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Weihnachten predigen mit Johannes Calvin
von Pfr. Dr. Jochen Denker, Ronsdorf
Auch der Besuch des Gottesdienstes ist gespickt mit Erwartungen und Befürchtungen. Die einen sehnen sich nach einem Gottesdienst, der ihnen das Evangelium von der Geburt des Retters nahe bringt. Andere wünschen sich eine Stunde, die sie in die rechte „Weihnachtsstimmung“ bringt. Wieder andere hoffen nur, dass die Zeit in der übervollen Kirche, in der sie sich kaum noch zu verhalten wissen, einigermaßen schnell vorübergeht.
Calvin zu Weihnachten zu hören heißt auch:– das alles zwar nicht zu vergessen, aber alldem nicht das Wort zu erteilen. Was wir uns selber sagen können, sollen wir uns selber sagen – hoffentlich ehrlich und mit dem Wunsch, einander zu verstehen. Im Gottesdienst sollen wir hören, was wir uns nicht selber sagen können, was zu hören uns aber unendlich Not tut, um uns selber, unsere Welt und Gott zu verstehen. Versuchen wir’s und hören auf Aspekte, die die Feder Calvins (1) aus der Weihnachtsbotschaft zum Leuchten bringt.
1. Gott in Menschengestalt
„Wir wissen, all unser Gut, all unsere Freude und Ruhe beruht in der Verbundenheit mit dem Sohn Gottes. ... Und wir sehen ja auch, wie elend unsere Lage wäre, wenn wir nicht bei ihm eine Zuflucht hätten und in seiner Hut stünden. Es steht jedoch nicht in unserer Macht, so hoch zu kommen (wir können ja kaum auf der Erde kriechen); er seinerseits muss sich zu uns nahen und er hat sich uns ja genaht, da er bei seiner Geburt unser Fleisch angezogen hat und unser Bruder geworden ist. ... So oft wir also nach unserem Herrn Jesus Christ verlangen und in ihm Trost in all unserem Elend, sichern und unfehlbaren Schutz suchen, müssen wir bei seiner Geburt anfangen“ (99). Dort, wo er ganz klein wird, wo ihm „Herberge und Menschengemeinschaft ... versagt“ werden (100).
Wer „ganz unten“ ist, der sucht sein Heil, Halt und Hilfe nicht zuerst bei den Mächtigen. Er sucht Solidarität und jemanden, der ihm zur Seite steht. Er sucht Verständnis und erwartet und erhofft es nicht bei denen zu finden, die seine Lage nicht kennen. „Sag nicht, Du verstehst mich! Verstehen kann nur, wer meine Lage teilt!“ Die Botschaft von Weihnachten kommt zuerst bei denen „ganz unten“ an. Es ist nicht das gemütliche Fest bei Kerzenschein, in wohlig temperierten Räumen, mit den Düften von Zimt und Braten. In Bethlehem stinkt es: nach Armut, Dreck, Geburt und Tieren.
„Wer in den Stall von Bethlehem kommen will, zum Herrn der Welt, der wird sich bücken müssen“ (nach H.-J.Iwand). Oder aber, er muss sich selber erkennen als den, der er vor Gott ist und sich an der Geburt Jesu zeigen lassen, wo er steht: Nicht im Palast, nicht bei den Spitzen in Kirche und Gesellschaft, nicht bei den Groß- oder Kleinbürgerlichen, sondern zunächst bei den Hirten und Bettlern.
Calvin ist der Überzeugung, zu dieser Selbsterkenntnis „brauchen sich die Menschen keineswegs zu erniedrigen, um ihren Wert herunterzudrücken; denn es ist schon natürlicherweise so viel Elend in ihnen, dass sie schon Anlass haben, niedergeschlagen zu sein. Wir brauchen uns bloß zu erkennen, wie wir wirklich sind“ (100)
Kann man das an Weihnachten sagen?
„Wann sonst“, würde Calvin wohl zurückfragen? Denn in dieser Erkenntnis steckt doch das Heil, das wir suchen. Welch schlechten Dienst erwiesen wir den Menschen, wenn wir davon nicht redeten!
Aber gewiss wird das noch mal was anderes sein, als die nicht selten zu vernehmende „Schelte“ an Weihnachten, die den Anwesenden offen oder versteckt meint vorwerfen zu müssen, dass sie den Rest des Jahres den Weg in die Kirche nicht gefunden haben. Ganz liebevoll kann dies geschehen und mit Humor, der Erkenntnis fördert.
