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Verbeulte Kirche in der Innenstadt
Eine Krippenszene von Michael Ebener
Eine „verbeulte Kirche“ ist Franziskus lieber - eine Kirche, „die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straße hinausgegangen ist“. Auf jedem noch so kleinen Weihnachtsmarkt kann der Bischof von Rom eine „verbeulte Kirche“ finden: Die lebensgroße Krippe, die dort am Rand und oft unbemerkt im hektischen Treiben steht!
Auf dem Abendmahlstisch ist am Heiligen Abend eine gut ausgeleuchtete Weihnachtskrippe aufgebaut. Die „klassischen“ Krippenfiguren haben ihren angestammten Ort um das Krippenkind herum. Unter dem Tannenbaum haben Jugendliche als „tableau vivant“ eine lebensgroße Krippe aufgebaut und stehen an denselben Positionen wie die „klassischen“ Krippenfiguren. Sie stellen eine lebensgroße Krippe dar, wie sie sich auf vielen städtischen Weihnachtsmärkten findet. Dass die Weihnachtskrippe in unserem vorweihnachtlichen Treiben am Rand steht, passt gut zur „ursprünglichen“ Krippe, denn die lag ja auch außerhalb von Bethlehem, wo bekanntlich für Maria, Josef und das Kind kein Raum in der Herberge war.
Die Jugendlichen verharren in ihrer „Rolle“, bis sie nach vorn ans Lesepult treten und ihre Krippenfigur in der Gegenwart deuten. Dabei wird deutlich, dass Maria, Josef, Hirten und Könige auch heute unter uns zu finden sind. Die Krippenfiguren sind unsere oft übersehenen Mitbewohner. Die Jugendlichen legen im Sprechen ihre Verkleidung ab und stellen sich dann in moderner Alltagskleidung zurück an ihren „klassischen“ Ort.
Das Krippenkind ist im „tableau vivant“ unbesetzt, weil Gott in jeder Weihnacht neu in den Herzen der Menschen zur Welt kommt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns …“ (Joh 1,14). Am Rand und mittendrin ist Gott zu Hause – innerhalb und außerhalb der Festgemeinde am Heiligen Abend spiegelt sich der Glanz der Heiligen Nacht. Oft da, wo wir es nicht vermuten.
SprecherIn:
Es ist schön, dass ihr heute Abend alle hergekommen seid und euren Platz um die Krippe herum eingenommen habt. Schaut: Maria, Josef und das Kind, Engel, Hirten und Könige sind auch da – alle an ihrem Ort!
Die Krippe ist aber eigentlich immer da, dafür braucht es gar nicht Heilig Abend zu sein. Nur ihr lauft leider oft daran vorbei! Das kann man euch nicht einmal vorwerfen, gerade in der Weihnachtszeit habt ihr alle Hände voll zu tun.
Die Geschenke wollen ausgesucht, gekauft und verpackt werden. Ihr müsst überlegen und planen, wann welches Kind zu welcher Weihnachtsfeier gefahren wird. Und dann hat Mutter natürlich wieder nichts anzuziehen in diesem Jahr. Das Haus muss geputzt werden, am besten von oben bis unten. Und das, und was übers ganze Jahr liegengeblieben ist, muss alles noch gerichtet werden „vorm Fest“, wenn die Verwandten kommen. Dabei will bedacht sein, dass die eigentlich überflüssigen Geschenke der letzten Weihnacht nun recht in Szene gesetzt sind. Tante Erika und Onkel Alfred wären sonst ziemlich angesäuert und das verdirbt die Festtagsfreude. Und habt ihr schon überlegt, was es zu essen gibt? Die Gans muss man vorbestellen, sonst bleibt es beim Tiefkühlflieger aus Polen. Und wisst ihr schon, mit welchem Weihnachtskuchen ihr die Tafelrunde dieses Jahr erfreuen wollt? Vergesst nicht die Plätzchen – ohne Plätzchen geht Weihnachten nicht! – und Stollen, und diese ganz besonderen, exquisiten Schokopralinen …
Ja, ihr seid so voll im Stress zu Weihnachten, dass ihr an der Krippe glatt vorbeilauft.
Aber da steht sie, alle Jahre wieder! An der rechten Seite der Johanniskirche, mitten in eurer Stadt, zwischen zwei Glühweinständen, lebensgroß: Maria, Josef und Kind, die Engel, die Hirten und Könige, sogar das Schaf – alle da!
Sagt bloß, die sind euch noch nie aufgefallen? Leute, Leute …
Aber heute ist Heilig Abend, da können wir euch helfen – danach seht ihr klarer!
