonie 2. Teil, Neukirchener Verlag 1974, S. 149ff.
Wir sind verzweifelt, dass wir so vieles nicht ändern können, nicht einmal uns selbst und ohnmächtige Wut verzehrt auch manchmal unser Vertrauen zu dir.
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