Es soll nicht darum gehen, den Menschen klein, sondern Gott in Christus groß zu machen. Unsere Bedürftigkeit wird angesichts seiner Güte und Gnade nicht zu etwas Erniedrigendem, sondern gleichsam zu einem Glücksfall. Mal ganz schlicht gesagt: Hunger ist schlimm, wenn’s nichts zu essen gibt. Aber jeder kennt das Glücksgefühl, hungrig an einen gedeckten Tisch zu kommen.
2. Von Narren .....
Die Weihnachtsgeschichte recht hören heißt nach Calvin:
„Schüler ... einfältiger Leute und ... armer Hirten sein wollen. ... Bei diesem Punkt also heißt es beginnen: sich nicht schämen, denen zu folgen, die uns den Weg gezeigt haben, wie man zu unserem Herrn Jesu Christi kommt.“ Diese Lehrer erwählt Gott für uns, „damit jede Anmaßung beseitigt und jeder, der Christ heißen will, in der Welt ein Narr würde“ (101).
Paulus nennt sich einmal einen „Narren Jesu Christi“ (1. Korinther 4,10). Denn als Narr angesehen wird, wer im Meer der Lüge und des Selbstbetrugs die Wahrheit sagt. Welches Bild Paulus und Calvin vom „Narren“ hatten, weiß ich nicht. (Werde sie bei Gelegenheit mal fragen). Ich selber habe ein Bild von hilfreichen und erkenntnisfördernden Narren.
Dieses Jahr war ich zweimal im Kabarett. Wie mir scheint, das Programm der neuzeitlichen Narren. Hagen Rether und Jürgen Becker treten auf, zwei der besten ihrer Zunft. Es darf gelacht werden. Manchmal schallend. Dann aber bleibt einem immer wieder das Lachen im Hals stecken, weil Wahrheit auf Wirklichkeit trifft. Überführt werden, nicht mit Drohung oder moralineingelegter Zeigefingerrhetorik, sondern lachend, und beim Lachen wahrnehmen, dass es eigentlich gar nichts zu lachen gibt. Lachen ist ein Zeichen von Freiheit und Distanz – auch zu sich selbst. Und diese Distanz brauche ich, um zur Selbsterkenntnis zu kommen. (Gutes Kabarett, sollte als Pflichtveranstaltung ins Fortbildungsprogramm der Pastorinnen und Pastoren aufgenommen werden!)
Welches Bild vom Menschen als „Gottsucher“ und „Götzenfabrikant“ (Calvin) lässt die Weihnachtsgeschichte aufblitzen? Ich möchte es an zwei Beispielen versuchen: einem eigenen Erlebnis und einem Witz:
Neulich wollte ich meine Frau von unterwegs anrufen. Ich wähle die Handynummer. Besetzt. Ich probiere es mehrmals. Immer besetzt. „Wenn Frauen telefonieren“, denke ich. Dann komm ich auf die glorreiche Idee, die Nummer noch mal zu kontrollieren und stelle ernüchtert fest: Ich versuche die ganze Zeit mein eigenes Handy anzurufen. – So kann’s gehen!
Ohne Bild: Der Mensch versucht zu Gott zu kommen und kommt doch immer nur bei sich selber an, weil er die falsche Nummer wählt, weil er sucht, wo nichts zu finden ist. Weihnachten heißt: Gott ist nicht irgendwo in der Ferne zu finden, „oben im Himmel“, sondern er hat sich schon lange auf den Weg gemacht zu allen Menschen – ganz nach unten. Das ist seine Solidarität und unsere Rettung. Auch wenn man dich für einen Narren hält, such ihn dort, wo er sich finden lassen will.
Und jetzt der Witz (nach J.Becker, Religion ist, wenn man trotzdem stirbt, 146f).
Ein Rabbi besucht den Papst. Auf dem Sekretär steht ein grünes Telefon.
„Was ist das denn“, fragt der Rabbi.
„Ein Spezialtelefon“, sagt der Papst. „Damit kann ich Gott anrufen.“ –
„Was?“
„Ja, probier’s. Nur die Null wählen und die Direktleitung steht.“
Der Rabbi wählt die Null und unterhält sich kurz darauf hoch amüsiert mit dem lieben Gott. Auf Hebräisch, versteht sich. Nach 20 Minuten legt er auf.
„Tolle Sache! Papst, was kriegst du von mir?“
„Tja“, sagt der Papst und guckt auf seinen Zähler. „20.000,- €.“
„Ne stolze Summe“ bekommt er zur Antwort. „Aber Hauptsache, man hat mal gesprochen.“
Vier Wochen später besucht der Papst den Rabbi zu Hause. Da sieht er im Flur ein grünes Telefon.
„Was ist denn das?“ fragt der Papst.