Die Jugendlichen treten in „Krippenkleidung“ ans Lesepult, sprechen ihre aktualisierte „Rolle“ und legen dabei die Verkleidung ab. In Alltagskleidung stellen sie sich danach zurück an ihre Position.
Maria
(sechzehn, elfte Klasse, ungewollt schwanger, ungewisse Zukunft)
„Ich weiß echt nicht, wie’s weitergeht.
In der Schule werde ich immer so komisch angeguckt, weil ich gerade mal in der elften Klasse bin und schon schwanger. Was jetzt?
Und Jojo? Hat natürlich Schiss gekriegt und sofort Schluss gemacht. Und auch noch über Facebook… Immerhin: Meine Mutter versteht mich. Die war ja auch nicht viel älter, als ich geboren wurde.
Na ja, jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern und muss gucken, wo ich bleibe. Ein Traum ist das nicht, aber irgendwie werde ich’s schon hinkriegen.“
Josef
(Mann um die vierzig, mitten im Job, keine Zeit für Frau und Kind, wär gern anders, bleibt aber da)
„Damals wollten wir doch alle nach Amerika! Wisst ihr noch: Mit der Harley über die Route 66 brettern, dabei unsere Träume verwirklichen?
Das kommt mir vor wie gestern. Und schon bist du zu alt, um ein neues Leben anzufangen. Und viel zu beschäftigt. Ich muss jeden Tag hart ran - von nichts kommt nichts! – und mich dann auch noch um meine Familie kümmern.
Aber, um ehrlich zu sein, so übel ist das gar nicht. Mein Kind macht mich stolz, nicht nur, weil es so gut in der Schule ist. Und mit meiner Frau kann man auch glücklich werden …“
Junger Hirte / junge Hirtin
(Roma-Flüchtling aus dem Kosovo, hier aufgewachsen, Abschiebung droht, keine Perspektive)
Wie gut, dass ich bei euch untergekommen bin, wenigstens heute Abend.
Mein Abschiebebescheid ist da. Wenn die mich jetzt zu Hause antreffen, können die mich einfach so ins Kosovo schicken.
Aber was soll ich da draußen? Alle meine Freunde leben hier. Ich bin bei euch aufgewachsen, ich spreche kein Albanisch. Und die Leute wollen doch mit einer Roma sowieso nichts zu tun haben. Arbeit werde ich keine finden. Und die Schule kann ich auch vergessen.
Das will Gott bestimmt nicht. Aber wenigstens heute Abend will ich meine Sorgen loslassen. Hier ist es warm, auch wenn es mein letzter Tag ist.
Mittlerer Hirte / mittlere Hirtin
(„behütet“ erkrankte PartnerIn)
„Ich kann nicht lange bleiben, meine Frau ruft.
Mensch, was ging uns das gut: Was wir alles gemacht und geplant haben! Haben wir gar nicht so gemerkt, damals. Aber dann ist meine Frau 2007 vom Auto angefahren worden. Jetzt ist sie querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl, hat immer Schmerzen. Manchmal bin ich die ganze Nacht über wach…
Früher war es unser Traum, mal eine Weltreise zu machen. Aber jetzt geht gar nichts mehr. Macht das Leben da überhaupt noch Sinn? Manchmal packt mich der Zweifel. Aber das darf ich sie ja nicht merken lassen.“
Hirte / alte Hirtin
(Kinder haben Altenheimplatz ausgesucht, alleine geht es nicht mehr, Koffer ist gepackt)
„Martin Hirt, mein Name – ein Glück, dass ich das noch weiß! Meine Koffer sind gepackt. Hier: ein paar Bilder und Fotoalben, meine Armbanduhr. Das ist alles, was ich jetzt noch brauche.
Und dafür hab‘ ich nun ein ganzes Leben geackert, ein großes Haus gebaut, bin schon als Kind meinem Vater zur Hand gegangen.
Morgen geht’s los, ins Heim. Ich will nicht – die letzte Zeit da so am Rand rumsitzen…
Meine Eltern hätte ich nicht weggeschickt, früher. Harte Zeiten sind das, heute!“
Engel
(Konfirmandin, fröhlich – nein: freudig…)
„Hey, was ist denn hier los?
Warum guckt ihr denn alle so traurig und gestresst? Heute ist doch Weihnachten, das Fest der Liebe und Freude.
Klar, das Leben ist nicht immer leicht. Aber vergesst doch mal euren Alltag und lasst euch schön beschenken. Seht mal, was ich euch gebastelt habe, um euch eine Freude zu machen; zeigt einen großen, gebastelten Stern.
