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Thomas Wipf: Die Trennung der Kirchen ist eine Herausforderung
Interview mit dem Präsidenten der Gemeinschaft Ev. Kirchen in Europa (GEKE)
Pfarrer Thomas Wipf, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) im Gespräch mit Thomas Flügge, Pressesprecher der GEKE.
Flügge: Nach 35 Jahren ist Zeit für einen Blick zurück. Gibt es Grund zu feiern?
Wipf: Vor 35 Jahren haben die Evangelischen in Europa den Weg aufgezeigt, der es möglich macht, sich gegenseitig als Kirche anzuerkennen. Sie haben sich nach Jahrhunderten nebeneinander die Frage gestellt: Verbindet uns nicht das Grundlegende? Getragen war dies von der Vision, sich auf die christlichen Kernaussagen zu fokussieren. Was damals Experiment war, ist gelungen, ist zum zukunftsfähigen ökumenischen Modell geworden. Und doch ist die Substanz noch nicht ausgeschöpft. Die 1973 verabschiedete Leuenberger Konkordie ist ein theologisches Dokument. Das ist das Eine. Sie ist sich aber auch des Anderen bewusst: Die Theologie muss dem Menschen dienen. Die evangelischen Kirchen in Europa sollten noch viel mehr Miteinander wagen und nicht aus Angst vor Identitätsverlust das Partikulare stärken.
Die Konkordie legte 1973 die Basis für die innerprotestantische Ökumene. Was ist das Besondere an diesem Dokument? Was hat die Konkordie den protestantischen Kirchen gebracht?
Das Besondere ist, dass sich einst getrennte Kirchen versöhnt haben. Es ging nicht um belanglose Fragen, sondern um das Zentrum ihrer Lehre. Und dabei wurden keine diplomatischen Kompromisse eingegangen, sondern es wurde theologisch fundiert gearbeitet. Grundlegend ist, dass die Konkordie von dem Prinzip ausgeht, dass wir alle von derselben Botschaft des gekreuzigten und auferstandenen Christus leben, diese Botschaft aber in anderen Formulierungen und Lehren auslegen können. Wir stehen auf demselben „Grund“, erkennen aber verschiedene Bekenntnisse und verschiedene Gestaltungen der Kirche Christi an.
Voraussetzung für die wahre Einheit der Kirche ist für die GEKE die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und der rechten Verwaltung der Sakramente – mehr nicht. Von den Kirchen wird nicht erwartet, dass alle dieselbe Formulierung des Bekenntnisses haben, dieselbe Liturgie oder Kirchenordnung. Die GEKE existiert auf einem Fundamentalkonsens, nicht auf einer minimalen Gemeinsamkeit.
Die Konkordie ermöglicht Kirchengemeinschaft. Warum haben bisher nur die protestantischen Kirchen unterschrieben?
Im ökumenischen Gespräch gibt es wichtige offene theologische Fragen. Während für die Mitgliedkirchen der GEKE die Beantwortung dieser Fragen eine dauernde Herausforderung ist, ist sie für andere Kirchen eine Voraussetzung für Kirchengemeinschaft. Viele dieser Fragen sind Inhalt der Lehrgespräche der GEKE. Aktuell zum Beispiel arbeiten die 105 GEKE-Kirchen an den unterschiedlichen Verständnissen des kirchlichen Amtes und der Ordination. Sicherlich bildet es auch eine Voraussetzung für die Unterzeichnung der Konkordie, dass sich eine Kirche nicht als die einzig legitime Kirche Jesu Christi darstellt. Grundsätzlich empfinde ich die Trennung der Kirchen als Herausforderung, nicht als Skandal.
Die vergangene Vollversammlung der GEKE hat sich für „mehr Verbindlichkeit“ ausgesprochen. Wie sieht die Zukunft der GEKE aus?
Verbindlichkeit ist eine Frage des Wollens. Sie entsteht durch Überzeugung und durch das gemeinsame Leben des Evangeliums. Der Dienst am Menschen, zu dem wir uns mit der Konkordie verpflichtet haben, fordert uns heraus, gemeinsam Verantwortung für die Zusammenhänge in der Welt zu übernehmen. Wir können uns die Trennung gar nicht mehr leisten. In einer Kirchengemeinschaft wie der GEKE müssen die Strukturen dem Inhalt entsprechen. So hat die Vollversammlung in Budapest vor bald zwei Jahren ein Statut beschlossen, das einige Grundlinien der Gestaltung der Kirchengemeinschaft definiert.