„Ich hab jetzt auch ne Leitung“ sagt der Rabbi. „Willst du’s mal versuchen? Nur die Null wählen“
Der Papst wählt und tatsächlich: Gott geht an den Apparat. Ein kleiner Plausch schließt sich an, natürlich über ernsthafte Lehrfragen; klingt nach Latein. Nach 20 Minuten legt der Papst auf.
„Superempfang! Was bin ich dir schuldig?“
„Einen Euro“, sagt der Rabbi. „War ein Ortsgespräch“.
So nah ist uns Gott. – Das ist Weihnachten.
Das nicht zu erkennen, in die Ferne zu schweifen, Gott überall und nirgends zu suchen, aber nicht dort, wo er sich offenbart hat, ist der Stand des Menschen und die Weihnachtsgemeinde wird daraufhin anzusprechen sein.
Calvin gibt noch einen weiteren Hinweis, was es heißt, in der Welt ein „Narr“ zu werden und Gottes Hinwendung zur Welt eben in den unscheinbaren Windeln des kleinen jüdischen Kindes zu erkennen.
„Wenn zum Beispiel gepredigt wird, so ist das nichts besonders Anziehendes für uns. Man hört da einen Menschen reden; und was für einen? Er hat keine besondere Würde und Ehre; sodann gibt’s bloß das Wort zu hören.“ Und nimmt man die Bekräftigung des Wortes in den Sakramenten hinzu, so fragt Calvin: „Aber soll ein Tropfen Wasser dazu genügen, um uns der Sündenvergebung zu versichern? ... Soll ein Stück Brot und ein Tropfen Wein ... genug sein, um uns dessen zu versichern, dass Gott uns als seine Kinder anerkennt“ (103).
O, wie recht der liebe Calvin hat. Über die Unvollkommenheiten unserer Predigten brauchen wir uns kaum belehren lassen und über ihre sehr begrenzte Reichweite wohl auch nicht. (Was niemanden hindern sollte, selbst für dieses unscheinbare Werk gehörig Zeit, Liebe, Gebet, Hirnschmalz und Freude aufzubringen.) Aber ein anderes ist es, was uns den Mut zu dieser Narretei gibt:
3. ... und Engeln
Es ist eine himmlische Botschaft, die wir als menschliche Zeuginnen und Zeugen in der Nachfolge der Hirten weitergeben.
„Die Hirten bekamen (neben den spärlichen Zeichen von Krippe und Windeln) noch eine Bekräftigung, so dass sie eine Gewissheit davon hatten, dass es Gottes Sohn wäre: der Engel erschien ihnen nämlich und dazu haben sie dann das Lied gehört, das St. Lukas nennt, wo das ganze himmlische Königreich unseres Herrn Jesus Christus Zeugnis gibt. ... Wenn’s auch viele Ungläubige gibt, eine unabsehbare Menge der Engel des Paradieses legt Zeugnis gegen sie ab, und sie sind Diener der göttlichen Wahrheit. ... Wir unsererseits wollen ... beachten, wie Gott für unser Heil bedacht war, da er so viele Engel sandte, damit wir kühnlich und freimütig, ohne Zweifel und Bedenken, zu unserem Herrn Jesus Christus kommen könnten.“ (104)
Glaubende Ohren gehören wohl dazu, diese Bekräftigung wahrzunehmen.
Aber nun wäre der Ort der Weihnachtspredigt der allerletzte, an dem die Zweifel, auch die eigenen des/der Predigenden auf der Kanzel Vorrang haben sollten. Welches Zeugnis wäre es gewesen, wenn die Menschen aus den Kirchen strömen mit dem Eindruck: „Hier glaubt man selber nicht mehr, was man zu feiern vorgibt.“
Die Kanzel ist der Ort, an dem „die Engel“ in menschlichen Mund ihr Echo finden, an dem Gottes Wort unser menschliches in Dienst nimmt und die Predigenden wie die Singenden (seien es Chöre oder die Gemeinde) ihrerseits zu Engeln, zu Boten der göttlichen Wahrheit macht. „Kühnlich und freimütig“ möchte ich predigen und für einen Moment mit den Augen der Hirten den geöffneten Himmel sehen, darüber staunen, die Kunde von „Friede“ und „Freude“ hören und dann „lossprudeln“.
Und dabei mag es wie nicht selten sein, dass der/die Predigende dem eigenen Herzen zum Zeugnis spricht. Wir predigen auch uns selbst! Wohlverstanden: Nicht wir sind Gegenstand dessen, was wir predigen, aber wir sind selber auch Adressaten! Verboten wurde uns das nie. Vielmehr rufen auch die Psalmisten die eigene Seele auf: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Psalm 103,2). Denn: „Wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund“ (Matth. 12,34). – Wohl dem, der die Adventszeit nutzen kann und darf, um sein eigenes Herz füllen zu lassen!