Wenn wir hier schon alle so schön zusammen gekommen sind, lasst uns doch das Weihnachtsfest so richtig feiern und den Gottesdienst genießen!“, Hand-Herzchen
Kaspar
(AfrikanerIn, die einen staunenden Blick auf die „Deutschen“ wirft)
„400 Euro gibt also jeder von euch Deutschen im Schnitt zu Weihnachten für Geschenke aus. Rechnet mal aus, was da zusammen kommt!
Ich mag es auch, wenn mir jemand was schenkt. Klar. Aber bei uns in Ghana, können wir uns solchen Luxus nicht leisten.
Wenn wir Christen sind, feiern wir natürlich auch Weihnachten. Wir kommen alle zusammen in kleinen verbeulten Kirchen, in die die ganzen Leute kaum reinpassen. Und dann singen wir die halbe Nacht lang, und essen und feiern. Und wenn der Morgenstern am Himmel steht, dann wissen wir: Christ ist geboren!“
Baltasar
(glaubt nur, was er sieht und bilanzieren kann - läuft dadurch am wirklichen Leben oft vorbei)
„Erwartet jetzt nicht, dass ich euch „Frohe Weihnachten“ wünsche! Wär‘ alles geheuchelt.
Was wirklich zählt im Leben ist nur Geld, harte Arbeit und Karriere. Alles, was davon ablenkt, ist unnötig. Gefühle kann ich mir nicht leisten. An der Börse gibt’s kein Mitleid.
Ich weiß, dass ich Recht hab‘, aber manchmal fühlt sich das auch komisch an. Und wenn ich dann abends von meinem Loft aus in den Himmel schaue und in die Sterne blicke – irgendwas fehlt …“
Melchior
(„Weihnachtshasser“, der vorm Fest in die „Dom. Rep.“ flieht)
„Mensch, fast halb fünf, um sieben geht mein Flieger! Das wird eng.“
Dominikanische Republik, zwei Wochen, fünf Sterne, all inclusive. Tolles Angebot, gleich zugegriffen. Ich hau ab aus diesem ganzen gefühligen Weihnachtskram – und dann wird‘s gemütlich. Kann am Strand liegen, mich von der Sonne bräunen lassen und hab‘ endlich meine Ruhe.
Geschenke muss ich auch keine machen. Früher war’s anders, aber jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind. Was soll das? Wär‘ ja doch nur allein.
Hier am Strand haben wir auch einen Weihnachtsbaum! Aus Plastik, voll praktisch: der nadelt kein bisschen…“
Das Schaf, evtl. auch eine Schafherde
(läuft unter lautem „Mäh“ zum Pult, hält dort ein Schild / Transparent hoch, weil: kann ja nicht sprechen: VEGANE WEIHNACHT!)
SprecherIN
Vielleicht liegt es gar nicht daran, dass ihr Weihnachten so viel zu tun habt.
Ihr lauft an der Krippe vorbei, die da an Kirchenmauer zwischen den Glühweinständen aufgebaut ist, und seht sie nicht, weil die Krippenfiguren längst mit euch leben! Maria, Josef, die Hirten, Engel und Könige, das Schaf sogar – das sind eure Mitbewohner! Nach dem heutigen Abend müsstet ihr das deutlich spüren.
Das sind nicht nur die alten Figuren hier, die übers Jahr in einer Kiste ruhen und bloß über die Festtage Gemütlichkeit verbreiten mit Holz und Stroh, Stall und Stern. Die Krippe ist immer aufgebaut, auch wenn gar nicht Weihnachten ist. Diejenigen, die dahin kommen mit ihren Sorgen und Träumen, mit ihrem Staunen und ihrer Freude, ihren Zweifeln und Ängsten sind das ganze Jahr über unterwegs und tragen Alltagskleidung.
Manchmal scheint es, dass sie nur deshalb nicht verzweifeln, weil sie im Innern wissen, dass der Stern doch leuchtet und Gott selbst sich ganz klein macht, verletzlich. Die Welt ist kein romantischer Ort. Vom Leben ist Gott verwundet, so wie ihr, und legt sich in die Krippe. Damit die, die rein schauen, angelächelt werden, ganz freundlich, und getröstet und ermutigt sind. Und sich ihr müdes Gesicht im Glanz des Kindes aufhellen kann, in dem sich alle Menschen spiegeln.
Lied 37 Ich steh an deiner Krippen hier
Michael Ebener und der Konfirmandenjahrgang 2014/15 aus Göttingen, Dezember 2013
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