Ist die GEKE die protestantische Stimme Europas? Wenn nicht, was bräuchte es dazu?
Es gibt in der Tat ein wachsendes Interesse an der „protestantischen Sicht“ zu gesellschaftlichen Fragen über die protestantischen Länder hinaus. In diesem Sinne wurde schon in der vorletzten Vollversammlung der GEKE 2001 in Belfast der Ruf nach der „protestantischen Stimme“ laut. Ebenso wurde mehrfach diskutiert, an welchem Ort die Belange der protestantischen Kirchen diskutiert werden können.
Dabei ist es schwierig, eine bestimmte Form wie zum Beispiel die einer europäischen evangelischen Synode von oben herab zu bestimmen. Zusammenarbeit muss von unten her wachsen. Mit diesem Ziel haben sich vor vielen Jahren die Kirchen der GEKE in geographischen Regionen zusammengefunden. In diesen „Regionalgruppen“ arbeiten die Mitgliedkirchen eng zusammen. Sie entsprechen also dem Bedürfnis nach einer „protestantischen Stimme“ grenzüberschreitend und in praktischer Zusammenarbeit. Tatsächlich geht es aber auch darum, gesamteuropäisch zu denken. Es wäre dann folgerichtig, gesamteuropäisch einen Ort des Austausches zu schaffen.
Aus der EU-Verfassung ist ein „Reformvertrag“ geworden. Im Vorfeld wurde von den Kirchen der „Gottesbezug“ gefordert, den es nun aber nicht gibt. Ist dies ein Fehler?
Alles Menschliche ist begrenzt. Auch ein Staatengefüge braucht Werte, um zu existieren. Werte kommen aus einer anderen Quelle als die, die der Staat in einer Verfassung dekretieren kann. Das kann Ausdruck finden in einem Gottesbezug. Die EU hat sich für einen anderen Weg entschlossen. Sie schöpft aus dem „kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas“. Die GEKE hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Europäische Union eine gemeinsame Wertebasis der Menschen braucht, um Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit weiter entwickeln zu können. Die Kirchen der Reformation, die selbst aus einer religiösen Freiheitsbewegung hervorgegangen sind, betonen dabei den verantwortlichen Umgang mit dieser Freiheit.
Die GEKE bemüht sich um die Integration der vielen Minderheitskirchen besonders in Südosteuropa. Was sagen Sie zu den Erweiterungsüberlegungen der EU zum Beispiel in puncto Balkan oder Türkei?
Es gibt keine Alternative zum Versuch, aufeinander zuzugehen und das gemeinsame zu stärken. Das Ausschließen ist nur im ersten Moment einfacher. Die Erfahrung, dass noch viel Trennendes vorhanden ist, muss man durchstehen. Dazu gehört, Probleme offen anzusprechen. Das ist im Fall der Türkei auch geschehen. Nie wurde so bewusst über die Situation der Menschenrechte und der Religionsfreiheit in der Türkei gesprochen, wie heute. Dies ist eine Voraussetzung für alle nächsten Schritte.
Im Jahr 2006 haben sieben protestantische Kirchen im Mittleren Osten die „Amman-Erklärung“ unterzeichnet. Die dortige Kirchengemeinschaft ist der GEKE ähnlich. Welche Kontakte gibt es zu diesen Kirchen? Erweitert sich die GEKE in diese Region?
Die „Amman-Kirchen“ haben sich in der Tat in einer der GEKE recht ähnlichen Struktur zusammengefunden. Die Generalsekretärin dieses Verbundes, Rosangela Jarjour, hat die vergangene Vollversammlung der GEKE besucht. Der Generalsekretär der GEKE, Michael Bünker, wird in diesem Jahr an der Versammlung der Amman-Kirchen teilnehmen. Die Amman-Kirchen sind ein weiteres Beispiel dafür, wie das Leben die theologischen Grenzen sprengen kann. Dass sie sich zur GEKE hin orientiert haben, war folgerichtig. Die ersten drei Worte „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen“ sind das Zentrum unserer Kirchengemeinschaft. Das Wort „Europa“ ist geschichtlich begründet. Ich habe die Hoffnung, dass es einmal so etwas wie eine weltweite Gemeinschaft evangelischer Kirchen geben kann.
Pressemitteilung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)
Mit der Leuenberger Konkordie haben lutherische, reformierte und unierte Kirchen Europa unter Berücksichtigung ihrer Traditionen einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewährt.
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