4. Gott in Menschengestalt
„Gott in Menschengestalt“, damit begann Calvin. Aber er fügt dann notwendig (und wahrlich gut „reformiert“) hinzu: Es ist Gott in Menschengestalt.
Der Sohn Gottes ist nicht nur Mensch geworden. „Wenn er sich in unsere Lage versetzte, so hat er dabei doch seine himmlische Majestät festgehalten“ (100). Denn nur so „bringt (er) auch alles mit sich, was wir zu unserem Heil brauchen“ (101). Weihnachten ist darum mehr als die schlichte Feier eines Geburtstagsfestes. Der Rückgriff auf die von Neugeborenen immer ausgehende Faszination des „Wunders des Lebens“ allein lässt uns das „Wunder der Weihnacht“ noch nicht in den Blick rücken. Dass wir es in Jesus Christus mit Gott selber zu tun bekommen, die Weihnachtsgeschichte daher den Anfang eines Weges erzählt, der ohne sein Ziel nicht wäre, was er ist, sollte auch die Weihnachtspredigt nicht vergessen.
Calvins Weihnachtspredigt, die offenbar in einem Abendmahlsgottesdienst gehalten wurde, verdeutlicht dies durch eine Abendmahlsunterweisung (vgl. 108f), die die Gewissheit groß macht, dass Gott in Christus nicht nur „Gott mit uns“ ist, sondern dass er nun auch „Gott in uns“ ist (108). Aber auch, wenn kein Abendmahl gefeiert wird, sollte ein Hinweis auf das Leben Jesu und sein Werk nicht unterbleiben. Wir feiern eben nicht nur die Geburt eines jüdischen Kindes (das allein wäre allerdings unter „Heidenchristen“ schon ein beachtenswerte Sache), sondern wir feiern die Geburtsstunde der Rettung der Welt und darum auch der unseren.
5. Weihnachten predigen
Wer Calvins Weihnachtspredigt liest, wird merken, dass man heute so nicht mehr predigen kann. Wer sagen will, was die Väter und Mütter sagten, der wird es nicht so sagen dürfen, wie sie es sagten.
Calvins Predigt spürt man ab, dass sie sich seelsorglich an eine angefochtene Gemeinde richtet. „Es soll uns nicht leid sein, von allen Seiten verachtet und belästigt zu werden, kurz, aller Schmach und Schande preisgegeben zu sein, wenn nur Jesus Christ mit uns ist“ (109) Die Lage unserer Kirche und die Lage der Christinnen und Christen in Deutschland beschreibt dies in aller Regel nicht. Nicht verachtet und belästigt werden wir, sondern es droht uns eher, dass unser Glaube als irrelevant angesehen wird und wir seine Relevanz selber nicht mehr erleben und formulieren können. Was uns Gott sei’s gedankt an Gefahr für Leib und Leben nicht droht, bedroht andererseits unseren Glauben und unsere Zeugnisbereitschaft in Wort und Tat immens.
Calvin will in Gottes Namen Mut machen. Die Weihnachtsgottesdienste sollten dazu genutzt werden, den vielen, die kommen, zu gratulieren, dass sie gekommen sind. Bedanken wir uns nicht dafür, dass sie „nichts Besseres vorhatten“, sondern bestärken sie darin, dass sie eine „gute Wahl“ trafen.
Überführen wir die GottesdienstteilnehmerInnen mit Menschenfreundlichkeit und Humor und zeigen ihnen, dass der Hunger, den sie haben, bei Christus gestillt wird. Den Hunger dabei groß zu machen, die Bedürftigkeit beim Namen zu nennen (die Alten hätten vielleicht gesagt: „die Sünde groß machen“), braucht dabei nicht „erniedrigend“ oder scheltend daher kommen, sondern kann so gestaltet sein, dass Wahrheit auf Wirklichkeit trifft und die Anwesenden sich zu fragen beginnen, warum sie nicht wie die Narren den Hirten folgen, den Engeln trauen und das „Gott mit uns“, „Immanuel“ zum Trost hören.
Sie werden dann zugleich wahrnehmen können: „Gott auch mit den anderen“ und sich durch die Weihnachtsgeschichte, die „ganz unten“ ansetzt, von Gottes Solidarität anstecken lassen, um diese Solidarität zu leben – zum Wohl der Menschen und zur Ehre Gottes.
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(1) J.Calvin, Predigt zu Lukas 2,1-14 (CR 74,955ff). Übersetzung in: J.Calvin, Diener am Wort Gottes. Eine Auswahl seiner Predigten. Hg. v. E.Mühlhaupt, 1934, 99-110.
©Pfr. Dr. Jochen Denker, Ronsdorf, 2009
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